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Ralph und Lois, unsichtbar für die Männer, die um sie herum liefen, gingen um die Ecke und kamen zu einem Knäuel von Polizeiautos an einer Stelle, wo die Straße zur auf beiden Seiten von Blumenkästen mit bunten Herbstblumen gesäumten Einfahrt wurde.

Die weibliche Note, welch freundlicher Bote, dachte Ralph.

Die Einfahrt führte zum Hof eines geräumigen, mindestens siebzig Jahre alten Farmhauses. Es war zweistöckig und hatte zwei Flügel und eine große Veranda, die an der gesamten Länge des Gebäudes verlief und einen herrlichen Ausblick nach Westen bot, wo dunstige blaue Berge im Morgenlicht aufragten. In diesem Haus mit seiner friedlichen Aussicht hatte einmal die Familie Barrett mit ihrem Apfelgeschäft gewohnt, und in neuerer Zeit Dutzende geprügelter, ängstlicher Frauen, aber ein Blick verriet Ralph, daß morgen früh niemand mehr hier wohnen würde. Der Südflügel brannte lichterloh, und diese Seite der Veranda fing ebenfalls gerade Feuer; Flammenzungen stießen zu den Fenstern heraus und leckten gierig an den Erkern entlang, so daß Schindeln als feurige Splitter in die Luft stoben. Am anderen Ende der Veranda sah er einen Schaukelstuhl aus geflochtenem Peddigrohr brennen. Ein halb gestrickter Schal lag auf einer Armlehne; die Stricknadeln, die daran herunterbaumelten, waren weißglühend. Irgendwo ließ ein Glockenspiel eine nervtötend monotone Melodie erklingen.

Eine tote Frau im grünen Drillichanzug und einer Fliegerjacke lag kopfunter auf der Verandatreppe und sah durchblutverschmierte Brillengläser himmelwärts. Sie hatte Schmutz im Haar, eine Pistole in der Hand und ein unregelmäßiges schwarzes Loch in der Bauchgegend. Am nördlichen Ende der Veranda hing ein Mann über dem Geländer, der einen Fuß auf der Hollywood-Schaukel aufgestützt hatte. Auch er trug Drillichzeug und eine Fliegerjacke. Unter ihm im Blumenbeet lag ein Sturmgewehr mit aufgestecktem Magazin. Blut rann an seinen Fingern hinab und tropfte von den Nägeln. In Ralphs gesteigerter Wahrnehmung sahen die Tropfen schwarz und tot aus.

Feiton, dachte er. Wenn die Polizisten noch Pickerings Namen rufen - falls er sich im Inneren des Hauses aufhält -, dann muß das Frank Feiton sein. Und was ist mit Susan Day? Ed hält sich irgendwo an der Küste auf- Lois schien ganz sicher zu sein, und ich denke, sie hat recht -, aber wenn Susan Day da drinnen ist? Herrgott, wäre das möglich?

Es wäre sicher möglich, aber diese Möglichkeit war im Augenblick zweitrangig. Helen und Natalie waren mit Sicherheit da drinnen, zusammen mit weiß Gott wie vielen hilflosen und verängstigten Frauen, und daraufkam es an.

Aus dem Innern des Hauses ertönte das Geräusch    von splitterndem Glas, gefolgt von einer leisen Explosion -    fast einem Seufzen. Ralph sah neue Flammen hinter    der Glasscheibe der Eingangstür emporlodern.

Molotowcocktails, dachte er. Charlie Pickering hat endlich die Möglichkeit bekommen, ein paar zu werfen. Wie schön für ihn.

Ralph wußte nicht, wieviele Polizisten sich hinter den am Ende der Einfahrt geparkten Autos duckten - es schienen knapp dreißig zu sein -, aber die beiden, die Ed Deepneau verhaftet hatten, sah er gleich. Chris Nell kauerte hinter dem Vorderreifen des am nächsten beim Haus geparkten Autos, und John Leydecker, der eine Baseballjacke der Maine Black Bears und Chino-Hosen und trug, hockte auf einem Knie neben ihm. Nell war derjenige mit dem Megaphon, und als Ralph und Lois sich der Polizeifestung näherten, sah er Leydecker an. Leydecker nickte, deutete auf das Haus und zeigte Nell dann die Handflächen, eine Geste, die Ralph mit Leichtigkeit deuten konnte: Sei vorsichtig. In Chris Nells Aura las er etwas Beunruhigenderes: der junge Mann war zu aufgeregt, um vorsichtig zu sein. Zu aufgekratzt. Und fast als wäre Ralphs Gedanke der Auslöser dafür gewesen, veränderte Chris Nells Aura die Farbe. Sie pulsierte mit unerbittlicher Geschwindigkeit von Hellblau über Dunkelgrau zu einem toten Schwarz.

»GEBEN SIE AUF, PICKERING!« schrie Nell, der nicht wußte, daß er ein toter Mann war, der noch atmete.

Der Metallschaft eines Sturmgewehrs wurde im Erdgeschoß des Nordflügels durch eine Fensterscheibe gestoßen und verschwand wieder. Im selben Augenblick explodierte die Lampe über der Eingangstür; Glasscherben regneten auf die Veranda. Flammen loderten brüllend aus der Öffnung heraus. Eine Sekunde später brach das Dach selbst auf, als hätte eine unsichtbare Hand es geschüttelt. Nell beugte sich weiter nach vorne - möglicherweise dachte er, daß der Schütze endlich zur Vernunft gekommen war und aufgab.

Ralph, schreiend: [»Ziehen Sie ihn zurück, Johnny! ZIEHEN SIE IHN ZURÜCK!«]

Das Gewehr wurde wieder herausgestreckt, diesmal mit dem Lauf zuerst.

Leydecker griff nach Nells Kragen, aber er war zu langsam. Die automatische Waffe hustete schnell und trocken, und Ralph hörte das metallische Boing!Boing!Boing! von Kugeln, die durch das dünne Stahlblech des Streifenwagens schlugen. Chris Nells Aura war jetzt völlig schwarz - sie war zu einem Leichentuch geworden. Er wurde seitwärts geschleudert, als ihn eine Kugel am Hals traf und aus Leydeckers Griff riß, und als er zu Boden fiel, zuckte ein Fuß krampfhaft. Das Megaphon fiel ihm mit dem kurzen Pfeifen einer Rückkopplung aus der Hand. Einer der Polizisten hinter den anderen Autos schrie vor Schreck und Überraschung. Lois' Aufschrei war viel lauter.

Weitere Kugeln mähten eine Bahn über den Hof auf Nell zu und schlugen winzige Löcher in die Schenkel seiner blauen Uniformhose. Ralph konnte den Mann gerade noch in dem Leichentuch erkennen, das ihn erstickte; er unternahm vergebliche Versuche, sich herumzuwälzen und aufzustehen. Sein Bemühen hatte etwas unaussprechlich Gräßliches - für Ralph war es, als würde er eine Kreatur in einem Fischernetz sehen, die in seichtem, schmutzigem Wasser ertrank.

Leydecker schnellte hinter dem Polizeiauto hervor, und als seine Finger in der schwarzen Membran versanken, die Chris Nell einhüllte, hörte Ralph den alten Dor sagen: Ich an deiner Stelle würde ihn nicht mehr anfassen. Ich kann deine Hände nicht sehen.

Lois: [»Nicht! Nicht, er ist tot, er ist schon tot!«]

Die Waffe die aus dem Fenster ragte, war nach rechts geschwenkt worden. Nun glitt sie langsam wieder in Leydeckers Richtung - offenbar war der Mann dahinter unverletzt, der Kugelhagel von den anderen Polizisten hatte ihn nicht abschrecken und ihm offenbar auch nichts anhaben können. Ralph hob die rechte Hand und ließ sie wieder wie bei einem Karateschlag heruntersausen, aber diesmal erzeugte er keinen Lichtstrahl, sondern etwas, das wie eine große blaue Träne aussah. Sie breitete sich über Leydeckers gelbe Aura aus, als mit dem zum Fenster herausragenden Gewehr gerade wieder das Feuer eröffnet wurde. Ralph sah zwei Kugeln in den Baum rechts von Leydecker einschlagen; Rindensplitter flogen in die Luft, schwarze Löcher erschienen im gelblichweißen Holz der Fichte. Eine dritte prallte gegen den blauen Schutzschirm, der Leydeckers Aura umhüllte - Ralph sah ganz kurz etwas Rotes links von der Schläfe des Detective aufleuchten und hörte ein kurzes Heulen, als die Kugel als Querschläger davonsauste, der wegsprang wie ein flacher Stein auf der Oberfläche eines Sees.

Leydecker zog Nell hinter das Auto, sah ihn an, riß die Fahrertür auf und warf sich auf den Vordersitz. Ralph konnte ihn nicht mehr sehen, hörte aber, wie er jemanden über Funk anbrüllte, wo, zum Teufel, denn die Rettungswagen blieben.

Wieder zerbarst Glas, und Lois zupfte hektisch an Ralphs Ärmel und deutete auf etwas - auf einen Backstein, der, sich überschlagend, auf den Hof fiel. Er kam aus einem der niederen, schmalen Fenster am Anfang des Nordflügels. Diese Fenster wurden fast von den Blumenbeeten rings um das Haus herum verdeckt.

»Helft uns!« schrie eine Stimme durch das geborstene Fenster, während der Mann mit dem Gewehr unwillkürlich auf den fliegenden Stein feuerte, worauf roter Staub aufwirbelte und der Backstein in drei Teile zerbrach. Weder Ralph noch Lois hatten diese Stimme jemals zu einem schrillen Kreischen erhoben gehört, aber beide erkannten sie dennoch sofort; es war Helen Deepneaus Stimme. »Helft uns, bitte! Wir sind im Keller! Wir haben Kinder bei uns! Bitte laßt uns nicht verbrennen, WIR HABEN KINDER BEI UNS!«