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Warten Sie nur ab, Mister, dachte Ralph. Das kommt noch.

»Niemand findet, daß Sie dumm sind«, sagte Lois. »Und es ist kein Witz. Nehmen Sie das Geld, Sir.«

Der Penner versuchte, seine finstere, argwöhnische Miene beizubehalten, aber nach einem weiteren eingehenden Blick auf Lois (und einem raschen Seitenblick zu Ralph), wurde sie von einem strahlenden, einnehmenden Lächeln verdrängt. Er ging auf Lois zu und streckte die Hand nach dem Geld aus, das er verdient hatte, ohne es überhaupt zu wissen.

Lois hob die Hand, bevor er den Geldschein nehmen konnte. »Aber denken Sie daran, daß Sie sich nicht nur etwas zu trinken, sondern auch etwas zu essen besorgen. Und Sie sollten sich vielleicht mal fragen, ob die Art und Weise, wie Sie leben, Sie glücklich macht.«

»Da haben Sie vollkommen recht!« rief der Penner enthusiastisch. Er ließ den Geldschein zwischen Lois' Fingern nicht aus den Augen. »Auf jeden Fall, Ma'am! Auf der anderen Seite des Flusses ham sie ein Programm, Entziehung und Resozialisierung, wissense. Ich denk drüber nach. Wirklich. Ich denk jeden verdammten Tag drüber nach.« Aber sein Blick klebte nach wie vor an dem Zwanziger, und er sabberte fast. Lois warf Ralph einen kurzen, zweifelnden Blick zu, dann zuckte sie die Achseln und gab ihm den Schein. »Danke! Danke, Lady!« Er sah zu Ralph. »Diese Lady is 'ne echte Prinzessin. Ich hoffe, Sie wissen das!«

Ralph schenkte Lois einen verliebten Blick. »Ja, das weiß ich durchaus«, sagte er.

Eine halbe Stunde später gingen die beiden zwischen den rostigen Schienen dahin, die in einer sanften Kurve am städtischen Golfplatz vorbeiführten... aber nach ihrer Begegnung mit dem Penner waren sie etwas höher über die Ebene der Kurzfristigen hinaufgestiegen (möglicherweise, weil der selbst ein bißchen high gewesen war), und sie gingen auch nicht gerade. Zum einen war wenig bis gar keine Kraftanstrengung erforderlich, und obwohl sich ihre Füße bewegten, kam es Ralph mehr wie ein Gleiten als wie ein Gehen vor. Und er war nicht sicher, ob man sie in der Welt der Kurzfristigen überhaupt sehen konnte; Eichhörnchen hüpften sorglos vor ihren Füßen herum und sammelten emsig Vorräte für den bevorstehenden Winter, und einmal sah er, wie Lois sich unvermittelt duckte, als ein Zaunkönig ihr fast einen Scheitel zog. Der Vogel wich aus und flatterte in die Höhe, als wäre ihm erst im letzten Moment klar geworden, daß sich ein Mensch in seiner Flugbahn befand. Die Golfspieler beachteten sie auch überhaupt nicht. In Ralphs Augen waren Golfspieler zwar ohnehin bis zur Besessenheit in ihr Spiel vertieft, trotzdem kam ihm dieser Mangel an Interesse extrem vor. Wenn er ein anständig angezogenes Paar gesehen hätte, das am hellichten Tag auf einem stillgelegten Gleis von GS&WM dahinspazierte, hätte er höchstwahrscheinlich eine kurze Auszeit genommen und sich gefragt, was sie im Schilde führen und wohin sie unterwegs sein mochten. Ich glaube, besonders neugierig wäre ich, weshalb die Dame ununterbrochen »Bleib, wo du bist, verflixtes Ding!« murmelte und dabei an ihrem Rock zupfte, dachte Ralph grinsend. Aber die Golfspieler warfen nicht einmal einen Blick zu ihnen herüber, obwohl ein Vierer auf dem Weg zum neunten Loch so nah an ihnen vorbei ging, daß Ralph hören konnte, wie sie sich Sorgen über eine sich abzeichnende Baisse auf dem Aktienmarkt machten. Der Gedanke, daß er und Lois wieder unsichtbar geworden waren - zumindest aber ziemlich konturlos - kam Ralph immer plausibler vor. Plausibel... und beunruhigend. Die Zeit vergeht schneller, wenn man weiter oben ist, hatte der alte Dor gesagt.

Die Spur wurde um so frischer, je weiter sie nach Westen kamen, und Ralph gefielen die Spritzer und Tropfen immer weniger. Wo der Glibber auf die Schienen getropft war, hatte er den Rost weggefressen wie ätzende Säure. Das Unkraut, auf das er getropft war, war schwarz und abgestorben- selbst das widerstandsfähigste war eingegangen. Als Ralph und Lois das dritte Grün des Golfplatzes von Derry passierten und in ein weiteres Dickicht von verkümmerten Bäumen und Unterholz eindrangen, zupfte Lois ihn am Ärmel. Sie zeigte nach vorne. Große Flecken von Atropos' Ausscheidung glänzten wie ekelerregende Farbe auf den Stämmen der Bäume, die sich jetzt bis dicht an den Schienenstrang drängten, und in manchen Mulden zwischen den alten Schienen - wo einmal Schwellen gewesen waren, vermutete Ralph - standen ganze Lachen davon.

[»Wir nähern uns seinem Zuhause, Ralph.«]

[»Ja.«]

[»Was sollen wir tun, wenn er zurückkommt und uns dort findet?«]

Ralph zuckte die Achseln. Er wußte es nicht und war nicht sicher, ob es ihn kümmerte. Sollten sich die Mächte, die sie hier herumschoben wie Figuren auf einem Schachbrett - die Mr. K. und Mr. L. den Höheren Plan nannte -, sich darüber Gedanken machen. Sollte Atropos auftauchen, würde Ralph versuchen, dem kleinen kahlköpfigen Wichser die Zunge herauszureißen und ihn damit zu erdrosseln. Und wenn er damit jemandem auf die Füße trat, zu dumm aber auch. Er konnte keine Verantwortung für große Pläne und langfristige Geschäfte übernehmen; seine Aufgabe bestand jetzt darin, auf Lois aufzupassen, die gefährdet war, und zu versuchen, das Blutbad zu verhindern, das in wenigen Stunden hier in der Nähe stattfinden sollte. Und wer weiß? Vielleicht fand er sogar unterwegs noch etwas Zeit, seine eigene, zum Teil verjüngte Haut zu beschützen. Das alles mußte er tun, und wenn der bösartige kleine Pisser Ralph dabei in die Quere kam, würde einer von ihnen auf der Strecke bleiben. Und wenn das Mr. K. und Mr. L. nicht gefiel, hatten sie Pech gehabt.

Lois las das fast alles aus seiner Aura - er sah es ihrer eigenen an, als sie ihn am Arm berührte und er sich zu ihr umdrehte.

[»Was soll das bedeuten, Ralph? Daß du versuchen willst, ihn umzubringen, sollte er sich uns in den Weg stellen?«]

Er dachte darüber nach, dann nickte er.

[»Ja, ganz genau das soll es bedeuten.«] [»Ralph?«]

Er sah sie mit hochgezogenen Brauen an.

[»Wenn es sein muß, werde ich dir dabei helfen.«]

Das rührte ihn auf absurde Weise... und er gab sich allergrößte Mühe, den Rest seiner Gedanken vor ihr zu verbergen: daß sie nur noch deshalb bei ihm war, damit er sie im Auge behalten und beschützen konnte. Der Gedanke rief ihm die Ohrringe wieder ins Gedächtnis zurück, aber er verdrängte das Bild hastig, weil er nicht wollte, daß sie seiner Aura etwas ansah -oder es auch nur vermutete.

Derweil waren Lois' Gedanken in eine andere, etwas sicherere Richtung abgeschweift.

[»Selbst wenn wir reingehen und wieder rauskommen, ohne daß er auftaucht, wird er wissen, daß jemand da gewesen ist, oder nicht? Und wahrscheinlich wird er auch wissen, wer es war.«]

Ralph konnte es nicht bestreiten, sah aber nicht, was das großartig ausmachen sollte; sie hatten keine Alternative, zumindest momentan. Sie würden einen Schritt nach dem anderen machen und einfach hoffen, daß sie den morgigen Sonnenaufgang noch erleben würden. Aber wenn ich die Wahl hätte, würde ich ihn wahrscheinlich lieber verschlafen, dachte Ralph, und ein kleines, sehnsüchtiges Lächeln umspielte seine Mundwinkel. Herrgott, es scheint Jahre her zu sein, seit ich zum letztenmal ausgeschlafen habe. Von da aus schweiften seine Gedanken zu Carolyns Lieblingsspruch ab, daß es ein langer Weg zurück ins Paradies war. Im Augenblick schien ihm, als wäre es das Paradies, einfach mal bis zum Mittag zu schlafen... oder ein bißchen länger.

Er nahm Lois' Hand, dann folgten sie weiter der Spur von Atropos.

Zwölf Meter östlich des Sturmzauns an der Grenze des Flughafens hörten die rostigen Schienen auf. Atropos' Spur allerdings ging weiter, wenn auch nicht lange; Ralph war ziemlich sicher, daß er die Stelle sehen konnte, wo sie aufhörte, und das Bild, daß er und Lois an die Speichen eines großen Rads gebunden waren, kam ihm wieder in den Sinn. Wenn er recht hatte, dann war Atropos' Bau nur einen Steinwurf von der Stelle entfernt, wo Ed auf den dicken Mann mit den Düngerfässern auf der Ladefläche seines Pickups gestoßen war.