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Als die Schneide des Skalpells durch den Stoff stieß und ihn aufzuschlitzen begann, wirbelte Ralph Atropos herum, wobei er den Slip wie eine Schlinge durch die Luft schwang, mit der man einen Stein schleudert, und stieß ihn durch den Torbogen. Der Schaden wäre geringer gewesen, wenn Atropos gestürzt wäre, aber er stürzte nicht; seine Füße stießen zusammen, ohne sich jedoch zu überkreuzen. Er prallte klatschend gegen den Stein des Torbogens, stieß einen gedämpften Schmerzensschrei aus und sank auf die Knie. Blutflecken erblühten auf Lois' Nylonslip wie Blumen. Das Skalpell war wieder in den Schlitz hineingezogen worden, den es in den Stoff geschnitten hatte. Ralph sprang zu Atropos, als das Skalpell gerade wieder erschien und den ursprünglichen Schnitt vergrößerte, so daß das bestürzte, glotzäugige Gesicht der kahlköpfigen Kreatur sichtbar wurde. Seine Nase blutete; ebenso die Stirn und die rechte Schläfe. Bevor er sich aufrichten konnte, packte Ralph ihn an den schlüpfrigen rosa Ausbuchtungen seiner Schultern.

[Aufhören! Ich warne dich, Kurzer! Es wird dir leid tun, daß du je gebo-]

Ralph achtete nicht auf diese sinnlosen Drohgebärden und stieß Atropos mit aller Kraft nach vorn. Der Arm des Zwergs war immer noch in dem Slip verstrickt, und er landete voll auf dem Gesicht. Sein Schrei war teils Erstaunen, aber überwiegend Schmerz. Unglaublicherweise spürte Ralph Lois in seinem Hinterkopf, die ihm sagte, genug sei genug, er solle ihm nicht wehtun - solle dem kleinen Psychopathen nicht wehtun, der gerade versucht hatte, sie zu töten. Atropos versuchte, sich umzudrehen. Ralph rammte ihm das Knie zwischen die Schulterblätter und zwang ihn wieder nach unten.

[»Keine Bewegung, mein Freund. Ich mag dich genau da, wo du bist.«]

Er sah Lois an und stellte fest, daß ihr überraschender Wutanfall so schnell verschwunden war, wie er gekommen war wie ein seltsames Wetterphänomen. Ein Tornado vielleicht, der aus heiterem Himmel herabstößt, das Dach einer Scheune herunterreißt und dann wieder verschwindet. Aber ihr Finger zitterte nicht, als sie auf Atropos deutete.

[»Er hat meine Ohrringe, Ralph. Der gemeine kleine Dieb hat meine Ohrringe. Und er trägt sie auch noch!«]

[»Ich weiß. Ich habe es gesehen.«]

Eine Seite von Atropos' verzerrter Fratze ragte aus dem Schlitz im Nylon heraus wie das Gesicht des häßlichsten Babys der Welt im Augenblick der Geburt. Ralph konnte spüren, wie die Rückenmuskeln der kleinen Kreatur unter seinem Knie zitterten, und da fiel ihm ein altes Sprichwort ein, das er irgendwann einmal gelesen hatte... möglicherweise auf dem Etikett eines Teebeutels von Salada: Wer einen Tiger am Schwanz packt, sollte besser nicht loslassen. In dieser ungewöhnlichen unterirdischen Behausung, wo er sich vorkam wie der Held eines Märchens, das sich ein Irrer ausgedacht hatte, glaubte Ralph, daß er zu einem geradezu überirdischen Verständnis dieses Sprichworts gelangt war. Durch das Zusammenwirken von Lois' Wutanfall und schlichtem Scheißglück, war es ihm zumindest vorübergehend gelungen, den widerlichen kleinen Scheißer unterzubuttern. Die Frage - eine ziemlich drängende obendrein - war nun, wie es weitergehen sollte.

Die Hand mit dem Skalpell schnellte in die Höhe, aber der Schlag war schwach und wurde blind geführt. Ralph konnte ihm mühelos ausweichen, zuckte aber vor dem Geruch zurück, den die Schneide verströmte: alte Fleischfetzen, die in vergessenen Ecken eines alten Schlachthauses verfaulten. Der schluchzende und fluchende, keineswegs ängstliche, aber eindeutig verletzte und von rasender, ohnmächtiger Wut erfüllte Atropos holte wieder aus.

[Laß mich hoch, du zu groß geratener kurzfristiger Dreckskerl! Dummer alter Esel! Häßliches Faltengesicht!]

[»In letzter Zeit sehe ich ein bißchen besser aus, mein Freund. Ist dir das nicht auch aufgefallen?«]

[Arschloch! Dummes kurzfristiges Arschloch! Das wird dir noch leid tun! Das wird dir noch leid tun!]

Nun, dachte Ralph, wenigstens fleht er nicht. Ich hätte fast damit gerechnet, daß er jetzt anfängt zu flehen.

Atropos fuchtelte weiter kläglich mit dem Skalpell. Ralph wehrte zwei oder drei Stöße mühelos ab, dann legte er der Kreatur unter sich eine Hand um den Hals.

[»Ralph! Nein! Nicht!«]

Er schüttelte den Kopf in ihre Richtung, wußte aber nicht, ob er Ärger, Trost oder beides ausdrücken wollte. Er berührte Atropos' Haut und spürte, wie der erschauerte. Der kahlköpfige Doc stieß einen erstickten Schrei des Ekels aus, und Ralph wußte genau, wie ihm zumute war. Es war für sie beide ekelerregend, aber er nahm die Hand nicht weg. Statt dessen versuchte er, sie um Atropos' Hals zu schließen und war nicht besonders überrascht, daß er es nicht konnte. Aber hatte Lachesis nicht gesagt, daß sich nur Kurzfristige dem Willen von Atropos widersetzen konnten? Die Frage war nur, wie?

Unter ihm lachte Atropos häßlich.

[»Bitte, Ralph! Bitte nimm nur meine Ohrringe, und dann gehen wir!«]

Atropos verdrehte die Augen in ihre Richtung, dann sah er Ralph wieder an.

[Hast du gedacht, du könntest mich töten, Kurzer? Nun, das war wohl nichts.]

Nein, das hatte er nicht gedacht, aber er mußte es ganz sicher wissen.

[Das Leben ist beschissen, was, Kurzer? Warum gibst du mir nicht einfach den Ring zurück? Früher oder später werde ich ihn doch bekommen, das garantiere ich dir.]

[»Hol dich der Teufel, du kleine Ratte.«]

Große Worte, aber Worte konnten nichts ausrichten. Die drängendste Frage war immer noch unbeantwortet: Was, zum Teufel, sollte er mit diesem Monster anfangen?

Was auch immer, du wirst es nicht tun können, so lange Lois da steht und dich beobachtet, riet ihm eine kalte Stimme, die nicht ganz die von Carolyn war. Als sie wütend war, ging es gut mit ihr, aber jetzt ist sie nicht wütend. Sie ist zu zart besaitet für das, was als nächstes passieren wird, Ralph. Du mußt sie hier rausschaffen.

Er drehte sich zu Lois um. Sie hatte die Augen halb geschlossen. Es sah aus, als könnte sie sich unter dem Torbogen hinlegen und einschlafen.

[»Lois, ich möchte, daß du hier verschwindest. Sofort. Geh die Treppe hinauf und warte unter dem Baum aufm -«]

Das Skalpell schnellte wieder in die Höhe, und diesmal schnitt es fast Ralphs Nasenspitze ab. Er schrak zurück, und sein Knie rutschte auf Nylon ab. Atropos bäumte sich gewaltig auf und wäre um ein Haar unter ihm hervorgerollt. Im letzten Augenblick drückte Ralph dem kleinen Mann den Kopf mit dem Handballen hinunter - das, so schien es, ließen die Regeln zu - und rückte das Knie wieder zurecht.

[Auuul Auuul Aufhören! Du bringst mich um!]

Ralph beachtete ihn gar nicht, sondern sah Lois an.

[»Geh schon, Lois. Geh rauf! Ich komme nach, sobald ich kann!«]

[»Ich glaube nicht, daß ich alleine klettern kann. Ich bin zu müde.«]

[»Doch, du kannst. Du mußt, und du kannst.«]

Atropos fügte sich wieder - jedenfalls vorläufig -, ein kleines, keuchendes Bündel unter Ralphs Knie. Aber das reichte bei weitem noch nicht aus. Die Zeit verging im Flug, die Zeit verging viel zu schnell, und im Augenblick war die Zeit der wahre Gegner, nicht Ed Deepneau.

[»Meine Ohrringe...«]

[»Ich bringe sie mit, wenn ich komme, Lois. Ich verspreche es.«]

Lois richtete sich auf, wie es schien unter größter Anstrengung, und sah Ralph ernst an.

[»Du solltest ihm nicht wehtun, Ralph, wenn es sich vermeiden läßt. Es wäre nicht christlich.«]

Nein, ganz und gar nicht christlich, stimmte ein übermütiges kleines Wesen in Ralphs Kopf zu. Ganz und gar nicht christlich, aber trotzdem... ich kann es nicht erwarten, bis ich endlich anfangen kann.

[»Geh nur, Lois. Überlaß ihn mir.«]

Sie sah ihn traurig an.

[»Es würde nichts nützen, wenn du mir versprechen müßtest, ihm nicht wehzutun, oder?«]