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[»Okay, Sonnenschein, dann hör gut zu. Du mußt mir versprechen, daß du mich und Lois in Ruhe lassen wirst, bis die Veranstaltung im Bürgerhaus vorbei ist. Keine Verfolgung mehr, kein Durchschneiden, kein Quatsch. Versprich mir das.«]

[Verpiß dich! Nimm dein Versprechen und schieb es dir in den Arsch!]

Das erboste Ralph nicht; sein Lächeln wurde sogar noch breiter. Denn Atropos hatte nicht gesagt: Das werde ich nicht, und noch wichtiger, er hatte nicht gesagt: Das kann ich nicht. Er hatte nur nein gesagt. Ein kleiner Ausrutscher, mit anderen Worten, der sich leicht korrigieren ließ.

Ralph wappnete sich und strich mit dem Skalpell die ganze Länge von Atropos' Rücken entlang. Der Slip klaffte auf, die schmutzige weiße Tunika darunter klaffte auf, und die Haut unter der Tunika auch. Eine ekelhafte Menge Blut quoll heraus, und Atropos' gellender, gequälter Schrei hallte in Ralphs Ohren.

Er beugte sich nach vorne und flüsterte wieder in das kleine Ohr, während er gleichzeitig das Gesicht verzog, weil warmes Blut den Stoff seiner Hose tränkte.

[»Ich tu das nicht gern, Freundchen - noch etwa zwei Schnitte, und ich muß wieder kotzen -, aber du sollst wissen, daß ich es kann und auch tun werde, bis du mir entweder das Versprechen gegeben hast oder die Macht, die mich daran gehindert hat, dich zu erwürgen, mich wieder aufhält. Ich glaube, wenn du darauf wartest, wirst du höllische Schmerzen erleiden müssen. Also, was meinst du? Gibst du mir das Versprechen, oder soll ich dich schälen wie eine Apfelsine?«]

Atropos blubberte. Es war ein ekelerregender, schrecklicher Laut.

[Du verstehst nicht! Wenn es dir gelingt, zu verhindern, was begonnen worden ist - die Chancen sind nicht groß, aber es wäre möglich -, werde ich von dem Wesen bestraft werden, das du den Scharlachroten König nennst!]

Ralph biß die Zähne zusammen und stieß wieder zu, wobei er die Lippen so fest zusammenpreßte, daß sein Mund wie eine längst verheilte Narbe aussah. Er spürte einen leichten Widerstand, als die Schneide des Skalpells durch Knorpel glitt, und dann fiel das linke Ohr von Atropos auf den Boden. Blut spritzte aus dem Loch in seinem kahlen Kopf, und diesmal war sein Schrei so laut, daß er Ralph in den Ohren weh tat.

Sie sind wirklich und wahrhaftig keine Götter, was? dachte Ralph. Ihm war übel vor Grauen und Ekel. Der einzige Unterschied zwischen ihnen und uns besteht darin, daß sie länger leben und nicht so leicht zu sehen sind. Und ich schätze, ich bin kein guter Soldat - wenn ich das viele Blut nur sehe, könnte ich schon umkippen. Scheiße.

[Ja, gut, ich verspreche es! Hör auf, mich zu schneiden! Nicht mehr! Bitte, nicht mehr!]

[»Das ist immerhin ein Anfang, aber du wirst schon etwas deutlicher werden müssen. Ich möchte hören, wie du mir versprichst, daß du von mir und Los wegbleibst, und von Ed auch, bis die Veranstaltung im Bürgerzentrum vorbei ist.«]

Er rechnete mit weiteren Ausflüchten und Gegenwehr, aber Atropos überraschte ihn.

[Ich verspreche es! Ich verspreche, daß ich mich von dir fernhalte, und von dem Weibsstück, mit dem du dich herumtreibst -]

[»Lois. Sag ihren Namen. Lois.«]

[»Ja, ja - sie - Lois Chasse! Ich verspreche, daß ich nicht in ihre Nähe kommen, und auch nicht in die von Deepneau. Ich halte mich von euch allen fern, wenn du nur versprichst, daß du mich nicht mehr schneidest. Bist du nun zufrieden? Ist das gut genug? Gottverdammt!]

Ralph entschied, daß er zufrieden war... so zufrieden ein Mann nur sein kann, den seine Methoden und sein eigenes Vorgehen zutiefst abstoßen. Er glaubte nicht, daß es Stolperfallen in Atropos' Versprechen gab; der kleine Mann wußte, später würde er vielleicht einen hohen Preis dafür bezahlen müssen, daß er jetzt nachgegeben hatte, aber letzten Endes hatte das die Schmerzen und die Angst nicht übertreffen können, die Ralph über ihn gebracht hatte.

[»Ja, Mr. A., ich glaube, das ist gut genug.«]

Als Ralph von seinem kleinen Opfer herunterrollte, hatte er ein flaues Gefühl im Magen und den Eindruck - der falsch sein mußte, oder nicht? -, daß sich sein Hals öffnete und schloß wie die Schale einer Muschel. Er betrachtete einen Moment das blutbefleckte Skalpell, dann beugte er den Arm und warf es so weit weg, wie er konnte. Es flog durch den Torbogen und verschwand im angrenzenden Lagerraum.

Aber dafür, dachte Ralph. Nun war ihm nicht mehr nach Erbrechen zumute. Mehr zum Weinen.

Atropos erhob sich langsam auf die Knie und sah sich mit den benommenen Augen eines Mannes um, der einen ungeheuren Sturm überlebt hat. Er sah sein Ohr auf dem Boden liegen und hob es auf. Er drehte es in seinen kleinen Händen und betrachtete die Knorpelstränge an der Rückseite. Dann sah er zu Ralph auf. Tränen des Schmerzes und der Demütigung schwammen in seinen Augen, aber es war auch noch etwas anderes darin zu sehen - eine so ungeheure und tödliche Wut, daß Ralph davor zurückschrak. Seine Vorsichtsmaßnahmen und Vorkehrungen wirkten angesichts dieser Wut lächerlich unzureichend. Er wich einen taumelnden Schritt zurück und zeigte mit einem zitternden Finger auf Atropos.

[»Denk an dein Versprechen.«]

Atropos fletschte die Zähne zu einem tückischen Grinsen. Der Hautlappen an der Seite seines Gesichts schwang hin und her wie ein schlaffes Segel, das rohe Fleisch darunter näßte und blutete.

[Selbstverständlich denke ich daran - wie könnte ich es vergessen? Ich werde dir sogar noch eines machen. Zwei zum Preis von einem, könnte man sagen.]

Atropos machte eine Geste, an die sich Ralph noch deutlich vom Dach des Krankenhauses erinnerte, er spreizte die ersten beiden Finger der rechten Hand zu einem V und zog sie nach oben, so daß ein roter Bogen in der Luft entstand. Dahinter konnte man undeutlich, wie durch einen Nebel aus Blutstropfen, das Red Apple erkennen. Er wollte fragen, wer da im Vordergrund am Bordstein der Harris Avenue stand... aber dann wußte er es plötzlich. Er sah Atropos mit erschrockenen Augen an.

[»Himmel, nein! Das kannst du nicht!«]

Das Grinsen auf Atropos' Gesicht wurde noch breiter.

[Weißt du, das hatte ich auch von dir gedacht, Kurzer. Aber ich habe mich geirrt. Du auch. Paß auf.]

Atropos bewegte die gespreizten Finger ein Stück weiter. Ralph sah jemand mit einer Baseballmütze der Boston Red Sox aus dem Red Apple kommen, und diesmal wußte Ralph sofort, wen er vor sich sah. Diese Peerson rief der anderen auf der gegenüberliegenden Straßenseite etwas zu, und dann spielte sich etwas Schreckliches ab. Ralph wandte sich voller Ekel von dem blutigen Bild der Zukunft zwischen Atropos' winzigen Fingern ab.

Aber er hörte, als es passierte.

[Der, den ich dir als ersten gezeigt habe, gehört dem Zufall, Kurzer - mit anderen Worten, mir. Und nun kommt mein Versprechen: Wenn du mir weiter in die Quere kommst, wird passieren, was ich dir gerade gezeigt habe. Du kannst nichts tun, keine Warnung aussprechen, die es verhindern wird. Aber wenn du jetzt aufgibst — wenn du und die Frau, wenn ihr beide einfach zur Seite tretet und die Ereignisse ihren Lauf nehmen laßt -, dann verzichte ich darauf.]

Die Obszönitäten, die so einen großen Teil von Atropos üblichen Sprüchen bildeten, waren abgestreift worden wie ein gebrauchtes Kostüm, und zum erstenmal wurde Ralph bewußt, wie wahrhaft alt und auf bösartige Weise gerissen dieses Wesen war.

[Denk daran, was die Junkies sagen, Kurzer: Sterben ist leicht, Leben ist hart. Das ist ein wahres Sprichwort. Wenn einer das wissen muß, dann ich. Also, was meinst du? Kommen dir Zweifel?]

Ralph stand mit gesenktem Kopf und geballten Fäusten in der schmutzigen Kammer. Lois' Ohrringe brannten in einer Hand wie kleine, heiße Kohlen. Auch Eds Ring schien an seinem Körper zu brennen, und er wußte, nichts auf der Welt würde ihn daran hindern, ihn aus der Tasche zu holen und wie das Skalpell ins Nebenzimmer zu werfen. Er erinnerte sich an eine Geschichte, die er vor etwa tausend Jahren in der Schule gelesen hatte. Sie trug den Titel »Die Dame - oder der Tiger?«, und nun wußte er, wie es war, wenn man eine so schreckliche Macht besaß... und vor einer so schrecklichen Entscheidung stand. Oberflächlich gesehen schien es einfach zu sein; was war schon ein Leben verglichen mit zweitausenddreihundert?