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Und ein kleines Kind wird sie führen, dachte er völlig verblüfft. O mein Gott. Er sah Klotho und Lachesis ungläubig an.

[»Verstehe ich das richtig? Dies alles dreht sich nur um diesen kleinen Jungen?«]

Er rechnete mit weiteren Ausflüchten, aber die Antwort von Klotho war einfach und direkt: [Ja, Ralph.]

Lachesis: [Er hält sich gerade im Bürgerzentrum auf. Seine Mutter, deren Leben ihr heute morgen auch gerettet habt, bekam vor einer knappen Stunde einen Anruf von ihrer Babysitterin, daß sie sich schlimm an einem Stück Glas verletzt hat und heute abend doch nicht auf das Kind aufpassen kann. Da war es selbstverständlich schon zu spät, einen anderen Babysitter zu finden, und diese Frau ist seit Wochen fest entschlossen, Susan Day zu sehen... ihr de Hand zu schütteln, wenn möglich, sie sogar zu umarmen. Sie vergöttert diese Day.]

Ralph, der sich an die verblassenden Blutergüsse in ihrem Gesicht erinnern konnte, stellte fest, daß er Verständnis für diese Vergötterung hatte. Etwas anderes verstand er noch besser: Die Verletzung des Babysitters war kein Zufall gewesen. Etwas war entschlossen, den kleinen Jungen mit den blonden Strähnen und den vom Rauch geröteten Augen ins Bürgerzentrum zu bringen, und war bereit, Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen, um es zu erreichen. Seine Mutter hatte ihn nicht mitgenommen, weil sie eine schlechte Mutter war, sondern auch nur ein Mensch, wie alle anderen. Sie hatte ihre große Chance, Susan Day kennenzulernen, nicht verpassen wollen, das war alles.

Nein, das ist nicht alles, dachte Ralph. Sie hat ihn auch mitgenommen, weil sie glaubte, es wäre sicher, nachdem Pickering und seine Irren von Daily Bread alle tot sind. Sie mußte gedacht haben, daß sie ihren Sohn schlimmstenfalls vor ein paar schilderschwingenden Abtreibungsgegnern beschützen müßte, daß sie und ihren Sohn unmöglich gleich zweimal an einem Tag der Blitz treffen konnte, Ralph hatte zur Witcham Street gesehen. Jetzt wandte er sich wieder Klotho und Lachesis zu.

[»Seid ihr sicher, daß er dort ist? Ohne Zweifel?«]

Klotho: [Ja. Er sitzt neben seiner Mutter auf dem nördlichen Balkon und hat ein Poster von McDonald's zum Anmalen und ein paar Märchenbücher dabei. Überrascht es Sie, daß eines der Bücher The 500 Hats of Bartholomew Cubbins ist?]

Ralph schüttelte den Kopf. Im Augenblick überraschte ihn gar nichts mehr.

Lachesis: [Deepneaus Flugzeug wird die Nordseite des Bürgerzentrums angreifen. Der kleine Junge wird auf der Stelle sterben, wenn nichts unternommen wird, um es zu verhindern... aber es darf nicht geschehen. Der Junge darf auf keinen Fall vor seiner planmäßigen Zeit sterben.]

Lachesis sah Ralph ernst an. Der blau-grüne Fächer aus Licht zwischen seinen Fingern war verschwunden.

[Wir können nicht weiter diskutieren, Ralph - er ist schon in der Luft, keine hundert Meilen von hier. Bald wird es zu spät sein, ihn aufzuhalten.]

Daraufhin geriet Ralph fast außer sich, blieb aber dennoch gelassen stehen. Schließlich wollten sie, daß er außer sich geriet. Daß sie beide außer sich gerieten.

[»Ich sage euch, daß das alles keine Rolle spielt, bis ich nicht verstanden habe, worum es eigentlich geht. Ich werde nicht zulassen, daß es eine Rolle spielt.«]

Klotho: [Dann hören Sie zu. Ab und zu kommt ein Mann oder eine Frau daher, deren Leben nicht nur seine direkte Umwelt oder auch nur alle in der Welt der Kurzfristigen beeinflußt, sondern auch diejenigen auf vielen Ebenen über und unter der Welt der Kurzfristigen. Diese Menschen sind die Großen, und ihr Leben dient immer dem Plan. Wenn sie zu früh geholt werden, verändert sich alles. Die Verhältnisse sind nicht mehr im Gleichgewicht. Können Sie sich beispielsweise vorstellen, wie verändert die Welt heute aussehen würde, wenn Hitler als Baby in der Badewanne ertrunken wäre? Sie denken vielleicht, die Welt wäre besser dran, aber ich kann Ihnen sagen, die Welt würde überhaupt nicht mehr existieren, wenn das geschehen wäre. Angenommen, Winston Churchill wäre an Lebensmittelvergiftung gestorben, bevor er Premierminister werden konnte? Angenommen, Augustus wäre totgeboren worden, von seiner eigenen Nabelschnur erwürgt? Aber die Person, die Sie retten sollen, ist viel wichtiger als sie alle.]

[»Verdammt, Lois und ich haben den Jungen schon einmal gerettet! Ist der Fall damit nicht abgeschlossen und er wieder dem Plan zurückgegeben?«]

Lachesis, geduldig: [Ja, aber er ist nicht sicher vor Ed Deepneau, denn Deepneau hat weder im Plan noch im Zufall eine Bestimmung. Von allen Menschen auf der Welt kann nur Deepneau ihm ein Leid zufügen, bevor seine Zeit gekommen ist. Wenn Deepneau scheitert, ist der Junge wieder sicherer, wird seine Zeit ruhig verbringen, bis sein Augenblick gekommen ist und er die Bühne betritt, um seine kurze aber bedeutende Rolle zu spielen.]

[»Demnach bedeutet ein Leben so viel?«]

Lachesis: [Ja. Wenn dieses Kind stirbt, wird der Turm der gesamten Existenz fallen, und die Folgen dieses Falls übersteigen Ihre Vorstellungskraft. Und unsere ebenfalls.]

Ralph betrachtete einen Moment seine Schuhe. Sein Kopf schien tausend Pfund zu wiegen. Er hatte es hier mit einer Ironie zu tun, die er trotz seiner Müdigkeit mühelos begreifen konnte. Atropos hatte Ed in Bewegung gesetzt, indem er einen möglicherweise bereits latent vorhandenen Messiaskomplex zu hellen Flammen entfacht hatte. Ed sah nicht - und würde es auch nicht glauben, wenn man es ihm sagen würde -, daß Atropos und seine Bosse auf den höheren Ebenen ihn nicht benutzen wollten, um den Messias zu retten, sondern um ihn zu töten.

Er sah wieder in die ängstlichen Gesichter der beiden kahlköpfigen Ärzte.

[»Okay, ich habe keine Ahnung, wie ich Ed aufhalten soll, aber ich werde es versuchen.«]

Klotho und Lachesis sahen einander an und ließen beide dasselbe (und ausgesprochen menschliche) Lächeln der Erleichterung sehen. Ralph hob mahnend einen Finger.

[»Moment. Ihr habt noch nicht alles gehört.«]

Das Lächern erlosch.

[»Ich will etwas von euch zurück. Ein Leben. Ich tausche das Leben eures vierjährigen Jungen gegen -«]

Sie hörte das Ende davon nicht mehr; seine Stimme sank einen Augenblick unter die Schwelle des Hörbaren, aber als Lois sah, wie zuerst Klotho und dann Lachesis die Köpfe senkten, verließ sie der Mut.

Lachesis: [Ich verstehe Ihre Zwickmühle, zumal Atropos ganz sicher tun kann, was er angedroht hat. Aber Sie müssen einsehen, daß dieses eine Leben kaum so bedeutend ist wie -]

Ralph: [»Aber für mich schon, begreift ihr nicht? Für mich schon. Ihr Jungs müßt in die Köpfe bekommen, daß für mich beide Leben gleich wichtig sind -«]

Sie verstand wieder nicht alles, aber Klotho konnte sie deutlich verstehen; er war dermaßen verzweifelt, daß er fast winselte.

[Aber das ist etwas anderes! Das Leben dieses Jungen ist etwas anderes!]

Jetzt hörte sie Ralph deutlich sprechen (wenn man es überhaupt als sprechen bezeichnen konnte), und zwar mit einer furchtlosen, unerbittlichen Logik, bei der Lois an ihren Vater denken mußte.

[»Alle Leben sind verschieden. Alle sind wichtig oder keines ist wichtig. Das ist selbstverständlich nur meine engstirnige Kurzfristigenansicht, aber ich denke, ihr Jungs werdet euch damit abfinden müssen, da ich derjenige mit dem Hammer bin. Es läuft darauf hinaus: Ich mache einen Tausch. Das Leben, das euch wichtig ist, gegen das Leben, das mir wichtig ist. Ihr müßt mir nur euer Wort geben, dann sind wir uns einig.«]

Lachesis: [Ralph, bitte! Bitte verstehen Sie doch, daß wir das wirklich nicht dürfen!]

Es folgte ein langer Augenblick des Schweigens. Als Ralph wieder das Wort ergriff, war seine Stimme leise, aber trotzdem hörbar. Es war allerdings das letzte völlig deutlich Verständliche, das Lois von der Unterhaltung mitbekam.

[»Es besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen nicht können und nicht dürfen, meint ihr nicht auch?«]