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Jetzt, wo der schreckliche Vorgang tatsächlich begonnen hatte, handelte Klotho mit einer Schnelligkeit, die barmherzig und brutal zugleich war. Er führte rasch einen Schnitt an Ralphs Arm entlang bis zum Handgelenk aus, so wie ein Mann ein fest zugeklebtes Päckchen mit einer Schere öffnen würde, wobei er die Schneide mit den Fingern führte und mit dem Daumen niederdrückte. In Ralphs Arm glänzten Sehnen wie die Schnittflächen von Steaks. Blut lief in Rinnsalen herab, und jedesmal, wenn eine Ader durchschnitten wurde, spritzte es auf. Bald verunzierten Spritzer die weißen Kittel der beiden kleinen Männer, wodurch sie mehr denn je wie kleine Ärzte aussahen.

Als die Schere schließlich die Bänder an Ralphs Handgelenken durchschnitt (die »Operation« dauerte keine drei Sekunden, kam Lois aber wie eine Ewigkeit vor), nahm Klotho die tropfende Schere weg und gab sie Lachesis. Ralphs nach oben gedrehter Arm war vom Ellbogen bis zum Handgelenk aufgeschnitten worden, eine dunkle Furche. Klotho preßte die Hand auf den Ursprung dieser Furche, und Lois dachte: Jetzt wird der andere Ralphs Pullover aufheben und einen Druckverband daraus machen. Aber Lachesis tat nichts dergleichen; er hielt nur die Schere und sah zu.

Einen Augenblick floß das Blut noch zwischen Klothos Fingern hervor, dann hörte es auf. Er zog langsam die Hand an Ralphs Arm hinunter, und die Haut, die unter seinem Griff hervorkam, war unversehrt und fest, aber von einem dicken, weißen Strang Narbengewebe verunziert.

[Lois... Lo-isssss...]

Diese Stimme kam weder aus ihrem Kopf noch von der Stelle bergab; sie kam von hinter ihr. Eine leise Stimme, fast einschmeichelnd. Atropos? Nein, ganz und gar nicht. Sie sah nach unten und erblickte ein grünes und irgendwie versunkenes Licht, das um sie herum schwebte - es strahlte zwischen ihren Armen und Beinen, sogar zwischen ihren Fingern hindurch. Es versetzte ihren hageren und irgendwie verzerrten Schatten in wallende Bewegung, wie den Schatten einer Gehenkten. Es liebkoste sie mit kalten Fingern, die die Farbe von graugrünen Flechten hatten.

[Dreh dich um, Lo-isss... ]

In diesem Augenblick wollte sich Lois als allerletztes auf der Welt umdrehen und die Quelle dieses grünen Lichts ansehen.

[Dreh dich um, Lo-isss... sieh mich an, Lo-isss... komm ins Licht, Lo-isss... komm ins Licht... sieh mich an und komm ins Licht... ]

Es war unmöglich, der Stimme zu widerstehen. Lois drehte sich so langsam wie eine Ballerina um, deren Gelenke eingerostet sind, und in ihren Augen schien Elmsfeuer zu flackern.

Lois kam ins Licht.

Kapitel 28

Klotho: [Jetzt haben Sie Ihr sichtbares Zeichen, Ralph-sind Sie zufrieden?]

Ralph betrachtete seinen Arm. Die Schmerzen, die ihn verschluckt hatten, wie der Wal Jonas verschluckt hatte, kamen ihm bereits wie ein Traum oder ein Trugbild vor. Er vermutete, daß derselbe Akt der Distanzierung es Frauen ermöglichte, viele Babys zu bekommen, weil sie nach jeder vollbrachten Geburt die starken Schmerzen und Anstrengungen vergaßen. Die Narbe sah wie eine unregelmäßige weiße Kordel aus, die sich über die Wölbungen seiner kümmerlichen Muskeln spannte.

»Ja. Ihr wart tapfer und sehr schnell. Für beides danke ich euch.«]

Klotho lächelte, sagte aber nichts.

Lachesis: [Ralph, sind Sie bereit? Die Zeit wird jetzt sehr knapp.]

[»Ja, ich bin -«]

[»Ralph! Ralph!«]

Das war Lois, die oben auf dem Hügel stand und ihm winkte. Einen Augenblick hatte ihre Aura den normalen taubengrauen Farbton verloren und eine andere, dunklere Tönung angenommen, aber dann verschwand der Eindruck, der zweifellos von dem Schock und seiner Müdigkeit herrührte. Er stapfte den Hügel hinauf zu ihr.

Lois' Augen waren distanziert und benommen, als hätte sie gerade ein erstaunliches Wort vernommen, das ihr Leben verändern würde.

[»Lois, was ist denn? Was hast du? Ist es mein Arm? Wenn ja, mußt du dir keine Sorgen machen. Schau her! So gut wie neu!«]

Er hielt ihn hoch, damit sie sich selbst vergewissern konnte, aber Lois sah ihn nicht an. Statt dessen sah sie ihm ins Gesicht, und er erkannte das Ausmaß ihres Schocks.

[»Ralph, ein grüner Mann ist gekommen.«]

Ein grüner Mann? Er ergriff sofort besorgt ihre Hände.

[»Grün? Bist du sicher? War es nicht Atropos oder -«]

Er führte den Gedanken nicht zu Ende. Es war nicht nötig.

Lois schüttelte langsam den Kopf.

[»Es war ein grüner Mann. Wenn es in diesem Spiel Seiten gibt, weiß ich nicht, auf welcher dieser... diese Person... steht. Er schien gut zu sein, aber ich könnte mich irren. Ich konnte ihn nicht sehen. Seine Aura war zu grell. Er sagte mir, daß ich dir die hier wiedergeben soll.«]

Sie streckte die Hand aus und ließ zwei kleine, glitzernde Gegenstände auf seine Handfläche fallen: ihre Ohrringe. Er konnte auf einem einen kastanienfarbenen Fleck sehen und vermutete, daß das Atropos' Blut war. Er wollte die Hand darum schließen, zuckte aber zusammen, als er einen stechenden Schmerz verspürte. Er betrachtete seine Fingerspitze und sah wieder Blut - diesmal sein eigenes.

[»Du hast die Verschlüsse vergessen, Lois.«]

Sie sprach langsam und nuschelnd, wie eine Frau in einem Traum.

[»Nein, habe ich nicht - ich habe sie weggeworfen. Der grüne Mann hat es gesagt. Sei vorsichtig. Er schien... gütig...zu sein, aber ich bin mir nicht sicher, oder? Mr. Chasse hat immer gesagt, ich wäre die leichtgläubigste Frau auf der Welt und immer bereit, von allen nur das Beste zu denken. Von jedem.«]

Sie streckte langsam die Hand aus und ergriff seine Handgelenke, während sie ihm ununterbrochen ernst ins Gesicht sah.

»Ich weiß es einfach nicht.«

Daß sie den Gedanken laut aussprach, schien sie aufzuwecken, und sie schaute ihn blinzelnd an. Ralph vermutete, es wäre möglich - gerade noch denkbar -, daß sie tatsächlich geschlafen, daß sie diesen sogenannten »grünen Mann« geträumt hatte. Aber vielleicht wäre es klüger, einfach die Ohrringe zu nehmen. Sie bedeuteten vielleicht nichts, aber andererseits konnte es auch nicht schaden, Lois' Ohrringe in der Tasche zu haben... das heißt, wenn er sich nicht daran piekste.

Lachesis: [Ralph, was ist denn? Stimmt etwas nicht?]

Er und Klotho waren langsam nachgekommen und hatten daher Ralphs Gespräch mit Lois nicht mitbekommen. Ralph schüttelte den Kopf und drehte die Hand, um die Ohrringe vor ihnen zu verbergen. Klotho hatte seinen Pullover aufgehoben und strich die wenigen bunten Blätter weg, die daran klebten. Dann hielt er ihn Ralph hin, der unauffällig Lois' Ohrringe ohne die Verschlüsse in der Tasche verschwinden ließ, bevor er ihn wieder anzog.

Es wurde Zeit zu handeln, und die warme Linie in der Mitte seines Arms - entlang der Narbe - sagte ihm, womit er anfangen mußte.

[»Lois?«]

[»Ja, Darling?«]

[»Ich muß von deiner Aura nehmen, und zwar eine Menge. Verstehst du das?«]

[»Ja.«]

[»Ist das in Ordnung?«]

[»Ja, selbstverständlich.«]