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- an die guten Söhne, die sich von dem nackten alten Mann auf seinem Bett abgewendet hatten, und den böse Sohn, der hingesehen... und gelacht hatte.

Sanft schob er Sues Arm weg und seinen eigenen hin. Helens unversehrtes Auge drehte sich zu ihm. Diesmal sprach sie seinen Namen deutlicher aus, positiver, und als Ralph die Dankbarkeit in der nuschelnden Stimme hörte, war ihm zum Weinen zumute.

»Sue - nehmen Sie das Baby. Bill hat keine Ahnung.«

Sie gehorchte und nahm Nat sanft und geübt in die Arme. McGovern schenkte ihr ein dankbares Lächeln, und plötzlich merkte Ralph, was an seinem Äußeren nicht stimmte. McGovern trug seinen Panamahut nicht, der ebenso zu ihm zu gehören schien (jedenfalls im Sommer) wie die Geschwulst auf seinem Nasenansatz.

»He, Mister, was ist denn passiert?« fragte einer der Baseballjungs.

»Nichts, das dich etwas angehen würde«, sagte Ralph.

»Sieht aus, als hätte sie ein paar Runden mit Riddick Bowe hinter sich.«

»Nee, Tyson«, sagte einer der anderen Baseballjungs, und dann lachten sie unvorstellbarerweise.

»Verschwindet!« schrie Ralph sie plötzlich wütend an. »Geht eure Zeitungen austragen! Kümmert euch um eure Angelegenheiten!«

Sie schlurften ein paar Schritte zurück, aber keiner entfernte sich. Immerhin sahen sie echtes Blut hier, und nicht auf einer Kinoleinwand.

»Helen, kannst du gehen?«

»Ja«, sagte sie. »Glaube son.«

Er führte sie vorsichtig um die offene Tür herum und ins Red Apple. Sie bewegte sich langsam und schlurfte von einem Fuß auf den anderen wie eine alte Frau. Der Geruch von Schweiß und verbrauchtem Adrenalin drang als saurer Gestank aus ihren Poren, und Ralph spürte, wie sich ihm wieder der Magen umdrehte. Es lag nicht an dem Geruch, wirklich nicht; es lag an seinem Bemühen, diese Helen mit der adretten und attraktiven Frau in Einklang zu bringen, mit der er erst gestern gesprochen hatte, als sie in ihrem Vorgarten gearbeitet hatte._

Plötzlich fiel Ralph noch etwas von gestern ein. Helen hatte blaue Shorts getragen, ziemlich weit oben abgeschnitten, und da waren ihm zwei Blutergüsse an ihren Beinen aufgefallen ein großer, gelber Fleck oben am linken Oberschenkel und ein frischerer, dunkler an der rechten Wade.

Er ging mit Helen auf den kleinen Bürobereich hinter der Registrierkasse zu. Als er in den konvexen Überwachungsspiegel in der Ecke sah, erblickte er McGovern, der Sue die Tür aufhielt.

»Schließ die Tür ab«, sagte er über die Schulter.

»Herrgott, Ralph, ich darf nicht...«

»Nur ein paar Minuten«, sagte Ralph. »Bitte.«

»Nun... okay. Denke ich.«

Ralph hörte das Klicken des Schlosses, als er Helen auf den Plastiksessel hinter dem unordentlichen Schreibtisch sinken ließ. Er griff zum Telefon und schlug auf die Taste 911. Aber bevor das Telefon am anderen Ende läuten konnte, wurde eine blutige Hand ausgestreckt und drückte auf den grauen Unterbrechungsknopf.

»Gicht... Ral.« Helen schluckte gequält und versuchte es noch einmal. »Nicht.«

»Doch«, sagte Ralph. »Ich werde anrufen.«

Jetzt sah er Angst in ihrem guten Auge, das nichts Stumpfes mehr an sich hatte.

»Nein«, sagte sie. »Bitte, Ralph. Nicht.« Sie sah an ihm vorbei und streckte wieder die Hände aus. Als Ralph den unterwürfigen, flehenden Ausdruck in ihrem Gesicht sah, zuckte er vor Mißfallen zusammen.

»Ralph?« fragte Sue. »Sie will das Baby.«

»Ich weiß. Nur zu.«

Sue gab Natalie an Helen, und Ralph sah zu, wie das Baby -das inzwischen etwas über ein Jahr alt sein mußte, da war er ziemlich sicher - die Arme um den Hals seiner Mutter schlang und das Gesicht an ihre Schulter drückte. Helen küßte Nats Kopf. Es tat ihr eindeutig weh, aber sie machte es noch einmal. Und noch einmal. Ralph, der auf sie hinunterschaute, konnte geronnenes Blut wie Schmutz auf Helens Nacken erkennen. Als er das sah, pochte wieder die Wut in ihm.

»Es war Ed, richtig?« fragte er. Natürlich war er es gewesen -man hinderte niemanden daran, 911 anzurufen, wenn man von einem Wildfremden zusammengeschlagen worden war -, aber er mußte es fragen.

»Ja«, sagte sie. Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, die Antwort ein Geheimnis, das sie ins feine, seidige Haar ihres Babys hauchte. »Ja, es war Ed. Aber das darfst du nicht der Polizei erzählen.« Jetzt sah sie mit Augen voll Angst und Elend zu ihm auf. »Bitte ruf die Polizei nicht an, Ralph. Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß Natalies Dad im Gefängnis sitzt wegen... wegen...«

Helen fing an zu weinen. Natalie sah ihre Mutter einen Moment mit einem Ausdruck komischer Überraschung an, dann stimmte sie ein.

7

»Ralph?« fragte McGovern zögernd. »Möchtest du ihr eine Tylenol oder so was geben?«

»Besser nicht«, sagte er. »Wir wissen nicht, was ihr fehlt, wie schlimm die Verletzungen sind.« Sein Blick wanderte zum Schaufenster, er wollte nicht sehen, was da draußen war, hoffte, es nicht zu sehen, und sah es trotzdem: neugierige Gesichter in einer Reihe bis zu der Stelle, wo der Kühlschrank mit dem Bier den Blick ins Innere verdeckte. Manche hielten die Hände seitlich ans Gesicht, um das Gleißen zu mildern.

»Was sollen wir tun, Männer?« fragte Sue. Sie betrachtete die Gaffer und zupfte nervös am Saum der Red Apple-Schürze, die Angestellte tragen mußten. »Wenn die Firmenleitung herausfindet, daß ich während der Geschäftszeit die Tür abgeschlossen habe, können sie mich feuern.«

Helen zupfte an seiner Hand. »Bitte, Ralph«, wiederholte sie, aber mit ihren geschwollenen Lippen hörte es sich wie Biii, Raff an. »Ruf niemand an.«

Ralph sah sie unsicher an. Er hatte im Lauf seines Lebens viele Frauen mit Blutergüssen gesehen, und einige (aber um ehrlich zu sein, nicht viele), die schlimmer zusammengeschlagen worden waren als Helen. Aber es hatte nicht immer so schlimm ausgesehen. Sein Denken und seine Moralvorstellungen waren in einer Zeit geprägt worden, als die Leute glaubten, was hinter verschlossenen Türen zwischen Mann und Frau in der Ehe vor sich ging, sei ausschließlich deren Sache, das galt auch für den Mann, der mit den Fäusten zuschlug, und die Frau, die mit ihrer spitzen Zunge Schaden zufügte. Man konnte die Leute nicht zwingen, sich zu benehmen, und wenn man sich in ihre Angelegenheiten einmischte - selbst mit besten Absichten -, wurden nicht selten Freunde zu Feinden.

Aber dann dachte er daran, wie sie Natalie getragen hatte, als sie über den Parkplatz gestolpert war: achtlos auf der Hüfte wie ein Schulbuch. Wenn sie das Baby auf dem Parkplatz fallengelassen hätte, oder als sie die Harris Avenue überquerte, hätte sie es wahrscheinlich nicht gemerkt; Ralph vermutete, daß nur ein Instinkt Helen veranlaßt hatte, das Baby überhaupt mitzunehmen. Sie hatte Nat nicht in der Obhut des Mannes zurücklassen wollen, der sie so schlimm verprügelt hatte, daß sie nur noch aus einem Auge sehen und nuschelnde, verschliffene Silben von sich geben konnte.

Er dachte aber auch noch an etwas anderes, etwas, das mit Carolyns Tod Anfang des Jahres zu tun hatte. Das Ausmaß seines Kummers hatte ihn überrascht - immerhin hatte er mit ihrem Tod rechnen können; er hatte geglaubt, er hätte den größten Teil seines Kummers noch zu Carolyns Lebzeiten aufgebraucht -, und dieser Kummer hatte ihn linkisch und hilflos gemacht, als es um die letzten Vorkehrungen gegangen war, die getroffen werden mußten. Es war ihm gelungen, das Bestattungsinstitut Brookings-Smith anzurufen, aber Helen hatte die Todesanzeige in die Derry News gesetzt und ihm geholfen, sie abzufassen, Helen war mit ihm gegangen, einen Sarg auszuwählen (McGovern, der den Tod verabscheute, und alles, was damit zusammenhing, hatte sich dünne gemacht); und Helen hatte ihm geholfen, ein Blumenbukett auszusuchen -auf dem Meiner geliebten Frau stand. Und selbstverständlich hatte Helen den Leichenschmaus hinterher organisiert, Sandwiches bei Frank's Lieferservice bestellt und alkoholfreie Getränke und Bier aus dem Red Apple geholt.