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Ralph schob sich über Eds Schoß nach vorne und sah das Bürgerzentrum dem Flugzeug förmlich entgegenspringen. Er zog den Steuerknüppel so weit er konnte nach links, und unter ihm - direkt unter ihm - drehte sich das Bürgerzentrum wieder zur Seite der dem Untergang geweihten Windschutzscheibe der Cherokee... aber es bewegte sich quälend langsam.

Ralph stellte fest, daß er etwas in dem Cockpit riechen konnte -ein schwaches Aroma, das süßlich und vertraut zugleich war. Bevor er sich überlegen konnte, was es sein mochte, sah er etwas, das ihn völlig ablenkte. Im Geiste hörte er John Leydecker wieder fragen, wem dieser Brontosaurier gehörte, und hörte sich antworten, daß es sein Brontosaurier sei.

Mein Gott, dachte Ralph mehr staunend als ängstlich. Ich glaube, ich lande auf meinem eigenen Vordersitz.

Der süßliche Geruch war stärker, und als plötzlich Hände seine Schultern ergriffen, wurde ihm klar, daß es das Parfüm von Lois Chasse war.

»Komm hoch!« schrie sie. »Ralph, du Dummkopf, du mußt -«

Er dachte nicht nach; er tat es einfach. Das Ding in seinem Geist verkrampfte sich, das Blinzeln fand statt, und er hörte den Rest von dem, was sie zu sagen hatte, in der unheimlichen, durchdringenden Weise, die mehr Denken als Sprechen war.

[»-heraufkommen! Stemm dich mit den Füßen ab!«]

Zu spät, dachte er, befolgte ihren Rat aber trotzdem, stützte die Füße auf das schräg geneigte Armaturenbrett und stieß sich so fest er konnte ab. Er spürte, wie Lois mit ihm durch den Schacht der Existenz emporstieg, während die Cherokee die letzten dreißig Meter zwischen sich und dem Boden zurücklegte, und als sie in die Höhe schössen, spürte er, wie sich eine plötzliche Ladung der Energie von Lois um ihn legte und ihn zurückriß wie ein Bungeeseil. Er erlebte kurz das ekelerregende Gefühl, als würde er in zwei Richtungen gleichzeitig fliegen.

Ralph konnte einen letzten Blick auf Ed Deepneau werfen, der an der Seitenwand des Cockpits lehnte, aber in einem sehr realen Sinne sah er ihn überhaupt nicht. Die gelb-graue Aura der Verwirrung war verschwunden. Ed war ebenfalls verschwunden. Er steckte in einem Leichentuch, so schwarz wie die Mitternacht in der Hölle.

Dann fielen und flogen er und Lois zugleich.

Kapitel 30

Kurz bevor es zu der Explosion kam, sagte Susan Day, die im grellen weißen Scheinwerferlicht stand und die letzten Sekunden ihres provokativen Lebens erlebte, gerade: »Ich bin nicht nach Derry gekommen, um Sie zu heilen, Sie herumzukommandieren oder aufzuhetzen, sondern, um mit Ihnen zu trauern - dies ist eine Situation, die weit über politische Erwägungen hinausgeht. Es gibt kein Recht auf Gewalt, keine Zuflucht in Selbstgefälligkeit. Ich bin hier, um Sie zu bitten, daß Sie Ihren Standpunkt und Ihre Rhetorik beiseite lassen und eine Möglichkeit finden, einander zu helfen. Sich von der Faszination abzuwenden -«

Hinter den hohen Fenstern an der Südseite des Auditoriums erstrahlte plötzlich ein grelles weißes Licht, dann barsten sie nach innen.

Die Cherokee verfehlte Ralphs alten Olds, aber das rettete ihn nicht. Das Flugzeug machte noch einmal eine halbe Drehung in der Luft, dann bohrte es sich etwa acht Meter von dem Zaun entfernt in den Boden, wo Lois früher an diesem Tag stehengeblieben war, um ihren nervtötenden Slip in die Höhe zu ziehen. Die Tragflächen brachen ab. Das Cockpit unternahm eine schnelle und brutale Reise durch die Passagierkabine. Der Rumpf explodierte mit der Wucht einer Champagnerflasche im Mikrowellenherd. Scherben flogen durch die Luft. Das Heck bog sich über den Rumpf der Cherokee wie der Stachel eines sterbenden Skorpions und bohrte sich ins Dach eines Dodge, auf dessen Seite SCHÜTZT DAS RECHT DER FRAUEN AUF FREIE ENTSCHEIDUNG! gemalt worden war. Ein helles und bitteres Scheppern erklang, das sich anhörte, als wäre ein Stapel Alteisen umgestürzt.

»Ach du Schei -«, begann einer der auf dem Parkplatz postierten Polizisten, dann flog das C4 aus der Pappschachtel heraus wie ein großer grauer Schleimklumpen und landete auf den Trümmern des Armaturenbretts, wo sich mehrere »heiße« Kabel hineinbohrten wie die Nadeln von Spritzen. Der Plastiksprengstoff explodierte mit einem gewaltigen, ohrenbetäubenden Knall, röstete die Rennbahn und verwandelte den Parkplatz in einen Wirbelsturm von weißem Licht und herumfliegenden Trümmern. John Leydecker, der unter dem Baldachin des Bürgerzentrums gestanden und sich mit einem Cop der Staatspolizei unterhalten hatte, wurde durch eine der offenen Türen und quer durch die Halle geschleudert. Er prallte gegen die Wand und sackte bewußtlos auf den Scherbenhaufen des Glaskastens mit den Renntrophäen. Damit hatte er mehr Glück als der Mann, neben dem er gestanden hatte; der Staatspolizist wurde gegen die Strebe zwischen zwei offenen Türen gedrückt und in der Mitte entzweigerissen.

Die Reihen der Autos schirmten das Bürgerzentrum vor der schlimmsten Wucht der Explosion ab, aber diese glückliche Fügung erkannte man erst später. Drinnen saßen über viertausend Menschen zuerst wie vom Donner gerührt und wußten nicht, was sie tun sollten, und noch weniger, was sie gerade gesehen hatten: Amerikas prominenteste Feministin, die von einer herumfliegenden scharfen Glasscherbe geköpft worden war. Ihr Kopf flog wie eine seltsame weiße Bowlingkugel mit angeklebter blonder Perücke bis in die sechste Reihe.

Sie brachen erst in Panik aus, als das Licht ausging.

Einundsiebzig Menschen starben bei der überstürzten Flucht zu den Ausgängen, und die Derry News berichtete am nächsten Tag unter einer furchteinflößenden Riesen-Schlagzeile davon und bezeichnete es als schreckliche Tragödie. Ralph Roberts hätte ihnen sagen können, daß sie unter Berücksichtigung aller Umstände Glück gehabt hatten. Wirklich großes Glück.

In der Mitte des Nordbalkons saß eine Frau namens Sonia Danville - eine Frau, auf deren Wangen noch die Blutergüsse der letzten Prügel verblaßten, die sie je von einem Mann bekommen hatte - und hatte die Arme um die Schultern ihres Sohns Patrick gelegt. Sein Poster von McDonald's, auf dem Ronald und Mayor Cheese und der Hamburglar vor dem Fenster des Autoschalters den Boot-Scootin' Boogie tanzten, hatte er auf dem Schoß ilegen, aber er hatte gerade erst die goldenen Bögen ausgemalt, als er das Poster auf die leere Seite umdrehte. Nicht, daß er das Interesse verloren hätte; ihm war gerade nur selbst ein Bild eingefallen, und das überkam ihn, wie es bei solchen Hinfallen häufig der Fall war, mit zwanghafter Wucht. Er hatte fast den ganzen Tag darüber nachgedacht, was im Keller von High Ridge geschehen war -der Rauch, die Hitze, die ängstlichen Frauen und die beiden Engel, die gekommen waren, um sie zu retten -, aber sein grandioser Einfall verdrängte diese Gedanken, und er machte sich von stummem Enthusiasmus beseelt an die Arbeit. Bald war Patrick in etwa zumute, als würde er selbst in der Welt leben, die er mit seinen Wachsmalstiften malte.

Er war ungeachtet seiner vier Jahre bereits ein außerordentlich fähiger Maler (»Mein kleines Genie«, nannte ihn Sonia manchmal), und sein Bild war viel besser als das Poster zum Ausmalen auf der anderen Seite des Blatts. Was er in den Minuten zustande brachte, bevor das Licht ausging, war eine Arbeit, auf die ein begabter Kunststudent im ersten Semester stolz hätte sein können. In der Mitte des Posters ragte ein Turm aus dunklen, rußfarbenen Steinen in einen blauen Himmel mit vereinzelten dicken weißen Wolken auf. Ringsum lag ein Feld mit so roten Rosen, daß sie fast zu schreien schienen. Auf einer Seite stand ein Mann in verblichenen Blue Jeans. Revolvergurte überkreuzten sich auf seinem flachen Bauch; an jeder Hüfte hing ein Halfter. Ganz oben auf dem Turm sah ein Mann im roten Gewand mit einer Mischung aus Haß und Angst auf den Revolverhelden herunter. Seine Hände, die er um die Brüstung geklammert hatte, schienen ebenfalls rot zu sein.