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[»Lois, alles in Ordnung?«]

Sie sah ihn einen Augenblick verständnislos an, dann tastete sie Gesicht, Hals und Schultern ab. Diese Untersuchung paßte so süß und perfekt zu »unserer Lois«, daß Ralph lachen mußte. Er konnte nicht anders. Lois lächelte zögernd zurück.

[»Ich denke, es ist alles in Ordnung. Ich bin sogar ziemlich sicher.«]

[»Was hattest du dort zu suchen? Du hättest getötet werden können.«]

Lois, die wieder etwas verjüngt aussah (Ralph vermutete, daß der rechtzeitig erschienene Penner etwas damit zu tun hatte), sah ihm in die Augen.

[»Vielleicht bin ich altmodisch, Ralph, aber wenn du denkst, daß ich die nächsten zwanzig Jahre oder so damit verbringe, in Ohnmacht zufallen oder zu bibbern wie die beste Freundin der Heldin in diesen Liebesromanen, die meine Freundin Mina immer liest, dann solltest du dir besser eine andere Frau suchen, mit der du herumziehst.«]

Er sperrte einen Moment den Mund auf, dann zog er sie auf die Füße und umarmte sie. Lois erwiderte die Umarmung. Sie war unglaublich warm, unglaublich präsent. Ralph mußte kurz an die Ähnlichkeiten zwischen Einsamkeit und Schlaflosigkeit denken - beide heimtückisch, kumulativ und trennend, Freunde der Verzweiflung und Erzfeinde der Liebe -, und dann verdrängte er diese Gedanken und küßte sie.

Klotho und Lachesis, die auf dem Hügel standen und so ängstlich aussahen wie Arbeiter, die ihr ganzes Weihnachtsgeld beim Boxen auf einen Außenseiter gesetzt haben, kamen zu Ralph und Lois geeilt, die wieder einmal Stirn an Stirn standen und einander in die Augen sahen wie verliebte Teenager. Auf der anderen Seite der Barrens schwoll der Lärm von Sirenen an wie Stimmen in unruhigen Träumen. Die Feuersäule über dem Grab von Ed Deepneaus Besessenheit war jetzt so grell, daß man sie nicht mehr ansehen konnte, ohne die Augen etwas zuzukneifen. Ralph konnte das leise Knallen explodierender Autos hören. Eines davon war zweifellos seines. Er beschloß, daß ihm das nichts ausmachte. Er wurde wirklich zu alt zum Fahren.

Klotho: [Alles in Ordnung?]

Ralph: [» Uns geht es gut. Lois hat mich hochgezogen. Sie hat mir das Leben gerettet.«]

Lachesis: [Ja, wir haben sie reingehen sehen. Das war sehr tapfer.] Und ziemlich verwirrend, Mr. L. was? dachte Ralph. Sie haben es gesehen, und Sie bewundern es... aber ich glaube, Sie haben keine Ahnung, wie und warum sie es über sich bringen konnte. Ich glaube, für Sie und Ihren Freund muß das Konzept von Rettung fast so fremd sein wie die Vorstellung von Liebe.

Zum erstenmal verspürte Ralph eine Art Mitleid mit den kleinen kahlköpfigen Ärzten und begriff die zentrale Ironie ihres Lebens: Sie waren sich bewußt, daß die Kurzfristigen, deren Existenz zu beschneiden sie gesandt waren, ein mächtiges inneres Leben führten, aber sie begriffen die Wirklichkeit dieses Innenlebens nicht im geringsten, die Emotionen, die sie antrieben oder die Taten - manchmal edel, manchmal närrisch -, die daraus resultierten. Mr. K. und Mr. L. hatten ihre kurzfristigen Aufträge so gründlich studiert wie gewisse reiche, aber ängstliche Engländer die Karten, die Forscher der viktorianischen Zeit von Expeditionen mitbrachten; Forscher, die in vielen Fällen von denselben reichen, aber ängstlichen Männern finanziert worden waren. Mit manikürten Nägeln und sanften Fingern hatten diese Philanthropen papierne Flüsse nachgezogen, auf denen sie nie fahren würden, und papierne Dschungel durchquert, in die sie nie einen Fuß setzen würden. Sie lebten in ängstlicher Verunsicherung und taten sie als Phantasie ab.

Klotho und Lachesis hatten ihn und Lois rekrutiert und sie mit einer gewissen groben Effektivität benützt, aber sie begriffen weder die Freude des Risikos noch die Traurigkeit des Verlusts

- in Sachen Gefühle hatten sie nichts weiter zustande gebracht als nagende Angst, er und Lois könnten versuchen, den gehätschelten Chemiker des Scharlachroten Königs direkt anzugreifen, ind für ihre Bemühungen zerquetscht werden wie ein paar alte Fliegen. Die kleinen kahlköpfigen Ärzte lebten lang, aber Ralph vermutete, daß sie trotz ihrer wie Libellen schillernden Auren ein graues Leben führten. Er betrachtete ihre glatten, seltsam kindlichen Gesichter aus dem sicheren Hafen von Lois' Armen und erinnerte sich, welch schreckliche Angst er vor ihnen gehabt hatte, als er sie zum erstenmal in den frühen Morgenstunden aus May Lochers Haus hatte kommen sehen. Angst, hatte er seither festgestellt, überlebte bloße Bekanntschaft nicht, geschweige denn Wissen, und von beidem besaß er nun ein bißchen.

Klotho und Lachesis erwiderten seinen Blick mit einem Unbehagen, das Ralph keineswegs zerstreuen wollte. Irgendwie kam es ihm äußerst gerecht vor, daß sie das empfanden, was sie jetzt empfanden.

Ralph: [»Ja, sie ist sehr tapfer, und ich liebe sie sehr, und ich denke, wir werden einander sehr glücklich machen bis -«]

Er verstummte plötzlich, und Lois beugte sich in seinen Armen. Er stellte mit einer Mischung aus Heiterkeit und Erleichterung fest, daß sie halb eingeschlafen war.

[»Bis wann, Ralph?«]

[»Bis wann du willst. Ich glaube, wenn man ein Kurzfristiger ist, gibt es immer ein Eis, aber vielleicht ist das ganz gut so.«]

Lachesis: [Nun, ich denke, jetzt heißt es Abschied nehmen.]

Ralph mußte unwillkürlich grinsen und dachte an die Hörspielserie um den Lone Ranger, wo fast jede Episode mit einer Version dieses Satzes zu Ende gegangen war. Er streckte die Hand nach Lachesis aus und nahm mit galligem Vergnügen zur Kenntnis, daß der kleine Mann vor ihm zurückzuckte.

Ralph: [»Moment mal... nicht so hastig, Freunde.«]

Klotho, mit einer Spur Unbehagen: [Stimmt etwas nicht?]

[»Das glaube ich nicht, aber nachdem ich Schläge auf den Kopf und in die Rippen bekommen habe und fast bei lebendigem Leibe geröstet wurde, wollte ich mich eben vergewissern, daß es vorbei ist. Ist es das? Ist euer Junge in Sicherheit?«]_

Klotho, lächelnd und eindeutig erleichtert: [Ja. Können Sie es nicht spüren? In achtzehn Jahren, kurz vor sänem Tod, wird der Junge das Leben von zwei Männern retten, die sonst sterben würden... aber einer der Männer darf nicht sterben, wenn das Gleichgewicht zwischen dem Plan und dem Zufall erhalten bleiben soll]

Lois: [»Vergeßt das alles. Ich will nur wissen, ob wir jetzt wieder ganz normale Kurzfristige sein können.«]

Lachesis: [Das können Sie nicht nur, Lois, das müssen Sie. Wenn Sie und Ralph noch lange hier oben bleiben würden, könnten Sie nicht mehr zurückkehren!

Ralph spürte, wie sich Lois dichter an ihn schmiegte.

[»Das würde mir nicht gefallen.«]

Klotho und Lachesis drehten sich zueinander um und wechselten einen kurzen, verblüfften Blick - wie konnte es jemand hier oben nicht gefallen? -, bevor sie sich wieder an Ralph und Lois wandten.

Lachesis: [Wir müssen wirklich gehen. Es tut mir leid, aber -]

Ralph: [»Immer mit der Ruhe, Freunde - noch werdet ihr nirgendwohin gehen.«]

Sie sahen ihn ängstlich an, während Ralph langsam den Ärmel seines Pullovers hinaufschob - auf dem Ärmel war eine Flüssigkeit angetrocknet, möglicherweise Laich vom Katzenwels, über die er lieber nicht eingehender nachdenken wollte - und ihnen die weiße, knotige Narbe auf seinem Unterarm zeigte.

[»Laßt die konsternierten Mienen, Freunde. Ich wollte euch nur daran erinnern, daß ihr mir euer Wort gegeben habt. Vergeßt es nicht.«]

Klotho, eindeutig erleichtert: [Sie können sich darauf verlassen, Ralph. Was Ihre Waffe war, ist jetzt unsere Verpflichtung. Das Versprechen wird nicht vergessen werden.]