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Sie sah nach unten. Ralph sah ebenfalls nach unten. Dann schaute Lois mit einem strahlenden Lächeln wieder Stan an. »Ja!« sagte sie. »Eine interessante Mode, nicht wahr? Eine Art... lebensgroßes Glücksarmband!«

»Ja«, sagte Stan. »Klar.« Aber er sah nicht mehr den Turnschuh an, sondern Lois' Gesicht. Ralph fragte sich, wie sie morgen ihr Aussehen erklären sollten, wenn sie sich nicht im Schatten zwischen den Straßenlampen verstecken konnten.

»Kommt schon!« rief Faye ungeduldig. »Gehen wir!«

Sie setzten sich in Bewegung (Stan warf ihnen dabei einen letzten zweifelnden Blick über die Schulter zu). Ralph horchte hinter ihnen her und rechnete fast damit, daß Don Veazie ein gespieltes Kicher-kicher von sich geben würde.

»Mann, das hat sich so dumm angehört«, sagte Lois, »aber irgendwas mußte ich doch sagen, oder?«

»Hast du prima gemacht.«

»Nun, wenn ich den Mund aufmache, scheint immer irgendwas herauszufallen«, sagte sie. »Das ist eins meiner großen Talente, das andere ist, daß ich eine ganze Packung Whitman's Sampler während eines zweistündigen Fernsehfilms verputzen kann.« Sie band die Schnürsenkel von Helens Turnschuh auf und sah ihn an. »Sie ist in Sicherheit, richtig?«

»Ja«, stimmte Ralph zu und griff nach dem Turnschuh. Dabei stellte er fest, daß er bereits etwas in der Hand hatte. Er hatte die Finger so lange darum gekrümmt, daß sie sich kaum öffnen wollten. Als es ihm schließlich doch gelang, sah er die Abdrücke der Nägel im Fleisch der Handfläche. Als erstes bemerkte er, daß sein eigener Ehering noch an der gewohnten Stelle steckte, der von Ed aber fehlte. Er hatte zwar allen Anschein nach gepaßt wie angegossen, aber offenbar war er ihm in der letzten halben Stunde doch vom Finger gerutscht.

Vielleicht nicht, flüsterte eine Stimme, und Ralph nahm amüsiert zur Kenntnis, daß es diesmal nicht die von Carolyn war.

Diesmal gehörte die Stimme in seinem Kopf Bill McGovern. Vielleicht ist er einfach verschwunden. Du weißt schon, puff.

Aber irgendwie glaubte er das nicht. Er hatte den Verdacht, als wäre Eds Ehering mit Kräften ausgestattet gewesen, die nach Eds Tod nicht notwendigerweise verschwunden waren. Der Ring, den Bilbo Beutlin gefunden und widerwillig seinem Enkel Frodo übergeben hatte, hatte die Eigenheit gehabt, hinzugehen, wohin er wollte... und wann. Vielleicht war das bei Eds Ring nicht viel anders.

Bevor er weiter darüber nachdenken konnte, tauschte Lois Helens Turnschuh gegen das Ding in seiner Hand ein: einen kleinen, zusammengeknüllten Zettel. Sie strich ihn glatt und sah ihn an, und dabei verwandelte sich ihre Neugier langsam in Ernst.

»Ich erinnere mich an das Bild«, sagte sie. »Die Vergrößerung stand in einem teuren Goldrahmen auf dem Kaminsims im Wohnzimmer. Es hatte einen Ehrenplatz.«

Ralph nickte. »Das muß dasjenige gewesen sein, das er in der Brieftasche hatte. Es war am Armaturenbrett des Flugzeugs festgeklebt. Bis ich es genommen habe, hat er mich geschlagen und ist dabei nicht einmal ins Schwitzen gekommen. Mir fiel nichts anderes ein, als das Bild zu nehmen. Als ich das getan hatte, interessierte ihn das Bürgerzentrum nicht mehr. Das Letzte, das ich ihn sagen hörte, war: >Gib sie zurück, sie gehören mir. <«

»Hat er mit dir gesprochen, als er das gesagt hat?«

Ralph steckte den Turnschuh in die Gesäßtasche und schüttelte den Kopf. »Nee. Das glaube ich nicht.«

»Helen war heute abend im Bürgerzentrum, nicht?«

»Ja.« Ralph dachte daran, wie sie in High Ridge ausgesehen hatte - ihr blasses Gesicht, die tränenden, vom Rauch geröteten Augen. Wenn sie uns jetzt aufhalten, haben sie gewonnen, hatte sie gesagt. Begreifst du das nicht?

Jetzt begriff er es.

Er nahm Lois das Bild aus der Hand, zerknüllte es wieder und ging zum Papierkorb an der Ecke Harris Avenue und Kossuth Lane. »Wir werden irgendwann ein anderes Bild von ihnen bekommen, das wir auf unseren eigenen Kaminsims stellen können. Eins, das nicht ganz so förmlich ist. Aber das hier... das will ich nicht.«

Er warf die kleine Papierkugel in den Mülleimer, ein einfacher Wurf, höchstens zehn Zentimeter, aber genau in diesem Moment nahm der Wind zu, und das zerknüllte Foto von Helen und Natalie, das über dem Höhenmesser von Eds Flugzeug geklebt hatte, flog auf seinem kalten Atem davon. Die beiden sahen ihm fast hypnotisiert nach, wie es zum Himmel hinaufwirbelte. Lois wandte den Blick als erste ab. Als sie Ralph ansah, umspielte der Hauch eines Lächelns ihre Lippen.

»Habe ich da einen versteckten Heiratsantrag gehört, oder bin ich nur müde?« fragte sie.

Er machte den Mund auf, um zu antworten, als eine zweite Windbö aufkam, diesmal so stark, daß sie beide zusammenzuckten und die Augen schlössen. Als er sie wieder aufmachte, war Lois schon ein Stück bergauf gegangen.

»Alles ist möglich, Lois«, sagte er mit leiser Stimme, nur zu sich selbst. »Das weiß ich jetzt.«

Fünf Minuten später klirrte Lois' Schlüssel im Schloß ihrer Eingangstür. Sie ließ Ralph ein, machte fest hinter ihnen zu und sperrte die windige, zänkische Nacht aus. Er folgte ihr ins Wohnzimmer und wäre dort geblieben, aber Lois zögerte nicht. Sie hielt immer noch seine Hand, zog ihn jedoch nicht (hätte es aber möglicherweise getan, sollte er zaudern), und führte ihn in ihr Schlafzimmer.

Er sah sie an. Lois erwiderte seinen Blick gelassen... und plötzlich spürte er dieses Blinzeln wieder. Er sah ihre Aura erblühen wie eine graue Rose. Sie war noch geschwächt, kam aber bereits wieder zurück, fügte sich zusammen, heilte sich selbst.

[»Lois, bist du sicher, daß du es willst?«]

[»Selbstverständlich! Glaubst du, nach allem, was wir durchgemacht haben, würde ich dir einen Klaps auf den Kopf geben und dich nach Hause schicken?«]

Plötzlich lächelte sie - ein verschmitztes, schalkhaftes Lächeln.

[»Abgesehen davon, Ralph - ist dir heute nacht wirklich danach zumute? Sei ehrlich! Noch besser, versuch nicht, mir zu schmeicheln.«]

Er dachte darüber nach, dann lachte er und zog sie in die Arme. Ihr Mund war süß und feucht, wie die Haut eines reifen Pfirsichs. Der Kuß schien durch seinen ganzen Körper zu kribbeln, aber das Gefühl konzentrierte sich hauptsächlich auf den Mund, wo es sich fast wie ein elektrischer Schock anfühlte. Als sie die Lippen lösten, fühlt er sich erregter denn je... aber auch seltsam ausgelaugt.

[»Und wenn ich jetzt ja sage, Lois? Wenn ich jetzt sage, daß mir danach zumute ist?«]

Sie wich zurück und sah ihn kritisch an, als wollte sie entscheiden, ob er es ernst meinte, oder ob es sich nur um die übliche männliche Großspurigkeit handelte. Gleichzeitig griff sie nach den Knöpfen ihres Kleids. Als sie sie öffnete, fiel Ralph etwas Wunderbares auf: Sie sah wieder jünger aus. Keinesfalls wie Vierzig, aber sicher nicht älter als Fünfzig... eine junge Fünfzigjährige. Daran war selbstverständlich der Kuß schuld, und das wahrhaft Amüsante war, sie hatte wahrscheinlich keine Ahnung, daß sie zu ihrer früheren Portion Penner nun noch eine kräftige Portion Ralph bekommen hatte. Und was wäre daran falsch gewesen?

Sie beendete ihre Untersuchung, beugte sich nach vorne und gab ihm einen Kuß auf die Wange.

[»Ich glaube, wir werden später noch eine Menge Zeit dafür haben, Ralph - die heutige Nacht ist zum Schlafen da.«]

Er nahm an, daß sie recht hatte. Vor fünf Minuten war er mehr als bereit gewesen - die körperliche Liebe hatte ihm immer Spaß gemacht, und es war lange her. Aber im Augenblick war der Funke erloschen. Ralph bedauerte es nicht im geringsten. Schließlich wußte er, wohin er übergesprungen war.

[»Okay, Lois - die heutige Nacht ist zum Schlafen da.«]

Sie ging ins Bad, und die Dusche wurde aufgedreht. Ein paar Minuten später hörte Ralph, wie sie sich die Zähne putzte. Schön zu wissen, daß sie sie noch hatte. In den zehn Minuten, während sie weg war, gelang es ihm, sich teilweise auszuziehen, aber mit den schmerzenden Rippen ging es langsam. Schließlich schaffte er es, sich aus dem Pullover zu winden und die Schuhe abzustreifen. Danach kam das Hemd, und er machte sich hilflos an seinem Gürtel zu schaffen, als Lois mit zurückgebundenem Haar und leuchtendem Gesicht herauskam. Ralph sah fassungslos ihre Schönheit, und plötzlich kam er sich zu groß und dumm (ganz zu schweigen von alt) vor. Sie trug ein langes rosa Nachthemd aus Seide, und er konnte ihre Handcreme riechen. Es war ein angenehmer Duft.