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»Laß mich das machen«, sagte sie und hatte den Gürtel aufgeknöpft, bevor er etwas sagen konnte, so oder so. Daran war nichts Erotisches; sie machte es mit den geschickten Bewegungen einer Frau, die ihrem Mann in seinem letzten Lebensjahr häufig beim An- und Ausziehen geholfen hatte.

»Wir sind wieder unten«, sagte er. »Diesmal habe ich gar nicht gespürt, wie es passiert ist.«

»Aber ich, als ich unter der Dusche war. Eigentlich bin ich froh. Es ist ziemlich verwirrend, wenn man sich das Haar durch eine Aura hindurch waschen will.«

Draußen wehte der Wind, brachte das Haus zum Beben und blies einen langen, zitternden Ton auf einer Regenrinne. Sie sahen zum Fenster, und obwohl sie sich wieder auf der Ebene der Kurzfristigen befanden, war Ralph plötzlich überzeugt, daß Lois dasselbe dachte wie er: Atropos war irgendwo da draußen, zweifellos enttäuscht darüber, welche Wendung die Dinge genommen hatten, aber keineswegs niedergeschmettert, blutig, aber unbeugsam, am Boden, aber noch nicht ausgezählt. Von jetzt an nennen sie ihn Altes Einohr, dachte Ralph und erschauderte. Er stellte sich vor, wie Atropos auf einer willkürlichen Bahn durch die Einwohner dieser Stadt stob, wie ein irregeleiteter Asteroid, beobachtete und sich versteckte, Souvenirs stahl und Ballonschnüre durchschnitt... mit anderen Worten, Trost aus seiner Arbeit bezog. Ralph fand es fast unmöglich zu glauben, daß er vor kurzer Zeit erst auf dieser Kreatur gesessen und ihr mit ihrem eigenen Skalpell zugesetzt hatte. Wie konnte ch nur den Mut aufbringen? fragte er sich, aber er glaubte, daß er es wußte. Die Diamantohrringe, die das kleine Monster getragen hatte, waren der Grund dafür gewesen. Wußte Atropos, daß diese Ohrringe sein größter Fehler gewesen waren? Auf seine Art hatte Doc Nr. 3 noch weniger über die Motivation der Kurzfristigen gewußt als Klotho und Lachesis.

Er drehte sich zu Lois um und ergriff ihre Hand. »Ich habe deine Ohrringe wieder verloren. Ich glaube, diesmal sind sie endgültig fort. Es tut mir leid.« »Du mußt dich nicht entschuldigen. Weißt du nicht mehr, sie waren schon verloren. Und ich mache mir keine Sorgen mehr wegen Howard und Jan, denn jetzt habe ich einen Freund, der mir hilft, wenn die Leute mich nicht richtig behandeln oder wenn ich einfach nur Angst habe. Nicht wahr?«

»Ja. Auf jeden Fall.«

Sie schlang die Arme um ihn, drückte ihn fest an sich und küßte ihn wieder. Lois hatte offenbar nichts vergessen, was sie beim Küssen gelernt hatte, und Ralph schien es, daß sie eine ganze Menge gelernt hatte. »Los, geh unter die Dusche.« Er wollte sagen, daß er wahrscheinlich einschlafen würde, sobald er den Kopf unter warmes Wasser hielte, aber dann fügte sie etwas hinzu, bei dem er es sich rasch anders überlegte: »Sei mir nicht böse, aber du hast einen komischen Geruch an dir, besonders an den Händen. Mein Bruder Vic hat so gerochen, wenn er den ganzen Tag Fische geputzt hatte.«

Zwei Minuten später stand Ralph unter der Dusche und hatte sich bis zu den Ellbogen eingeseift.

Als er wieder herauskam, lag Lois unter zwei Steppdecken. Nur ihr Gesicht war zu sehen, und auch das nur von der Nase an. Ralph ging hastig durch das Zimmer; er trug nur Unterhosen und war sich schmerzlich seiner spindeldürren Beine und seines Bauchs bewußt. Er schlug die Decke zurück und legte sich hastig hin, wobei er leise keuchte, als die kalten Laken seine warme Haut berührten.

Lois kam sofort auf seine Seite des Betts gerutscht und legte die Arme um ihn. Er vergrub das Gesicht in ihrem Haar und entspannte sich. Es war sehr gut, mit Lois unter der Decke zu liegen, während der Wind draußen heulte und manchmal so stark wütete, daß die Sturmläden in ihren Rahmen klapperten. Ralph kam sich vor wie im Himmel.

»Gott sei Dank, daß ein Mann in meinem Bett liegt«, sagte Lois müde.

»Gott sei Dank, daß ich es bin«, antwortete Ralph, und sie lachte.

»Wie geht es deinen Rippen? Soll ich dir ein Aspirin holen?«

»Nee. Ich bin sicher, morgen früh tun sie wieder weh, aber im Augenblick hat das warme Wasser alles fortgespült.« Die Frage, was am Morgen passieren könnte, oder auch nicht, rief eine Frage in ihm wach - die wahrscheinlich schon die ganze Zeit da gewesen war. »Lois?«

»Mrnmtnrn?«

Vor seinem geistigen Auge sah Ralph, wie er in der Dunkelheit aufwachte, hundemüde, aber nicht mehr schläfrig (sicherlich eines der grausamsten Paradoxe der Welt), während die Digitaluhr träge von 3:47 auf 3:48 Uhr wechselte. F. Scott Fitzgeralds dunkle Nacht der Seele, wenn jede Stunde lange genug war, um die große Cheopspyramide zu bauen.

»Glaubst du, wir werden durchschlafen?« fragte er.

»Ja«, sagte sie, ohne zu zögern. »Ich glaube, wir werden ausgezeichnet schlafen.«

Einen Augenblick später tat Lois genau das.

Ralph blieb noch etwa fünf Minuten wach, hielt sie in den Armen, genoß die wunderbaren verschiedenen Düfte, die von ihrer Haut aufstiegen, erfreute sich am Gefühl der glatten Seide unter seinen Händen und staunte mehr darüber, wo er sich befand, als über die Ereignisse, die ihn hierher geführt hatten. Er war von einem tiefen und einfachen Gefühl erfüllt, das er kannte, aber nicht gleich identifizieren konnte, wahrscheinlich weil es schon zu lange aus seinem Leben verschwunden war.

Der Wind zerrte und stöhnte draußen und erzeugte wieder das hohle, pfeifende Geräusch über der Regenrinne — wie der größte Nirvana-Junge der Welt, der über den größten Flaschenhals der Welt blies -, und Ralph überlegte sich, daß nichts im Leben besser war, als in einem weichen Bett zu liegen und eine schlafende Frau in den Armen zu halten, während draußen, vor dem sicheren Hafen, der Wind heulte.

Aber eines war doch besser, mindestens eines, und das war das Gefühl, wieder einzuschlafen, sanft in die gute Nacht zu dämmern, in die Strömung des Vergessens zu treiben wie ein Kanu, das sich an einem strahlenden Sommertag vom Steg löst und in die Strömung eines breiten, trägen Flusses gerät.

Von allem, was unser kurzfristiges Leben ausmacht, ist Schlaf mit Sicherheit das Beste, dachte Ralph.

Draußen heulte der Wind (dessen Geräusch jetzt aus weiter Ferne zu kommen schien), und als er spürte, wie ihn die Strömung des gewaltigen Flusses ergriff, konnte er endlich das Gefühl identifizieren, das er empfand, seit Lois die Arme um ihn gelegt hatte und so mühelos und vertrauensvoll eingeschlafen war wie ein Kind. Es trug viele verschiedene Namen - Frieden, Gelassenheit, Erfüllung -, aber im Augenblick, während der Wind toste und Lois einen heiseren Laut schläfriger Zufriedenheit weit hinten in der Kehle von sich gab, kam es Ralph so vor, als wäre es eines der seltenen Dinge, die zwar bekannt, aber im Grunde genommen nicht mit einem Namen zu versehen sind: eine Beschaffenheit, eine Aura, möglicherweise eine eigene Ebene des Daseins im Schacht der Existenz. Es war das sanfte Rotbraun der Ruhe; es war die Stille, die nach Erfüllung einer schwierigen, aber notwendigen Aufgabe folgt.

Als der Wind sich wieder aufbäumte und das Geräusch ferner Sirenen mit sich brachte, hörte Ralph es nicht. Er schlief. Einmal träumte er, daß er aufstand und zur Toilette ging, und er vermutete, daß das kein Traum gewesen war. Einmal träumte er, daß er und Lois langsam und sich zärtlich liebten, und das war möglicherweise auch kein Traum gewesen. An andere Träume oder Augenblicke des Wachseins konnte er sich nicht erinnern, und diesmal erwachte er nicht um drei oder vier Uhr morgens. Sie schliefen - manchmal getrennt, aber meistens vereint - bis nach sieben Uhr am Samstagabend; alles in allem rund zweiundzwanzig Stunden.