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»Filme mit sprechenden Tieren sind toll, was?« fragte Lois.

»Ja! Außerdem habe ich dieses neue Kleid bekommen.« »Und was für ein hübsches Kleid«, sagte Lois.

Helen sah Ralph an. »Alles in Ordnung, alter Freund? Du siehst blaß aus und hast noch keinen Pieps gesagt.«

»Hab mich nie besser gefühlt«, sagte er. »Ich habe mir nur gerade überlegt, wie süß ihr beiden mit diesen Mützen ausseht. Habt ihr sie im Fenway Park gekauft?«

Helen und Nat trugen beide Mützen der Red Sox von Boston. Bei warmem Wetter waren diese in Neuengland weit verbreitet (»verbreitet wie Katzendreck«, hätte Lois gesagt), aber auf den Köpfen dieser beiden Menschen riefen sie ein tiefes Echo in Ralph wach... und das war mit einem bestimmten Bild verbunden, das er nicht im geringsten verstand: der Fassade des Red Apple.

Inzwischen hatte Helen ihre Mütze abgenommen und betrachtete sie. »Ja«, sagte sie, »wir waren da, sind aber nur drei Runden geblieben. Männer schlagen Bälle und fangen Bälle. Ich glaube, ich habe neuerdings nicht mehr viel Geduld mit Männern und ihren Bällen... aber unsere hübschen Red-SoxMützen gefallen uns, oder nicht, Natalie?«

»Ja!« stimmte Nat vergnügt zu, und als Ralph am nächsten Morgen um 4:01 Uhr erwachte, pochte die dünne Linie an seinem Unterarm heftig und die Todesuhr schien fast eine eigene Stimme bekommen zu haben, die immer wieder einen seltsamen und fremdartigen Namen flüsterte: Atropos... Atropos... Atropos.

Ich kenne diesen Namen.

Wirklich, Ralph?

Ja, er war der mit dem rostigen Skalpell und der gemeinen Art, er hat mich Kurzer genannt, er nahm... nahm...

Nahm was, Ralph?

Er gewöhnte sich an diese stummen Unterhaltungen; sie schienen auf einer geistigen Wellenlänge zu ihm zu kommen, einer Piratenfrequenz, die nur in den frühen Morgenstunden auf Sendung war, wenn er neben seiner schlafenden Frau lag und darauf wartete, daß die Sonne aufging.

Nahm was? Erinnerst du dich?

Er rechnete nicht damit; die Fragen, die ihm diese Stimme stellte, blieben fast immer unbeantwortet, aber diesmal erhielt er eine Antwort, mit der er nicht gerechnet hatte.

Selbstverständlich Bill McGoverns Hut. Atropos hat Bills Hut genommen, und einmal hob ich ihn so wütend gemacht, daß er wahrhaftig ein Stück aus der Krempe rausgebissen hat.

Wer ist er? Wer ist Atropos?

Da war er nicht so sicher. Er wußte nur, Atropos hatte etwas mit Helen zu tun, die jetzt eine Mütze der Boston Red Sox zu besitzen schien, auf die sie ausgesprochen stolz war, und er besaß ein rostiges Skalpell.

Bald, dachte Ralph Roberts, während er in der Dunkelheit lag und dem leisen, konstanten Ticken der Todesuhr in den Wänden lauschte. Bald werde ich es wissen.

In der dritten Woche des brütend heißen Juni sah Ralph die Auren wieder.

Als der Juni in den Juli überging, brach Ralph häufig in Tränen aus, meistens ohne ersichtlichen Grund. Das war seltsam; er fühlte sich weder deprimiert noch unzufrieden, aber manchmal sah er etwas - möglicherweise nur einen Vogel, der einsam seine Kreise am Himmel zog -, und sein Herz wurde schwer vor Kummer und Verlustgefühlen.

Es ist fast vorbei, sagte seine innere Stimme. Sie gehörte nicht mehr Carolyn oder Bill oder seinem jüngeren Selbst; sie war jetzt völlig eigenständig, die Stimme eines Fremden, allerdings nicht unbedingt eines unfreundlichen. Darum bist du so traurig, Ralph. Es ist völlig normal, traurig zu sein, wenn die Uhr abläuft.

Nichts ist fast vorbei! schrie er zurück. Warum sollte es? Bei meiner letzten Untersuchung hat Dr. Pickard gesagt, ich wäre kerngesund! Mir geht es gut! Ich habe mich nie besser gefühlt!

Die innere Stimme schwieg. Aber es war ein wissendes Schweigen.

»Okay«, sagte Ralph eines Nachmittags Ende Juli laut. Er saß auf einer Bank nicht weit von der Stelle entfernt, wo bis 1985 der Wasserturm von Derry gestanden hatte, als der große Sturm ihn umwarf. Am Fuß des Hügels, in der Nähe des Vogelbads, machte sich ein junger Mann (ein gewissenhafter Vogelbeobachter, dem Fernglas, das er um den Hals trug, und dem Stapel Taschenbücher neben sich im Gras nach zu urteilen, gewissenhaft Notizen in eine Art Tagebuch. »Okay, sag mir, warum es fast vorbei ist. Sag mir nur das.«

Es erfolgte keine unmittelbare Antwort, aber das machte nichts; Ralph war bereit zu warten. Der Spaziergang hierher war anstrengend gewesen, der Tag war heiß, und Ralph war müde. Er wachte jetzt jeden Morgen gegen 3:30 Uhr auf. Er machte wieder lange Spaziergänge, aber nicht in der Hoffnung, sie würden ihm helfen, besser oder länger zu schlafen; er glaubte, daß er Pilgerfahrten unternahm, daß er seine ganzen Lieblingsplätze in Derry ein letztes Mal besuchte. Daß er Lebewohl sagte.

Weil die Zeit des Versprechens fast gekommen ist, antwortete die Stimme, und die Narbe pochte wieder mit ihrer starken, konzentrierten Hitze. Das dir gegeben wurde, und das du als Gegenleistung gegeben hast.

»Was war das?« fragte er aufgeregt. »Bitte, wenn ich ein Versprechen gegeben habe, warum kann ich mich daran nicht erinnern?«

Das hörte der gewissenhafte Vogelbeobachter und sah den Hügel hinauf. Er sah einen Mann auf einer Parkbank sitzen und anscheinend Selbstgespräche führen. Der gewissenhafte Vogelbeobachter zog verächtlich die Mundwinkel nach unten und dachte: Ich hoffe, ich sterbe, bevor ich so alt werde. Wirklich. Dann drehte er sich wieder zu dem Vogelbad um und setzte seine Notizen fort.

Plötzlich kam tief im Inneren von Ralphs Kopf dieses verkrampfte Gefühl wieder - das Blinzeln -, und obwohl er sich nicht von der Bank fortbewegte, spürte er doch, wie er rapide in die Höhe getragen wurde... schneller und höher als jemals zuvor.

Ganz und gar nicht, sagte die Stimme. Einmal warst du viel höher als jetzt, Ralph - und Lois. Aber du kommst wieder hin. Bald wirst du bereit sein.

Der Vogelbeobachter, der, ohne es zu wissen, inmitten einer prachtvollen Aura aus gesponnenem Gold lebte, sah sich verstohlen um - möglicherweise wollte er sicherstellen, daß sich der senile alte Mann auf der Bank da oben auf dem Hügel nicht mit einem stumpfen Gegenstand an ihn heranschlich. Aber bei dem Anblick, der sich ihm bot, entspannte sich die verkrampfte, verbissene Linie seines Mundes. Er riß die Augen auf. Ralph erblickte plötzlich kreisende, indigoblaue Speichen in der Aura des gewissenhaften Vogelbeobachters und wußte, daß er einen Mann vor sich sah, der gerade einen Schock erlitten hatte.

Was ist los mit ihm? Was sieht er?

Aber das stimmte nicht. Es ging nicht darum, was der Vogelbeobachter sah, sondern was er nicht sah. Er sah Ralph nicht, denn Ralph war so weit aufgestiegen, daß er aus dieser Ebene verschwunden war - er war zum visuellen Gegenstück des Tons einer Hundepfeife geworden.

Wenn sie jetzt hier wären, könnte ich sie mühelos sehen.

Wer, Ralph? Wenn wer hier wäre?

Klotho. Lachesis. Und Atropos.

Plötzlich fügten sich die Teile wie im Flug in seinem Geist zusammen, wie die Stücke eines Puzzles, das viel komplizierter aussah, als es in Wirklichkeit war.

Ralph, flüsternd: [»O mein Gott. O mein Gott. O mein Gott.«]

Sechs Tage später erwachte Ralph um Viertel nach drei Uhr morgens und wußte, daß der Zeitpunkt des Versprechens gekommen war.

»Ich glaube, ich gehe zum Red Apple, mir ein Eis holen«, sagte Ralph. Es war fast zehn Uhr. Sein Herz schlug viel zu schnell, und seine Gedanken waren unter dem konstanten weißen Rauschen der Todesangst, die er jetzt verspürte, kaum zu finden. Ihm war in seinem ganzen Leben noch nie weniger nach Eis zumute gewesen, aber es war eine einleuchtende Ausrede für einen Spaziergang zum Red Apple; man schrieb die erste Augustwoche, der Wetterbericht hatte gesagt, daß die Quecksilbersäule am frühen Nachmittag wahrscheinlich über zweiunddreißig steigen und am frühen Abend Gewitter auf ziehen würden.