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»Ja, kann sein«, sagte er und hob ihr Kinn. »Aber ich bin ein dummer, störrischer alter Mann, der zu seinem Wort steht. Komm mit mir. Das würde mir gefallen. Aber... wenn es passiert... mach die Augen zu. Sieh nicht hin.«

»Gut, Ralph.« Sie konnte ihre eigene Stimme kaum hören, und ihre Haut war so kalt wie Eis. Ihre Aura war fast völlig rot geworden. »Was ist es? Was wird ihr zustoßen?« »Sie wird von einer grünen Ford-Limousine überfahren werden. Wenn ich nicht ihren Platz einnehme, wird sie über die gesamte Harris Avenue verspritzt werden... und Helen wird sehen, wie es passiert.«

Als sie den Hügel hinauf zum Red Apple gingen (anfangs ließ Lois sich zurückfallen und trabte wieder heran, ließ es aber sein, als sie merkte, daß sie ihn mit so einem einfachen Trick nicht aufhalten konnte), erzählte ihr Ralph noch das Wenige, das er wußte. Sie konnte sich noch vage erinnern, wie sie unter dem vom Blitz gefällten Baum draußen an der Extension gewesen waren - eine Erinnerung, die sie, jedenfalls bis heute morgen, als Erinnerung an einen Traum betrachtet hatte -, aber natürlich war sie bei Ralphs letzter Konfrontation mit Atropos nicht dabeigewesen. Jetzt erzählte ihr Ralph davon - von dem zufälligen Tod, den Atropos Natalie erleiden lassen wollte, wenn sich Ralph seinen Plänen weiter in den Weg stellte. Er erzählte ihr, wie er Klotho und Lachesis das Versprechen abgerungen hatte, daß Atropos in diesem Fall überstimmt und Nat gerettet würde.

»Ich habe eine Ahnung, daß... die Entscheidung... ziemlich weit oben an der Spitze dieses seltsamen Gebäudes... des Turms... getroffen wurde, von dem sie immer reden. Vielleicht... ganz oben.« Er stieß die Worte keuchend hervor, und sein Herz schlug schneller denn je, aber er glaubte, daß sich das größtenteils auf die Anstrengung und den schwülen Tag zurückführen ließ; seine Angst hatte etwas nachgelassen. Das immerhin hatte das Gespräch mit Lois bewirkt.

Jetzt konnte er das Red Apple sehen. Mrs. Perrine stand aufrecht wie ein General, der die Truppe inspiziert, an der Bushaltestelle. Ihr Einkaufsnetz hing über einem Arm. Ein Unterstand befand sich hinter der Haltestelle, und darin war es schattig, aber Mrs. Perrine ignorierte seine Existenz hartnäckig. Selbst im grellen Sonnenlicht konnte er sehen, daß ihre Aura noch dieselbe graue West-Point-Farbe hatte wie an jenem Oktoberabend des Jahres 1993. Von Helen und Nat war noch nichts zu sehen.

»Selbstverständlich wußte ich, wer er war«, erzählte Esther Perrine später dem Reporter der Derry News. »Mache ich einen unfähigen Eindruck auf Sie, junger Mann? Oder einen senilen? Ich kenne Ralph Roberts seit über zwanzig Jahren. Ein guter Mann. Selbstverständlich nicht aus demselben Holz wie seine Frau geschnitzt - Carolyn war eine Satterwaite, von den Bangor-Satterwaites -, aber trotzdem ein sehr anständiger Mann. Ich habe auch den Fahrer des grünen Ford-Automobils sofort erkannt. Pat Sullivan hat mir sechs Jahre meine Zeitung gebracht, und er hat es gut gemacht. Der neue, der Junge der Morrisons, wirft sie immer in mein Blumenbeet oder auf das Dach der Veranda. Soweit ich weiß, fuhr Pat mit seiner Mutter auf provisorischen Führerschein. Ich hoffe, er nimmt sich nicht allzusehr zu Herzen, was geschehen ist, denn er ist ein guter Junge, und es war wirklich nicht seine Schuld. Ich habe alles gesehen und würde jeden Eid darauf schwören.

Wahrscheinlich denken Sie, daß ich dummes Zeug rede. Streiten Sie das nicht ab; ich kann in Ihrem Gesicht lesen wie Sie in Ihrer eigenen Zeitung. Aber machen Sie sich keine Sorgen - ich habe fast alles gesagt, was ich zu sagen habe. Ich wußte auf der Stelle, daß es Ralph war, aber etwas werden Sie falsch verstehen, auch wenn Sie es in Ihrer Geschichte bringen... was Sie wahrscheinlich nicht tun. Er kam aus dem Nichts, um dieses kleine Mädchen zu retten.«

Esther Perrine fixierte den respektvoll schweigenden jungen Reporter mit einem formidablen Blick - wie ein Insektenforscher einen Schmetterling auf der Nadel, nachdem er ihn chloroformiert hat.

»Ich meine nicht, daß es ausgesehen hat, als käme er aus dem Nichts, junger Mann, auch wenn ich wette, daß Sie das drucken werden.«

Sie beugt sich zu dem Reporter, ohne den Blick von seinem Gesicht abzuwenden, und sagt es noch einmal.

»Er kam aus dem Nichts, um das kleine Mädchen zu retten. Können Sie mir folgen, junger Mann? Er kam aus dem Nichts.«

Der Unfall war die Schlagzeile der Derry News des nächsten Tages. Esther Perrines Bemerkungen waren so farbenprächtig gewesen, daß sie einen eigenen Kasten am Rand bekam, und der Fotograf Tom Matthews machte eine Aufnahme von ihr, auf der sie aussah wie Ma Joad aus Die Früchte des Zorns. Die Schlagzeile über dem Kasten lautete: »ES WAR, ALS WÄRE ER AUS DEM NICHTS GEKOMMEN«, BEHAUPTET AUGENZEUGIN.

Als Mrs. Perrine es las, war sie nicht im geringsten überrascht.

»Letzten Endes bekam ich, was ich wollte«, sagte Ralph, »aber nur weil Klotho und Lachesis - und derjenige auf der höheren Etage, für den sie arbeiten - Ed um jeden Preis aufhalten wollten.«

»Höheren Etage? Was für einer höheren Etage? In was für einem Gebäude?«

»Unwichtig. Du hast es vergessen, aber es würde auch nichts ändern, wenn du dich erinnern würdest. Wichtig ist nur folgendes, Lois: Sie wollten Ed nicht aufhalten, weil tausende Menschen gestorben wären, wenn er direkt ins Bürgerzentrum hineingerast wäre. Sie wollten ihn aufhalten, weil das Leben eines Menschen unter allen Umständen verschont werden mußte... ihrer Meinung nach jedenfalls. Als sie schließlich einsahen, daß ich über mein Kind genauso dachte wie sie über ihres, wurden Vereinbarungen getroffen.«

»Da haben sie dich geschnitten, richtig? Und dann hast du dein Versprechen gegeben. Von dem du im Schlaf gesprochen hast.«

Er warf ihr mit großen Augen einen verblüfften und herzzerreißend jungenhaften Blick zu. Sie erwiderte den Blick nur.

»Ja«, sagte er und wischte sich die Stirn ab. »Das nehme ich an.« Auf der Harris Avenue herrschte heute dichter Verkehr, und die Luft lag wie Metallsplitter in Ralphs Lungen. »Ein Leben für ein Leben, das war die Abmachung - Natalies im Tausch gegen meines. Und -«

[Hey! Hör auf, dich davonschleichen zu wollen! Hör auf, Rover, oder ich trete dir dein Arschloch eckig!]

Ralph verstummte, als er diese schrille, herrische, seltsam vertraute Stimme hörte - eine Stimme, die kein Mensch auf der Harris Avenue hören konnte, außer ihm -, und sah über die Straße.

»Ralph? Was -«

»Pssst!«

Er zog sie zu der sommerlich vertrockneten Hecke vor dem Haus der Applebaums zurück. Inzwischen transpirierte er nicht mehr nur; sein ganzer Körper stank nach einem übelriechenden Schweiß, so dick wie Motoröl, und er konnte spüren, wie jede Drüse in seinem Körper ihre heiße Ladung in seine Blutbahnen pumpte. Seine Unterwäsche wollte ihm in die Arschfalte kriechen und verschwinden. Seine Zunge schmeckte wie eine verbrannte Zündschnur.

Lois folgte seinem Blick. »Rosalie!« rief sie. »Rosalie, du böser Hund! Was machst du denn hier?«

Der schwarzbraune Beagle, den sie Ralph an ihrem ersten gemeinsamen Weihnachtsfest geschenkt hatte, befand sich auf der anderen Straßenseite und stand (kauerte wäre das bessere Wort gewesen) auf dem Bürgersteig vor dem Haus, wo Helen und Nat gewohnt hatten, bevor Ed übergeschnappt war. Zum erstenmal in den Jahren, seit sie die Hündin hatten, erinnerte sie Lois an Rosalie Nr. 1, den hinkenden Streuner, der an dem Abend, nachdem Ralph eine verzweifelte Lois Chasse auf der Parkbank gefunden hatte, wo sie sich die Seele aus dem Leib weinte, auf der Straße überfahren worden war. Rosalie Nr. 2 schien ganz allein da drüben zu sein, aber das konnte Lois' plötzliches Entsetzen nicht vertreiben.

Oh, was habe ich getan? dachte sie. Was habe ich getan?

»Rosalie!« schrie sie. »Rosalie, komm hier rüber!«

Die Hündin hörte sie, das konnte Lois sehen, aber sie bewegte sich nicht.