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Ja, entschied er. Vielleicht wollte Ed genau das. Warum?

Wer weiß. Vielleicht, um das Wasser etwas zu trüben, vielleicht auch nur, weil er verrückt war.

»Hör auf mit dem Scheiß«, sagte er mit fast zu einem Flüstern gesenkter Stimme. Er stellte dankbar fest, daß ihm sofort wieder Eds ungeteilte Aufmerksamkeit galt, und es freute ihn noch mehr, daß Eds angenehm vager Ausdruck verschämter Heiterkeit verschwand. Er wurde von einer verkniffenen, argwöhnischen Miene ersetzt. Es war, fand Ralph, der Ausdruck eines gefährlichen, gereizten Tieres.

Ralph bückte sich, damit er Ed direkt ansehen konnte. »War es wegen Susan Day?« fragte er mit derselben leisen Stimme. »Susan Day und dieser Abtreibungsgeschichte? Wegen der toten Babys? Hast du das alles an Helen ausgelassen?«

Eine andere Frage ging ihm durch den Kopf - Wer bist du wirklich, Ed? -, aber bevor er sie stellen konnte, streckte Ed eine Hand aus, drückte sie auf Ralphs Brust und stieß zu. Ralph fiel rückwärts auf das nasse Gras, wo er sich mit Ellbogen und Schultern abstützte. Er lag mit flach auf den Boden gepreßten Füßen und aufgestellten Knien da und beobachtete, wie Ed plötzlich aus dem Liegestuhl sprang.

»Ralph, leg dich nicht mit ihm an!« rief McGovern von seiner relativ sicheren Position auf dem Bürgersteig.

Ralph schenkte ihm keine Beachtung. Er blieb einfach, wo er war, auf die Ellbogen gestützt, und beobachtete Ed aufmerksam. Er war immer noch ängstlich und wütend, aber diese Empfindungen wurden von einer seltsam kalten Faszination überschattet. Es war Wahnsinn, was er da vor sich sah - der absolut helle Wahnsinn. Kein Comic-Bösewicht, kein Norman Bates, kein Kapitän Ahab. Nur Ed Deepneau, der unten an der Küste in den Hawking Labors arbeitete - eines der Superhirne, wie die alten Männer draußen auf dem Picknickplatz gesagt hätten, aber trotzdem ein ziemlich netter Kerl für einen Demokraten. Und jetzt war der nette Kerl verrückt geworden, total plemplem, und das war nicht erst heute nachmittag passiert, als Ed den Namen seiner Frau auf der Liste gesehen hatte, die im Shaw's am schwarzen Brett hing. Ralph begriff jetzt, daß Eds Wahnsinn mindestens ein Jahr alt war, und dabei fragte er sich, was für Geheimnisse Helen hinter ihrem normalen, fröhlichen Verhalten und ihrem unbekümmerten Lächeln verborgen haben mochte, und welche kleinen, verzweifelten Signale - abgesehen von den Blutergüssen - ihm möglicherweise entgangen sein konnten.

Und dann ist da noch Natalie, dachte er. Was hat sie gesehen? Was hat sie erlebt? Davon abgesehen, daß sie auf der blutigen Hüfte ihrer stolpernden Mutter über den Parkplatz des Red Apple getragen worden war.

Gänsehaut bildete sich auf Ralphs Armen.

Derweil ging Ed auf und ab, überquerte ununterbrochen den Betonweg und zertrat die Zinnien, die Helen an dessen Rand entlang gepflanzt hatte. Er war wieder zu dem Ed geworden, den Ralph vor einem Jahr am Flughafen gesehen hatte, bis hin zu den knappen, ruckartigen Kopfbewegungen und den stechenden Blicken ins Leere.

Das sollte das arglose Benehmen von vorhin verbergen, dachte Ralph. Er sieht jetzt genauso aus wie damals, als er hinter dem Mann her war, der den Pickup gefahren hat. Wie ein Hahn, der sein kleines Stück des Hofs verteidigt.

»Das alles ist strenggenommen nicht ihre Schuld, das gebe ich zu.« Ed sprach hastig und schlug mit der rechten Faust in die linke Handfläche, während er durch den Gischtschleier des Rasensprengers ging. Ralph fiel auf, daß er jede Rippe von Eds Brustkorb sehen konnte; der Mann sah aus, als hätte er seit Monaten keine anständige Mahlzeit mehr eingenommen.

»Aber wenn die Dummheit einmal ein bestimmtes Maß erreicht hat, fällt es einem schwer, damit zu leben«, fuhr Ed fort. »Sie ist im Grunde genommen wie die drei Weisen, die zu König Herodes kommen und Informationen wollen. Ich meine, wie dumm kann man werden? > Wo ist der, der zum König der Juden geboren ist?< Das fragen sie Herodes. Ich meine, von wegen weise Männer! Richtig, Ralph?«

Ralph nickte. Klar, Ed. Wie du meinst, Ed.

Ed erwiderte das Nicken, trampelte weiter durch die Gischt und die geisterhaften, ineinander verflochtenen Regenbogen und schlug die Faust in die Handfläche. »Es ist wie in diesem Song der Rolling Stones - >Look at that, look at that, look at that stupid girl< - >Sieh dir das dumme Mädchen an.< Daran erinnerst du dich wahrscheinlich nicht, oder?« Ed lachte, ein sprödes, kurzatmiges Geräusch, bei dem Ralph an Ratten denken mußte, die auf Glasscherben tanzten.

McGovern kniete neben ihm. »Laß uns von hier verschwinden«, murmelte er. Ralph schüttelte den Kopf, und als sich Ed wieder in ihre Richtung umdrehte, stand McGovern hastig auf und zog sich auf den Bürgersteig zurück.

»Sie hat gedacht, sie könnte dich hinters Licht führen, ist es das?« fragte Ralph. Er lag immer noch auf die Ellbogen gestützt auf dem Rasen. »Sie hat gedacht, du würdest nicht herausfinden, daß sie die Petition unterschrieben hat.«

Ed sprang über den Weg, beugte sich über Ralph und schüttelte seine Fäuste über dessen Kopf wie ein Bösewicht in einem Stummfilm. »Nein-nein-nein-nein!« schrie er.

Die Jefferson Airplane waren den Animals gewichen, Eric Burdon röhrte das Evangelium nach John Lee Hooker: Boomboom-boom-boom, gonna shoot ya right down. McGovern stieß einen dünnen Schrei aus, weil er offenbar dachte, Ed würde Ralph angreifen, aber statt dessen sank Ed nach unten, preßte die Knöchel ins Gras und nahm die Haltung eines Sprinters an, der bereit ist, aus den Startlöchern zu schnellen, sobald die Starterpistole ertönt. Perlen bedeckten sein Gesicht, die Ralph anfangs für Schweiß hielt, bis ihm einfiel, daß Ed durch die Gischt des Sprengers hin und her gegangen war. Ralph mußte ständig den Blutspritzer auf dem linken Brillenglas von Ed ansehen. Der war ein wenig verschmiert, so daß die Pupille des linken Auges jetzt aussah, als wäre sie mit Blut gefüllt.

»Es war Schicksal, daß ich herausfand, daß sie die Petition unterschrieben hatte! Einfach Schicksal! Willst du mir einreden, daß du das nicht einsiehst? Beleidige nicht meine Intelligenz, Ralph! Du bist vielleicht in die Jahre gekommen, aber du bist alles andere als dumm. Es ist so, ich gehe runter zum Supermarkt, um Simulac zu kaufen - Babypuder, das nenne ich Ironie! -, und muß feststellen, daß sie bei den Babykillern unterschrieben hat! Den Zenturions! Dem Scharlachroten König persönlich! Und weißt du was? Ich... habe... einfach... rot gesehen!«

»Der Scharlachrote König, Ed? Wer ist das?«

»Oh, bitte.« Ed warf Ralph einen listigen Blick zu. >»Da Herodes nun sah, daß er von den Weisen betrogen worden war, ward er sehr zornig und schickt aus und ließ alle Knäblein zu Bethlehem töten und in der ganzen Gegend, die da zweijährig und darunter waren, nach der Zeit, die er mit Fleiß von den Weisen erkundet hatte.< Es steht in der Bibel, Ralph. In der guten King James-Ausgabe. Matthäus, Kapitel 2, Vers 16. Zweifelst du daran? Hast du etwa den geringsten verschissenen Zweifel, daß das dort steht?«

»Nein. Wenn du es sagst, glaube ich dir.«

Ed nickte. Der Blick seiner tiefen und erstaunlich grünen Augen schnellte hierhin und dorthin. Dann beugte er sich langsam nach vorne über Ralph und plazierte seine Hände auf beiden Seiten von Ralphs Armen. Es war, als wollte er ihn küssen. Ralph konnte Schweiß und ein Aftershave riechen, das sich fast völlig verflüchtigt hatte, und noch etwas - einen Geruch wie von alter, saurer Milch. Er fragte sich, ob das der Gestank von Eds Wahnsinn sein konnte.

Ein Krankenwagen kam mit Blaulicht, aber ohne Sirene, die Harris Avenue entlanggefahren. Er bog auf den Parkplatz des Red Apple ein.

»Das solltest du«, atmete Ed ihm ins Gesicht. »Das solltest du besser glauben.«

Sein Blick hörte auf zu schweifen und heftete sich auf Ralph.

»Sie töten die Babys en gros«, sagte er mit leiser, nicht ganz standhafter Stimme. »Reißen Sie aus den Leibern ihrer Mütter und befördern sie mit verdeckten Lastwagen aus der Stadt. Überwiegend Pritschenwagen. Stell dir eine Frage, Ralph: Wie oft am Tag siehst du einen dieser großen Pritschenwagen die Straße entlangfahren? Einen Pritschenwagen, über den eine Plane gespannt ist? Hast du dich schon mal gefragt, was sich unter diesen Planen befindet?«