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Aber er konnte das Gefühl nicht abschütteln, daß es diesmal ernster wäre, und zwar weil in der Version von Bill und in der von Lois Ed Deepneau vorkam, und Ed war keineswegs der normale, durchschnittliche Abtreibungsgegner. Immerhin handelte es sich um den Mann, der seiner Frau ein Büschel Haare ausgerissen, ihr das Gebiß neu eingerichtet und ihr einen Wangenknochen gebrochen hatte, und das nur, weil er ihren Namen auf einer Petition von Woman-Care fand. Es handelte sich um den Mann, der allen Ernstes davon überzeugt war, daß jemand, der sich der Scharlachrote König nannte -toller Name für einen Profi-Catcher, fand Ralph -, in Derry herumspazierte, und daß seine Untergebenen ihre ungeborenen Opfer mit Lastwagen aus der Stadt schafften (und ein paar Pickups, auf denen die Embryos in Fässern mit der Aufschrift DÜNGER versteckt waren). Nein, er hatte das Gefühl, wenn Ed dort gewesen war, ging es wahrscheinlich nicht nur darum, daß jemand aus Versehen mit einem Protestschild auf den Kopf geschlagen worden war.

»Gehen wir zu mir nach Hause«, schlug Lois plötzlich vor. »Ich rufe Simone Castonguay an. Ihre Nichte ist tagsüber an der Rezeption von Woman-Care. Wenn jemand genau weiß, was heute morgen dort passiert ist, dann Simone - sie wird Barbara angerufen haben.«

»Ich war gerade auf dem Weg zum Supermarkt«, sagte Ralph. Das war selbstverständlich eine Lüge, aber sicher eine kleine; der Markt befand sich im Einkaufszentrum einen halben Block vom Park entfernt gleich neben dem Rite Aid. »Kann ich auf dem Rückweg vorbeikommen?«

»Na klar«, sagte Lois und lächelte ihm zu. »Wir erwarten dich in ein paar Minuten, nicht, Bill?«

»Ja«, sagte McGovern und zog sie plötzlich in seine Arme. Es war eine ziemliche Strecke, aber es gelang ihm. »Bis dahin habe ich dich ganz für mich alleine. Oh, Lois, wie diese süßen Minuten dahinfliegen werden!«

Direkt innerhalb des Parks hatte eine Gruppe junger Frauen mit Babys in Kinderwagen (Mütterklatsch, dachte Ralph) sie beobachtet - wahrscheinlich von Lois' Gesten angelockt, die einen Hang zum Grandiosen hatten, wenn sie aufgeregt war. Als McGovern Lois nun nach hinten kippte und sich mit der gespielten Leidenschaft eines schlechten Schauspielers am Ende eines Bühnentangos über sie beugte, sagte eine der Mütter etwas zu einer anderen, worauf sie beide lachten. Es war ein schrilles, freudloses Geräusch, bei dem Ralph an Kreide auf einer Tafel und Gabeln denken mußte, die über Porzellan kratzten. Seht euch die komischen alten Leute an, sagte das Lachen. Seht euch die komischen alten Leute an, die so tun, als wären sie wieder jung.

Ralph sah sie durchdringend an und versuchte, ihnen einen Gedanken zu senden: Das blüht euch auch noch. Vielleicht glaubt ihr es jetzt noch nicht, aber es ist so.

»Hör auf, Bill«, sagte Lois. Sie errötete, aber möglicherweise nicht nur, weil Bill seine üblichen Albernheiten abzog. Sie hatte das Gelächter aus dem Park auch gehört. McGovern zweifellos auch, aber McGovern glaubte sicher, daß sie mit ihm lachten, nicht über ihn. Manchmal, überlegte sich Ralph, konnte ein etwas aufgeblasenes Ego ein Selbstschutz sein.

McGovern ließ sie los, dann nahm er den Fedora ab und schwenkte ihn über die Taille, während er eine übertriebene Verbeugung machte. Lois war zu sehr damit beschäftigt, sich zu vergewissern, daß ihre Seidenbluse noch im Rocksaum steckte, um auf ihn zu achten. Ihre Röte verblaßte schon wieder, und Ralph sah, daß sie müde und nicht besonders gut aussah. Er hoffte, daß sie keine Krankheit ausbrütete.

»Komm vorbei, wenn du kannst«, sagte sie leise zu Ralph.

»Mach ich, Lois.«

McGovern legte ihr einen Arm um die Taille, eine diesmal freundschaftlich und ehrlich gemeinte Geste der Zuneigung, und sie gingen gemeinsam über die Straße. Als Ralph sie beobachtete, überkam ihn plötzlich ein starkes Gefühl des deja vu, als hätte er sie an einem anderen Ort schon einmal so gesehen. Oder in einem anderen Leben. Dann, als McGovern gerade den Arm sinken ließ und die Illusion zerstörte, fiel es ihm ein: Fred Astaire, der eine dunkelhaarige und etwas plumpe Ginger Rogers in eine Kleinstadtfilmkulisse führte, wo sie gemeinsam zu einer Melodie von Jerome Kern oder vielleicht Lerner und Loewe tanzen würden.

Das ist unheimlich, dachte er und drehte sich wieder dem kleinen Einkaufszentrum auf halbem Wege am Up-Mile Hill zu. Das ist sehr unheimlich, Ralph. Bill McGovern und Lois Chasse sind so weit von Fred Astaire und Ginger Rogers entf...

»Ralph?« rief Lois, und er drehte sich um. Eine Kreuzung und fast ein ganzer Block lagen nun zwischen ihnen. Autos fuhren auf der Elizabeth Street hin und her, so daß Ralph sie nur mit stotternden Unterbrechungen sehen konnte.

»Was?« rief er zurück.

»Du siehst besser aus! Ausgeruhter! Kannst du endlich wieder schlafen?«

»Ja!« antwortete er und dachte: Noch eine kleine Notlüge für einen guten Zweck.

»Habe ich dir nicht gesagt, daß es dir wieder besser gehen würde, wenn das Wetter umschlägt? Wir sehen uns gleich!«

Lois winkte ihm mit den Fingern, und Ralph sah zu seinem Erstaunen, daß hellblaue diagonale Linien von den kurzen, aber sorgfältig manikürten Nägeln ausgingen. Sie sahen wie Kondensstreifen aus.

Was, zum Teufel -?

Er preßte die Augen fest zu und riß sie wieder auf. Nichts. Nur Bill und Lois, die ihm die Rücken zukehrten und die Straße entlang zu Lois' Haus gingen. Keine hellblauen Diagonalen in der Luft, nichts dergleichen – Ralphs Blick fiel auf den Bürgersteig, und er stellte fest, daß Lois und Bill Spuren auf dem Beton zurückließen, Spuren, die haargenau wie die Fußabdrücke in den alten Tanzkursen von Arthur Murray aussahen, die man per Post bestellen konnte. Die von Lois waren grau. McGoverns - größer, aber dennoch seltsam zierlich - waren von einem dunklen Olivgrün. Sie leuchteten auf dem Bürgersteig, und Ralph, der auf der anderen Seite der Elizabeth Street stand und das Bonn fast bis zum Brustbein hängen ließ, stellte plötzlich fest, daß er kleine Kringel bunten Rauchs von ihnen aufsteigen sehen konnte. Möglicherweise war es auch Dampf.

Ein städtischer Bus Richtung Old Cape schnarchte vorbei und versperrte ihm vorübergehend die Sicht auf die Straße, und als der Bus vorbei war, waren die Spuren verschwunden. Nichts war auf dem Bürgersteig zu sehen, abgesehen von einer Kreidebotschaft in einem verblaßten rosa Herz: Sam + Deanie 4-ever.

Diese Spuren sind nicht verschwunden, Ralph; sie waren nie da. Das weißt du doch, oder nicht?

Ja, er wußte es. Der Gedanke, daß Bill und Lois wie Fred Astaire und Ginger Rogers aussahen, war ihm zu Kopf gestiegen; es hatte eine seltsame bizarre Logik, sich nach diesem Gedanken Fußspuren einzubilden, die wie Schritte in alten Arthur Murray-Tanzdiagrammen aussahen. Dennoch war es beängstigend. Sein Herz schlug zu schnell, und als er einen Moment die Augen zumachte und versuchte, sich zu beruhigen, sah er die Linien von Lois' winkenden Fingern ausgehen wie hellblaue Kondensstreifen.

Ich muß mehr schlafen, dachte Ralph. Ich muß. Wenn ich nicht bald schlafen kann, werde ich alles mögliche sehen.

»Das stimmt«, murmelte er, als er sich wieder zur Drogerie umdrehte. »Alles mögliche.«

3

Zehn Minuten später stand Ralph vor der Drogerie Rite Aid und betrachtete das Schild, das an einer Kette von der Decke hing: FÜHLEN SIE SICH BESSER MIT RITE AID! stand darauf, was den Anschein zu erwecken schien, als wäre sich besser zu fühlen ein Ziel, das jeder vernünftige, hart arbeitende Konsument erreichen konnte. Ralph hatte da seine Zweifel.

Das, dachte sich Ralph, war Einzelhandel mit Arzneimitteln im größten Maßstab - dagegen sah das Rexall, wo er normalerweise kaufte, wie ein Souterrain aus. Die hellen, neonbeleuchteten Gänge schienen so lang wie Bowlingbahnen zu sein und enthielten alles von Toastern bis Puzzlespielen. Nach kurzer Erkundung kam Ralph zum Ergebnis, daß Gang 3 den größten Teil der Arzneimittel enthielt und wahrscheinlich am ehesten einen Versuch wert war. Er schlenderte langsam durch ein Regal mit der Aufschrift MAGENHEILMITTEL, verweilte kurz im Königreich der SCHMERZMITTEL und durchquerte hastig das Land der ABFÜHRMITTEL. Zwischen ABFÜHRMITTEL und VERSTOPFUNGSZÄPFCHEN blieb er stehen.