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Anne Rivers schwenkte das Mikro wieder zu Ed.

»Der Schwerpunkt hier liegt nicht auf dem Philosophischen, sondern auf dem Praktischen«, sagte er. »Die Leiterinnen von Woman-Care heben zwar gerne ihre Familienberatung, ihre Therapieeinrichtungen, die kostenlose Mammographie und andere bewundernswerte Dienstleistungen hervor, aber es gibt auch eine andere Seite von Woman-Care. Ströme von Blut fließen heraus -«

»Das Blut Unschuldiger!« kreischte Dalton. Die Augen in dem langen, hageren Gesicht glühten, und Ralph kam eine beunruhigende Einsicht: Überall im östlichen Maine sahen sich Leute das an und dachten sich, daß der Mann mit den roten Hosenträgern verrückt sein mußte, während sein Partner ein ziemlich vernünftiger Typ zu sein schien. Es hatte fast etwas Komisches.

Ed behandelte Daltons Einwurf als das Pro-Life-Äquivalent von Halleluja und wartete respektvoll eine Sekunde, bevor er fortfuhr.

»Das Gemetzel bei Woman-Care geht jetzt schon seit acht Jahren so«, sagte Ed zu ihr. »Viele Leute - besonders radikale Feministinnen wie Dr. Roberta Harper, die Geschäftsführerin von Woman-Care, betreiben gerne mit Ausdrücken wie frühzeitige Terminierung< Schönfärberei, aber in Wahrheit sprechen sie von Abtreibung - die höchste Form des Mißbrauchs von Frauen in einer sexistischen Gesellschaft.«

»Aber wenn man mit falschem Blut gefüllte Puppen gegen die Fenster einer Privatklinik wirft, ist das die richtige Methode, mit seinem Anliegen an die Öffentlichkeit zu treten, Mr. Deepneau?«

Einen Augenblick - ganz kurz, und schon wieder vorbei -verschwand das gutmütige Funkeln aus Eds Augen und wurde von etwas Härterem und Kälterem ersetzt. In diesem Moment sah Ralph wieder den Ed Deepneau, der bereit gewesen war, es mit einem Lastwagenfahrer aufzunehmen, der hundert Pfund schwerer war als er. Ralph vergaß, daß es sich um eine Aufzeichnung handelte, die vor über einer Stunde gemacht worden war, und bekam Angst um die schlanke Blondine, die fast so hübsch war wie die Frau, mit der ihr Gesprächspartner immer noch verheiratet war. Seien Sie vorsichtig, junge Dame, dachte Ralph. Seien Sie vorsichtig und fürchten Sie sich. Sie stehen neben einem ausgesprochen gefährlichen Mann.

Dann war das Aufflackern vorbei, und der Mann in der Tweedjacke war wieder nur ein aufrechter junger Mann, der für sein Gewissen ins Gefängnis gegangen war. Und wieder war es Dalton, der nervös seine Hosenträger wie große rote Gummibänder schnalzen ließ und aussah, als hätte er nicht mehr alle Tassen im Schrank.

»Wir tun hier, was die sogenannten guten Deutschen in den dreißiger Jahren versäumt haben«, sagte Ed. Er sprach mit der geduldigen, schulmeisterlichen Stimme eines Mannes, der gezwungen gewesen ist, immer und immer wieder auf diesen Punkt hinzuweisen... meistens denen gegenüber, die es bereits wissen sollten. »Sie haben geschwiegen, und sechs Millionen Juden mußten sterben. In diesem Land findet ein vergleichbarer Holocaust-«

»Mehr als tausend Babys jeden Tag«, sagte Dalton. Seine Stimme klang nicht mehr so schrill. Er hörte sich entsetzt und schrecklich resigniert an. »Viele von ihnen werden n Stücken aus den Leibern ihrer Mütter gerissen und protestieren verzweifelt mit den kleinen Ärmchen, während sie sterben.«

»O gütiger Gott«, sagte McGovern. »Das ist das Lächerlichste, das ich jemals -«

»Psst, Bill!« sagte Lois streng.

»- Zweck dieses Protests?« fragte Rivers gerade Dalton.

»Wie Sie sicher wissen«, antwortete Dalton, »hat der Stadtrat beschlossen, die Bezirksvorschriften noch einmal zu untersuchen, die es Woman-Care ermöglichen, ihrer Arbeit nachzugehen, wo und wie sie es tun. Sie könnten schon im November über das Thema abstimmen. Die Abtreibungsbefürworter haben Angst, der Stadtrat könnte Sand ins Getriebe ihrer Todesmaschine streuen, daher haben sie Susan Day eingeladen, die berüchtigtste Abtreibungsbefürworterin in diesem Land, damit sie versucht, diese Maschine am Laufen zu halten. Wir organisieren unsere Kräfte... «

Das Pendel des Mikrofons schwenkte wieder zu Ed. »Wird es weitere Protestaktionen geben, Mr. Deepneau?« fragte sie, und plötzlich hatte Ralph den Eindruck, als würde sie sich nicht nur auf rein beruflicher Basis für ihn interessieren. Warum auch nicht? Ed war ein gutaussehender Mann, und Ms. Rivers konnte schließlich nicht wissen, daß er fest an den Scharlachroten König glaubte, dessen Zenturionen sich in Derry aufhielten und sich mit den Babymörderinnen von Woman-Care zusammentaten.

»Die Proteste werden weitergehen bis die gesetzliche Verirrung, die dieses Gemetzel möglich gemacht hat, beseitigt worden ist«, antwortete Ed. »Und wir hoffen alle, daß die Geschichtsschreiber des nächsten Jahrhunderts festhalten werden, daß nicht alle Amerikaner in dieser dunklen Phase unserer Geschichte gute Nazis waren.«

»Gewalttätige Protestaktionen?«

»Wir treten gegen Gewalt ein.« Jetzt wahrten die beiden Blickkontakt, und Ralph fand, daß Anne Rivers etwas hatte, das Carolyn einen »schlimmen Anfall von Juckreiz zwischen den Beinen« genannt hätte. Dan Dalton stand vergessen am Bildschirmrand.

»Und wenn Susan Day im nächsten Monat nach Derry kommt, können Sie für Ihre Sicherheit garantieren?«

Ed lächelte, und Ralph sah ihn im Geiste, wie er an jenem heißen Augustnachmittag vor nicht einmal einem Monat gewesen war - wie er kniete, eine Hand auf jeder Seite von Ralphs Schultern auf den Boden stemmte und ihm ins Gesicht hauchte: Sie verbrennen die Embryos drüben in Newport. Ralph erschauerte.

»In einem Land, wo Tausende Kinder mit medizinischen Gegenstücken von Staubsaugern aus den Leibern ihrer Mütter abgesaugt werden, kann, glaube ich, niemand für irgend etwas garantieren«, antwortete Ed.

Anne Rivers sah ihn einen Moment unsicher an, als überlegte sie, ob sie ihm noch eine Frage stellen wollte oder nicht (möglicherweise nach seiner Telefonnummer), aber dann drehte sie sich wieder in die Kamera. »Das war Anne Rivers vor dem Polizeipräsidium von Derry«, sagte sie.

Lisette Benson erschien wieder, und ihr nachdenklich verzogener Mund weckte die Überzeugung in Ralph, daß er nicht der einzige war, dem die Anziehungskraft z wischen den beiden Interviewpartnern aufgefallen war. »Wir werden täglich über den weiteren Verlauf berichten«, sagte sie. »Vergessen Sie nicht, um sechs zu den neuesten Meldungen wieder einzuschalten. In Augusta reagierte Gouverneurin Greta Powers auf Vorwürfe, sie habe -«

Lois stand auf und schaltete den Fernseher aus. Sie betrachtete einfach den leeren Bildschirm einen Moment, dann seufzte sie schwer und setzte sich. »Ich habe Blaubeerkompott«, sagte sie, »aber möchte einer von euch danach noch etwas?«

Beide Männer schüttelten die Köpfe. McGovern sah Ralph an und sagte: »Das war beängstigend.«

Ralph nickte. Er mußte daran denken, wie Ed in der Gischt des Rasensprengers hin und her gelaufen war, die Regenbogen mit seinem Körper zerrissen und sich mit der Faust in die offene Handfläche geschlagen hatte.

»Wie konnten sie ihn nur auf Kaution freilassen und dann im Fernsehen interviewen, als wäre er ein normaler Mensch?« fragte Lois betroffen. »Nach allem, was er der armen Helen angetan hat? Mein Gott, diese Anne Rivers hat ausgesehen, als würde sie ihn zu sich zum Essen einladen!«

»Oder um Cracker mit ihr im Bett zu essen«, sagte Ralph trocken.

»Die Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung und das heute sind zwei vollkommen verschiedene Dinge«, sagte McGovern, »und ihr könnt todsicher sein, daß der Anwalt oder die Anwälte dieser Jo-jos darauf achten, daß das auch so bleibt.«

»Und selbst die Körperverletzung war nur eine Ordnungswidrigkeit«, erinnerte Ralph sie.

»Wie kann ein tätlicher Angriff eine Ordnungswidrigkeit sein?« fragte Lois. »Tut mir leid, aber das habe ich nicht verstanden.«