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»Es ist nur eine Ordnungswidrigkeit, wenn man es mit der eigenen Frau macht«, sagte McGovern und zog sardonisch eine Braue hoch. »Das ist der American way of life, Lo.«

Sie verdrehte unablässig die Hände ineinander, holte Mr. Chasse vom Fernseher herunter, sah ihn einen Moment an, stellte ihn wieder hin und verdrehte weiter die Hände. »Nun, das Gesetz ist eines«, sagte sie, »und ich bin die erste, die zugibt, daß ich es nicht ganz verstehe. Aber jemand müßte ihnen sagen, daß er verrückt ist. Daß er seine Frau prügelt und verrückt ist.«

»Du weißt gar nicht, wie verrückt«, sagte Ralph, und dann erzählte er ihnen zum erstenmal die Geschichte, was sich im vergangenen Sommer draußen beim Flughafen abgespielt hatte. Es dauerte etwa zehn Minuten. Als er fertig war, sagte keiner etwas - sie sahen ihn nur mit aufgerissenen Augen an.

»Was?« fragte Ralph unbehaglich. »Glaubt ihr mir nicht? Denkt ihr, ich habe mir alles nur eingebildet?«

»Selbstverständlich glaube ich dir«, sagte Lois. »Ich bin nur... nun... fassungslos. Und ich habe Angst.«

»Ralph, ich glaube, du solltest John Leydecker die Geschichte erzählen«, sagte McGovern. »Ich glaube nicht, daß er irgendwas damit anfangen kann, aber wenn ich mir Eds neue Spielkameraden ansehe, finde ich, er müßte die Information haben.«

Ralph dachte gründlich darüber nach, dann nickte er und stand auf. »Es geht nichts über die Gegenwart«, sagte er. »Möchtest du mitkommen, Lois?«

Sie überlegte, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich bin müde«, sagte sie. »Und ein bißchen - wie nennen die jungen Leute das heutzutage? - ein bißchen ausgenippt. Ich glaube, ich werde eine Weile die Füße hochlegen. Ein Nickerchen machen.«

»Tu das«, sagte Ralph. »Du siehst wirklich ein wenig mitgenommen aus. Und danke für das Essen.« Er beugte sich impulsiv über sie und gab ihr einen Kuß auf den Mundwinkel. Lois sah erstaunt und dankbar zu ihm auf.

Ralph schaltete etwas mehr als sechs Stunden später den Fernseher ein, als Lisette Benson gerade die Abendnachrichten beendete und an den Sportmoderator weitergab. Die Demonstration vor Woman-Care war auf den zweiten Platz verdrängt worden - Aufmacher des Abends waren die anhaltenden Vorwürfe, daß Gouverneurin Greta Powers als Studentin Kokain genommen hätte -, und es gab nichts Neues, davon abgesehen, daß Dan Dalton jetzt als Kopf der Friends of Life dargestellt wurde. Ralph dachte sich, daß Galionsfigur der zutreffendere Ausdruck gewesen wäre. Hatte Ed tatsächlich schon das Sagen? Wenn nicht, würde er es wahrscheinlich bald haben, vermutete Ralph - spätestens Weihnachten. Eine interessantere Frage war, was Eds Arbeitgeber von seinen Problemen mit Recht und Ordnung in Derry halten mochten. Ralph hatte eine Ahnung, daß ihnen das von heute weitaus weniger gefallen würde als letzten Monat die Anzeige wegen ehelicher Grausamkeit; er hatte erst kürzlich gelesen, daß die Hawking Laboratorien demnächst zum fünften Forschungslabor im Nordosten werden würden, das mit Embryogewebe arbeitete. Wahrscheinlich gefiel ihnen die Neuigkeit nicht, daß einer ihrer Chemiker festgenommen worden war, weil er mit falschem Blut gefüllte Puppen auf eine Klinik geworfen hatte, wo Abtreibungen durchgeführt wurden. Und wenn sie erfuhren, wie verrückt er tatsächlich war -

Wer sollte es ihnen sagen, Ralph? Du?

Nein. Das war ein Schritt weiter, als er zu gehen bereit war, jedenfalls vorläufig. Im Gegensatz zu dem Ausflug zum Polizeirevier mit Bill McGovern heute nachmittag, um John Leydecker von dem Zwischenfall letzten Sommer zu erzählen, kam ihm das wie Aufhetzerei vor. Als würde man TÖTET DIESE FOTZE neben das Bild einer Frau schreiben, deren Ansichten man nicht teilte.

Das ist Quatsch, wie du sehr genau weißt.

»Ich weiß gar nichts«, sagte er, stand auf und ging zum Fenster. »Ich bin zu müde, etwas zu wissen.« Aber als er dort stand und auf der anderen Straßenseite zwei Männer mit je einem Sechserpack Bier aus dem Red Apple kommen sah, wußte er plötzlich doch etwas, erinnerte sich an etwas, das ihm einen kalten Schauer über den Rücken jagte.

Heute morgen, als er aus dem Rite Aid gekommen und überwältigt von den Auren gewesen war - und dem Gefühl, als hätte er eine neue Stufe der Wahrnehmung erreicht -, hatte er sich immer wieder ermahnt, sich daran zu erfreuen, es aber nicht zu glauben; wenn es ihm nicht gelänge, diese lebenswichtige Unterscheidung zu treffen, würde er im selben Boot wie Ed Deepneau enden. Dieser Gedanke hatte fast die Tür zu einer assoziativen Erinnerung aufgestoßen, aber die wabernden Auren auf dem Parkplatz hatten ihn davon abgelenkt, bevor er sie ganz zu fassen bekommen hatte. Jetzt fiel es ihm wieder ein: Ed hatte etwas davon gesagt, daß er Auren sah, oder nicht?

Nein, er hat vielleicht Auren gemeint, aber das Wort, das er tatsächlich benutzt hat, war Farben. Ich bin fast sicher. Gleich nachdem er davon gesprochen hatte, daß er überall die Leichen von Babys sah, sogar auf den Dächern. Er sagte – Ralph sah den beiden Männern zu, wie sie in einen schrottreifen alten Lastwagen einstiegen, und dachte sich, daß er sich nicht mehr an Eds genaue Worte erinnern würde; er war einfach zu müde. Dann fuhr der Lastwagen los und zog eine Abgaswolke hinter sich her, die ihn an den roten Dunst erinnerte, den er heute vormittag aus dem Auspuff des Bäckereiwagens kommen gesehen hatte, und da wurde eine weitere Tür auf gestoßen, und die Erinnerung kam.

»Er hat gesagt, manchmal wäre die Welt voller Farben«, sagte Ralph zu seinem einsamen Apartment, »aber irgendwann würden sie alle schwarz werden. Ich glaube, das war es.«

Er war nahe dran, aber war das alles? Ralph dachte, daß Ed noch etwas mehr gesagt hatte, aber er konnte sich nicht erinnern. Spielte das eine Rolle? Seine Nerven bejahten diese Frage nachdrücklich - der kalte Schauer auf seinem Rücken war stärker geworden.

Hinter ihm läutete das Telefon. Ralph drehte sich um und sah es in einem Schimmer widerlichen roten Lichts, dunkelrot, die Farbe von Nasenbluten und

(Hähnen Kampfhähnen)

Hahnenkämmen.

Nein, stöhnte es in seinem Inneren. O nein, Ralph, nicht schon wieder -

Jedesmal wenn das Telefon läutete, wurde die Aura des Lichts heller. In den Intervallen der Stille wurde sie dunkler. Es war, als würde man ein geisterhaftes Herz mit einem Telefon in der Mitte sehen.

Ralph kniff die Augen fest zusammen, und als er sie wieder aufschlug, war die rote Aura um das Telefon herum verschwunden.

Nein, du kannst sie jetzt gerade nur nicht sehen. Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, ich habe sie verschwinden lassen. Wie etwas in einem lichten Traum.

Als er durch das Zimmer zum Telefon ging, sagte er sich - und zwar klipp und klar -, daß dieser Gedanke so verrückt sei wie die Auren überhaupt. Aber das stimmte nicht, und er wußte es. Denn wenn es verrückt war, wieso hatte er dann die hahnenkammrote Aura um das Telefon nur einmal angesehen und gewußt, daß Ed Deepneau der Anrufer war?

Das ist doch Unsinn, Ralph. Du glaubst, daß es Ed ist, weil dir Ed im Moment nicht aus dem Kopf geht... und weil du so müde bist, daß du schon ganz wunderlich im Kopf wirst. Los doch, nimm ab, wirst schon sehen. Es ist nicht das verräterische Herz, nicht einmal das verräterische Telefon. Wahrscheinlich ein Typ, der dir ein Zeitschriftenabo verkaufen will, oder die Dame von der Blutbank, die sich wundert, warum du schon lange nicht mehr dort warst.

Aber er wußte es besser.

Ralph nahm den Hörer ab und sagte Hallo.

Keine Antwort. Aber es war jemand dran; Ralph konnte das Atmen hören.

»Hallo?« rief er noch einmal.

Immer noch keine sofortige Antwort, und er wollte gerade ankündigen: Ich lege jetzt auf, als Ed Deepneau sagte: »Ich habe wegen deinem Mund angerufen, Ralph. Er versucht, dich in Schwierigkeiten zu bringen.«

Der kalte Schauer auf seinem Rücken war kein Schauer mehr, sondern eine dünne Eisschicht, die ihn vom Nacken bis zum Steißbein überzog.