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»Hallo, Ed. Ich hab dich heute in den Nachrichten gesehen.« Etwas anderes fiel ihm nicht ein. Seine Hand schien den Telefonhörer nicht zu halten, sondern sich daran zu klammern.

»Unwichtig, alter Junge. Hör mir nur gut zu. Ich hatte einen Besuch von diesem Detective, der mich letzten Sommer verhaftet hat - Leydecker. Er ist gerade eben gegangen.«

Ralph rutschte das Herz in die Hose, aber nicht so tief, wie er gedacht hatte. Schließlich war es nicht überraschend, daß Leydecker Ed besucht hatte, oder nicht? Er hatte sich sehr für Ralphs Schilderung der Konfrontation beim Flughafen im Sommer 1992 interessiert. Wirklich sehr.

»Tatsächlich?« fragte Ralph gelassen.

»Detective Leydecker scheint den Eindruck zu haben, daß ich denke, Leute - möglicherweise übernatürliche Wesen - karrten Embryos auf Lastwagen aus der Stadt. Was für ein Lachschlager, hm?«

Ralph stand neben dem Sofa, zog die Telefonleitung müßig zwischen den Fingern hindurch und stellte fest, daß er dunkelrotes Licht wie Schweiß aus dem Kabel quellen sehen konnte. Das Licht pulsierte im Rhythmus von Eds Sprechweise.

»Du hast aus dem Nähkästchen geplaudert, alter Junge.«

Ralph schwieg.

»Es hat mich nicht gestört, daß du die Polizei gerufen hast, nachdem ich dem Flittchen die Lektion verpaßt hatte, die sie verdiente«, sagte Ed zu ihm. »Das habe ich auf, nun, großväterliche Fürsorge zurückgeführt. Oder vielleicht hast du gedacht, wenn sie dir dankbar genug ist, läßt sie sich vielleicht auf einen Gnadenfick mit dir ein. Schließlich bist du alt, aber noch nicht gerade reif für den Dino-Park. Vielleicht hast du gedacht, daß du zumindest mal einen Finger reinstecken dürftest.«

Ralph sagte nichts.

»Richtig, alter Junge?«

Ralph sagte nichts.

»Glaubst du, du kannst mich mit der Schweigenummer aus der Fassung bringen? Vergiß es.« Aber Ed hörte sich doch aus der Fassung gebracht an. Es war, als hätte er den Anruf mit einem bestimmten Drehbuch im Kopf unternommen, und Ralph weigerte sich nun, seine Dialogzeilen zu sprechen. »Das kannst du nicht... du solltest besser nicht...«

»Daß ich die Polizei angerufen habe, nachdem du Helen verprügelt hattest, hat dich nicht gestört, aber dein Gespräch heute mit Leydecker offensichtlich doch. Warum nur, Ed? Stellst du dir langsam ein paar Fragen nach deinem Verhalten? Und möglicherweise deinem Verstand?«

Nun war es an Ed, zu schweigen. Schließlich flüsterte er schroff: »Wenn du das nicht ernst nimmst, Ralph, wäre das dein größter Fehler -«

»Oh, ich nehme es ernst«, sagte Ralph. »Ich habe gesehen, was du heute getan hast, ich habe gesehen, was du letzten Monat mit deiner Frau gemacht hast... und ich habe gesehen, was du letzten Sommer gemacht hast. Jetzt weiß es die Polizei auch. Ich habe dir zugehört, Ed, und jetzt hörst du mir zu. Du bist krank. Du hast eine Art Nervenzusammenbruch gehabt, du hast Halluzinationen -«

»Ich muß mir diese Scheiße nicht anhören!« kreischte Ed fast.

»Nein, das mußt du nicht. Du kannst auflegen. Schließlich ist es dein Geld. Aber bis du das tust, werde ich sprechen. Weil ich dich gern gehabt habe, Ed., und ich möchte dich wieder gern haben können. Du bist ein kluger Kopf, Halluzinationen hin oder her, und ich glaube, du verstehst mich: Leydecker weiß Bescheid, und Leydecker wird dich im Auge be -«

»Siehst du die Farben schon?« fragte Ed. Seine Stimme klang wieder ruhig. Im selben Augenblick verschwand das rote Leuchten um das Telefonkabel herum.

»Was für Farben?« fragte Ralph schließlich.

Ed achtete nicht auf die Frage. »Du hast gesagt, du hast mich gern. Nun, ich mag dich auch. Ich habe dich immer gemocht. Daher werde ich dir jetzt einen gutgemeinten Rat geben. Du schwimmst in tiefem Wasser, und es kreisen Dinge in der Strömung, die du dir nicht einmal vorstellen kannst. Du glaubst, ich bin verrückt, aber ich muß dir sagen, du weißt nicht, was Wahnsinn ist. Du hast nicht die geringste Ahnung. Aber du wirst es erfahren, wenn du dich weiter in Dinge einmischst, die dich nichts angehen. Glaub mir.«

»Was für Dinge?« fragte Ralph. Er versuchte, mit unbekümmerter Stimme zu sprechen, aber er umklammerte den Hörer immer noch so fest, daß seine Finger schmerzten.

»Mächte«, antwortete Ed. »Hier in Derry sind Mächte am Werk, von denen du gar nichts wissen willst. Hier gibt es... nun, sagen wir einfach, hier gibt es Wesenheiten. Sie haben dich noch nicht bemerkt, aber wenn du dich weiter mit mir anlegst, werden sie es. Und das möchtest du sicher nicht. Glaub mir.«

Mächte. Wesenheiten.

»Du hast mich gefragt, wie ich das alles herausgefunden habe. Wer mich ins Spiel gebracht hat. Erinnerst du dich, Ralph?«

»Ja.« Und das stimmte. Jetzt. Das hatte Ed als letztes zu ihm gesagt, bevor er das breite Quizmastergrinsen aufgesetzt und zu den Polizisten gegangen war. Ich habe die Farben gesehen, seit er hier war und es mir gesagt hat. Wir reden später darüber.

»Der Arzt hat es mir gesagt. Der kleine kahle Arzt. Ich glaube, mit ihm wirst du es zu tun bekommen, wenn du wieder versuchen solltest, dich in meine Angelegenheiten einzumischen. Und dann gnade dir Gott.«

»Der kleine kahle Arzt, hm-hmm«, sagte Ralph. »Ja, ich verstehe. Zuerst der Scharlachrote König und seine Zenturionen, jetzt der kleine kahle Arzt. Ich nehme an, als nächstes ist es -«

»Verschon mich mit deinem Sarkasmus, Ralph. Bleib einfach weg von mir und meinen Interessen, hast du verstanden? Bleib weg.«

Ein Klick, und die Leitung war tot. Ralph betrachtete den Telefonhörer in seiner Hand lange Zeit, dann legte er auf.

Bleib einfach weg von mir und meinen Interessen.

Ja, warum nicht? Er hatte genug vor seiner eigenen Tür zu kehren.

Ralph ging langsam in die Küche, schob ein tiefgefrorenes Fertiggericht in den Herd (Schellfischfilet, um genau zu sein) und versuchte, Abtreibungsproteste, Auren, Ed Deepneau und den Scharlachroten König aus seinen Gedanken zu verdrängen.

Das war leichter, als er erwartet hatte.

Kapitel 6

Der Sommer verging wie immer in Maine, fast unbemerkt. Ralph wachte auch weiterhin viel zu früh auf, und als das Laub der Bäume entlang der Harris Avenue in leuchtenden Farben brannte, schlug er jeden Morgen gegen 2:15 Uhr die Augen auf. Das war beschissen, aber er sah seinem Termin bei James Roy Hong entgegen, und das unheimliche Feuerwerk nach seiner ersten Begegnung mit Joe Wyzer hatte sich nicht mehr wiederholt. Gelegentlich sah er ein Flackern an den Rändern von Gegenständen, aber Ralph stellte fest, wenn er die Augen zukniff und bis fünf zählte, war das Flackern verschwunden, wenn er sie wieder aufschlug.

Nun... normalerweise verschwunden.

Susan Days Rede war auf Freitag, den achten Oktober, festgesetzt worden, und als der September zu Ende ging, nahmen die Proteste und öffentlichen Abtreibungsdebatten an Schärfe zu und kreisten immer mehr um ihren Auftritt. Ralph sah Ed häufig in den Fernsehnachrichten, manchmal in Begleitung von Dan Dalton, aber immer häufiger allein; er sprach stets rasch, argumentierte überzeugend und nicht selten mit einen schwachen Anflug von Humor nicht nur in den Augen, sondern auch in der Stimme.

Die Leute mochten ihn, und die Friends of Life zogen offenbar die großen Mitgliederzahlen an, von denen Daily Bread, die politische Vorläuferorganisation, nur hatte träumen können. Es wurden keine Puppen mehr geworfen oder andere gewalttätige Demonstrationen durchgeführt, aber es gab jede Menge Protestmärsche und Gegenmärsche, jede Menge Beschimpfungen und Fäusteschütteln und wütende Leserbriefe. Prediger verhießen Verdammnis; Lehrer traten für Mäßigung und Bildung ein; ein halbes Dutzend junge Frauen, die sich selbst Kesse Lesben für Jesus Christus nannten, wurden verhaftet, weil sie mit Spruchbändern wie VERPISST EUCH AUS MEINEM KÖRPER vor der Baptistenkirche von Derry demonstrierten. Ein ungenannter Polizist wurde in den Derry News zitiert, er hoffe, Susan Day würde die Grippe oder so etwas bekommen und ihren Auftritt in Derry absagen.