Выбрать главу

»Was für eine Botschaft? Von wem?«

»Ich weiß nicht, von wem sie ist«, sagte er und warf Ralph einen Blick zu, als würde er ihn entweder für begriffsstutzig halten oder denken, daß er sich dumm stellte. »Ich lasse mich nicht in langfristige Geschäfte ein. Und ich habe dir gesagt, daß du es auch nicht tun sollst, weißt du nicht mehr?«

Ralph konnte sich an etwas erinnern, aber er wußte nicht genau, an was. Er war erschöpft und hatte sich schon einen ermüdenden Vortrag zum Thema Susan Day von Harn Davenport anhören müssen. Er hatte keine Lust, sich jetzt auch noch mit Dorrance Marstellar herumzuschlagen, so wunderschön der Samstagvormittag auch sein mochte. »Nun, dann gib mir einfach die Botschaft«, sagte er, »und ich schleppe mich nach oben. Wie wäre das?«

»Oh, sicher, bestens, gerne.« Aber dann verstummte Dorrance und sah über die Straße, als eine frische Windbö einen Trichter aus Laub in den strahlenden Oktoberhimmel zog. Seine verblaßten Augen wurden groß, und etwas darin ließ Ralph wieder an das Verherrlichte & Angebetete Baby denken - wie es nach den grau-blauen Spuren seiner Finger gegriffen und die dampfenden Blumen in der Vase über der Spüle betrachtet hatte. Ralph hatte Dor schon gesehen, wie er mit demselben schlaffen Gesichtsausdruck Flugzeugen auf der Rollbahn 3 beim Starten und Landen zugesehen hatte - manchmal eine Stunde oder noch länger.

»Dor?« drängte er.

Dorrance' dünne Wimpern flatterten. »Oh! Richtig! Die Botschaft! Die Botschaft ist... « Er runzelte verhalten die Stirn und betrachtete das Buch, das er in den Händen hin und her bog. Dann strahlte er übers ganze Gesicht und sah wieder zu Ralph auf. »Die Botschaft ist: >Sag den Termin ab.<«

Nun war Ralph derjenige, der die Stirn runzelte. »Was für einen Termin?«

»Du hättest dich nicht einmischen sollen«, wiederholte Dorrance und stieß einen Seufzer ajs. »Aber jetzt ist es zu spät. Geschehenes läßt sich nicht mehr ungeschehen machen. Sag nur den Termin ab. Laß den Kerl keine Nadeln in dich stecken.«

Ralph hatte schon die Verandatreppe hinaufgehen wollen, jetzt drehte er sich wieder um. »Hong? Redest du von Hong?«

»Woher soll ich das wissen?« fragte Dorrance mit gereizter Stimme. »Ich mische mich nicht ein, das habe ich dir gesagt. Ab und zu überbringe ich eine Botschaft, das ist alles, so wie jetzt. Ich sollte dir ausrichten, daß du den Termin bei dem Nadelpiekser absagen sollst, und das habe ich. Der Rest liegt bei dir.«

Dorrance sah wieder zu den Bäumen auf der anderen Straßenseite, und sein seltsames, glattes Gesicht nahm einen Ausdruck sanfter Ekstase an. Der kräftige Herbstwind zerzauste ihm das Haar wie Tang. Als Ralph ihn an der Schulter berührte, drehte sich der alte Mann bereitwillig um, und Ralph wurde plötzlich klar: Was Faye Chapin und die anderen als Senilität betrachteten, könnte in Wirklichkeit Freude sein. Wenn ja, sagte der Irrtum wahrscheinlich mehr über sie aus als über den alten Dor.

»Dorrance?«

»Was, Ralph?«

»Diese Botschaft - wer hat sie dir gegeben?«

Dorrance dachte darüber nach - vielleicht sah es auch nur so aus, als würde er darüber nachdenken -, dann hielt er ihm seine Ausgabe von Cemetery Nights hin. »Nimm.«

»Nein, ich passe«, sagte Ralph. »Ich mag Gedichte nicht besonders, Dor.«

»Die hier werden dir gefallen. Sie sind wie Geschichten...«

Ralph unterdrückte das starke Bedürfnis, den alten Mann zu packen und zu schütteln, bis seine Knochen wie Kastagnetten klapperten. »Ich hab mir gerade zwei Western in der Stadt gekauft, im Back Pages. Ich wollte wissen, wer dir die Botschaft gegeben hat -«

Dorrance drückte Ralph den Gedichtband mit überraschender Kraft in die rechte Hand - die Western hielt dieser in der linken. »Eines fängt an: >Was ich auch tue, ich tue es rasch, damit ich etwas anderes tun kann.<«

Und bevor Ralph noch ein Wort sagen konnte, ging der alte Dor über den Rasen zum Bürgersteig. Er wandte sich nach links zur Extension und wandte das Gesicht verträumt zum blauen Himmel, wo die Blätter ungestüm verwehten, als erwartete sie ein Rendezvous hinter dem Horizont.

»Dorrance!« schrie Ralph plötzlich wütend. Auf der anderen Straßenseite, vor dem Red Apple, fegte Sue Laub vom Boden vor der Eingangstür. Als sie Ralphs Stimme hörte, hielt sie inne und sah neugierig über die Straße. Ralph, der sich dumm vorkam - der sich alt vorkam -, brachte ein, wie er hoffte, breites, fröhliches Grinsen zustande und winkte ihr zu. Sue winkte zurück und fegte weiter. Derweil war Dorrance geistesabwesend seines Weges gegangen. Er war schon fast einen halben Block weit weg.

Ralph beschloß, ihn gehen zu lassen.

Er ging die Stufen zur Veranda hinauf, nahm das Buch, das Dorrance ihm gegeben hatte, in die linke Hand, damit er nach dem Schlüsselbund suchen konnte, und sah, daß er sich die Mühe sparen konnte - die Tür war nicht nur unabgeschlossen, sie stand einen Spalt offen. Ralph hatte schon mehrfach mit McGovern wegen seiner Sorglosigkeit geschimpft und gedacht, er hätte die Botschaft endlich in den Dickschädel seines Untermieters hineingehämmert bekommen. Aber jetzt sah es so aus, als hätte McGovern einen Rückfall gehabt.

»Verdammt, Bill«, sagte er schnaufend, betrat die dunkle Diele und sah nervös die Treppe hinauf. Er konnte sich nur zu leicht vorstellen, daß Ed Deepneau da oben lauern würde, hellichter Tag hin oder her. Dennoch konnte er nicht den ganzen Tag hier in der Diele bleiben. Er ließ den Riegel der Eingangstür einrasten und ging hinauf.

Selbstverständlich hätte er sich keine Sorgen machen müssen.

Er erlebte eine Schrecksekunde, als er jemand gegenüber in der Ecke des Wohnzimmers stehen sah, aber es war nur seine alte graue Jacke. Er hatte sie zur Abwechslung tatsächlich einmal auf den Kleiderständer gehängt, statt sie einfach über die Stuhllehne oder die Armlehne des Sofas zu werfen; kein Wunder, daß er erschrocken war.

Er ging in die Küche und betrachtete mit den Händen in den Hosentaschen den Kalender. Montag war eingekreist, und im Inneren des Kreises stand gekritzelt: HONG -10:00.

Ich sollte dir ausrichten, daß du den Termin bei dem Nadelpiekser absagen sollst, und das habe ich. Der Rest liegt bei dir.

Einen Augenblick war es Ralph möglich, aus seinem Leben herauszutreten und den letzten Abschnitt des Freskos zu betrachten, nicht nur den winzigen Ausschnitt des heutigen Tages. Was er sah, versetzte ihn in Angst: eine unbekannte Straße, die in einen dunklen Tunnel führte, wo alles lauern konnte. Einfach alles.

Dann dreh um, Ralph!

Aber er hatte eine Ahnung, daß ihm das nicht möglich sein würde. Er hatte eine Ahnung, daß er für diesen Tunnel bestimmt war, ob es ihm gefiel oder nicht. Es war ein Gefühl, als würde er nicht hineingeführt, sondern von kräftigen, unsichtbaren Händen vorwärtsgeschoben werden.

»Vergiß es«, murmelte er, rieb sich die Schläfen nervös mit den Fingerspitzen und betrachtete weiter den markierten Termin übermorgen - auf dem Kalender. »Es liegt an der Schlaflosigkeit. Da hat wirklich alles angefangen, zu...«

Wirklich angefangen zu was?

»Unheimlich zu werden«, sagte er in die verlassene Wohnung. »Da hat wirklich alles angefangen, unheimlich zu werden.«