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Die Ampel wurde grün. Leydecker fuhr über die Kreuzung und bog bei der nächsten Gelegenheit links in die Harris Avenue ein. Die Scheibenwischer quietschten und klopften. Strawford Park rechts von ihnen sah durch den Regen, der an der Scheibe herabfloß, wie ein Wackelbild aus.

»Und was könnten wir dazu sagen?« fragte Leydecker. »Tatsache ist, Charlie Pickering kann eine lange Krankengeschichte geistiger Instabilität vorweisen - wenn es um Klapsmühlen geht, hat er die große Rundreise hinter sich: Juniper Hill, Acadia Hospital, Bangor Mental Health Institute... wenn irgendwo kostenlose Elektroschockbehandlungen und Jacken, die man auf dem Rücken zuknöpft, abgegeben werden, ist Charlie Pickering mit Sicherheit schon dort gewesen. Heutzutage ist Abtreibung sein Steckenpferd. Ende der sechziger Jahre hatte er wegen Margaret Chase Smith Hummeln im Arsch. Er schrieb Briefe an alle - die Polizei von Derry, die Staatspolizei, das FBI - und behauptete, sie sei eine russische Spionin. Er sagte, er könne es beweisen.«

»Großer Gott, das ist unglaublich.«

»Nee; das ist Charlie Pickering, und ich wette, solche wie ihn gibt es in jeder Stadt dieser Größe in den Vereinigten Staaten ein Dutzend. Verdammt, überall auf der Welt.«

Ralphs Hand stahl sich an die Seite und berührte den Verband dort. Seine Finger strichen die Schmetterlingsform unter dem Mull nach. Er erinnerte sich an Pickerings vergrößerte braune Augen - wie sie ängstlich und ekstatisch zugleich ausgesehen hatten. Er hegte schon Zweifel, daß der Mann, dem diese Augen gehörten, ihn wirklich fast umgebracht hätte, und er fürchtete, morgen würde die ganze Angelegenheit wie einer der sogenannten »Traumübergriffe« wirken, von denen er in James A. Halls Buch gelesen hatte.

»Das Schlimme ist, Ralph, ein Irrer wie Charlie Pickering ist das perfekte Werkzeug für jemanden wie Deepneau. Im Augenblick hat unser kleiner Ehefrauenprügler etwa eine Tonne Gegenargumente auf seiner Seite.«

Leydecker bog in die Einfahrt neben dem Haus von Ralph ein und parkte hinter einem großen Oldsmobile mit Rostflecken auf dem Kofferraumdeckel und einem uralten Aufkleber - DUKAKIS '88 - auf der Stoßstange.

»Wem gehört denn dieser Brontosaurier? Dem Prof?«

»Nein«, sagte Ralph, »das ist mein Brontosaurier.«

Leydecker sah ihn ungläubig an, während er den Schalthebel seines völlig schrdckschnacklosen Polizei-Chevys auf Parken stellte. »Wenn Sie ein Auto haben, warum stehen Sie dann im strömenden Regen an der Bushaltestelle herum? Läuft es nicht?«

»Es läuft«, sagte Ralph ein wenig steif, wollte aber nicht hinzufügen, daß er sich irren könnte; er hatte den Olds seit über zwei Monaten nicht mehr auf der Straße gehabt. »Und ich habe nicht im strömenden Regen herumgestanden; die Haltestelle hat einen Unterstand. Mit Dach. Sogar mit einer Bank. Kein Kabelfernsehen, aber warten Sie bis nächstes Jahr.«

»Trotzdem...« sagte Leydecker und sah den Olds zweifelnd an.

»Ich habe zwar die letzten fünfzehn Jahre als Schreibtischhengst verbracht, aber vorher war ich Vertreter. Fünfundzwanzig Jahre lang habe ich schätzungsweise achthundert Meilen pro Woche zurückgelegt. Als ich mich in der Druckerei niedergelassen habe, wollte ich mich nie wieder ans Steuer eines Autos setzen. Und seit meine Frau gestorben ist, gibt es eigentlich selten einen Grund zu fahren. Meistens genügt mir der Bus vollkommen.«

Das alles stimmte; Ralph sah keine Veranlassung hinzuzufügen, daß er seinen Reflexen und seiner Nahsicht zunehmend mißtraute. Vor cirka einem Jahr war ein etwa siebenjähriges Kind seinem Football auf die Straße nachgelaufen, als Ralph gerade vom Kino nach Hause kam, und obwohl er nur mit zwanzig Meilen pro Stunde fuhr, hatte Ralph zwei endlose, gräßliche Sekunden lang geglaubt, daß er den kleinen Jungen überfahren würde. Selbstverständlich hatte er es nicht - es war nicht einmal knapp gewesen -, aber er glaubte, seither konnte er die Anlässe, wenn er mit dem Olds gefahren war, an den Fingern beider Händen abzählen.

Er sah auch keine Veranlassung, das John Leydecker zu erzählen.

»Nun, ich will Ihnen da auch nicht reinreden«, sagte Leydecker und winkte unbestimmt in Richtung des Olds. »Was meinen Sie zu morgen nachmittag für die Aussage, Ralph? Ich komme gegen Mittag vorbei, damit ich Ihnen sozusagen über die Schulter sehen kann. Und hinterher lade ich Sie vielleicht auf einen Kaffee ein.«

»Klingt nicht schlecht. Und danke, daß Sie mich nach Hause gefahren haben.«

»Kein Problem. Eines noch... «

Ralph hatte gerade die Autotür aufgemacht. Jetzt schlug er sie wieder zu und drehte sich mit hochgezogenen Brauen zu Leydecker um.

Leydecker betrachtete nervös seine Hände, rutschte unbehaglich auf dem Sitz hin und her, räusperte sich und sah wieder auf. »Ich wollte Ihnen nur sagen, daß ich Sie für einen Klasse-Typ halte«, sagte er. »Eine Menge Leute, die vierzig Jahre jünger sind als Sie, hätten das kleine Abenteuer heute im Krankenhaus beendet. Oder in der Leichenhalle.«

»Mein Schutzengel hat auf mich aufgepaßt, schätze ich«, sagte Ralph und dachte daran, wie überrascht er gewesen war, als ihm klar wurde, worum es sich bei dem runden Gegenstand in seiner Tasche handelte.

»Nun, vielleicht stimmt das, aber Sie sollten trotzdem heute nacht nicht vergessen, Ihre Tür abzuschließen. Haben Sie verstanden, was ich gesagt habe?«

Ralph lächelte und nickte. Berechtigt oder nicht, Leydeckers Lob hatte seine Brust mit Wärme erfüllt. »Das werde ich, und wenn ich McGovern dazu bringe, daß er mitmacht, dürfte alles astrein gehen.«

Außerdem, dachte er, kann ich immer noch runtergehen und das Schloß überprüfen, wenn ich wach werde. Wie es im Augenblick aussieht, dürfte das etwa zweieinhalb Stunden nach dem Einschlafen sein.

»Es wird alles astrein gehen«, sagte John Leydecker. »Niemand bei uns war gerade begeistert, als Deepneau die Friends of Life mehr oder weniger übernahm, aber ich kann nicht sagen, daß es uns überrascht hat - er ist ein attraktiver, charismatischer Bursche... das heißt, wenn man ihn nicht gerade an einem Tag erwischt, an dem er seine Frau als Punchingball benutzt hat.«

Ralph nickte.

»Andererseits sehen wir Typen wie ihn nicht zum erstenmal, und sie haben immer eine selbstzerstörerische Ader. Bei Deepneau hat dieser Prozeß der Selbstzerstörung schon angefangen. Er hat seine Frau verloren, er hat seinen Job verloren... haben Sie das gewußt?«

»Hm-hmm. Helen hat es mir gesagt.«

»Jetzt verliert er seine gemäßigteren Anhänger. Sie fallen ab wie Düsenjäger, die zum Stützpunkt zurückkehren, weil ihnen der Treibstoff ausgeht. Aber Ed nicht - der wird weitermachen, komme was da wolle. Ich schätze, er kann einige zumindest bis zum Tag von Susan Days Rede an sich binden, aber danach, schätze ich, wird der große Führer allein dastehen.«

»Haben Sie sich schon einmal überlegt, daß er am Freitag etwas versuchen könnte? Daß er versuchen könnte, Susan Day zu verletzen?«

»O ja«, sagte Leydecker. »Das haben wir uns überlegt. Und wie wir das haben.«

8

Ralph war überaus glücklich festzustellen, daß die Verandatür diesmal abgeschlossen war. Er schloß gerade lange genug auf, daß er das Haus betreten konnte, dann stapfte er die Treppe hinauf, die heute nachmittag länger und düsterer denn je wirkte.

Obwohl der Regen konstant auf das Dach prasselte, schien es in dem Apartment zu still, und die Luft schien nach zu vielen schlaflosen Nächten zu riechen. Ralph holte einen Stuhl vom Küchentisch zum Tresen, stellte sich darauf und suchte die Decke des Schränkchens gleich neben der Spüle ab. Es war, als hätte er erwartet, eine andere Dose Bodyguard dort zu finden die ursprüngliche Dose, die er dort versteckt hatte, nachdem Helen und ihre Freundin Gretchen gegangen waren -, und ein Teil von ihm erwartete das tatsächlich. Aber er fand nichts da oben, außer einem Zahnstocher, einer alten Sicherung Marke Buss und einer Menge Staub.