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Eines von Carolyns Augen ploppte heraus und fiel wie ein Tropfen Blaubeergelee in den nassen Sand. Käfer ergossen sich aus der leeren Augenhöhle.

»Carolyn! « schrie er. Carolyn! Carolyn! Carolyn! Carolyn! Car-«

Plötzlich, in dem Augenblick, als ihm klar wurde, daß der Traum vorbei war, fiel Ralph. Er registrierte die Tatsache praktisch erst, als er auf dem Schlafzimmerboden landete. Es gelang ihm, seinen Sturz mit einer ausgestreckten Hand abzufangen, womit er wahrscheinlich vermied, sich schlimm den Kopf anzustoßen, was aber dafür einen heftigen Schmerz unter dem Verband an der linken Seite auslöste. Einen Augenblick lang nahm er den Schmerz jedoch kaum wahr. Er verspürte Angst, Ekel, Grauen, einen schrecklichen, schmerzhaften Kummer... am meisten aber ein überwältigendes Gefühl der Dankbarkeit. Der böse Traum - sicherlich der schlimmste Alptraum, den er je gehabt hatte - war vorbei, und er befand sich wieder in der Welt der wirklichen Dinge.

Er zog das weitgehend aufgeknöpfte Pyjamaoberteil zurück, untersuchte den Verband nach Blutspuren, fand keine und richtete sich auf. Das allein schien ihn schon auszulaugen; die Vorstellung, aufzustehen - und sei es nur gerade lange genug, um wieder ins Bett zu fallen, stand vorläufig außer Frage. Vielleicht wenn sich sein von Panik ergriffenes, rasendes Herz ein wenig beruhigt hatte.

Kann man an Alpträumen sterben? fragte er sich, und als Antwort hörte er Joe Wyzers Stimme: Worauf Sie sich verlassen können, Ralph, aber der Leichenbeschauer schreibt normalerweise Selbstmord in die Spalte Todesursache.

Ralph, der, von den Nachwirkungen seines Alptraums zitternd, auf dem Boden saß und die Knie mit dem rechten Arm umschlang, hatte nicht den geringsten Zweifel daran, daß manche Träume schlimm genug waren, töten zu können. Die Einzelheiten seines eigenen verblaßten jetzt, aber an den Höhepunkt konnte er sich nur allzu deutlich erinnern: das pochende Geräusch, als würde ein Hammer auf eine dicke Scheibe Rindersteak schlagen, und die widerliche Sturzflut der Käfer aus Carolyns Kopf. Fett waren sie gewesen, fett und lebhaft, und warum auch nicht? Sie hatten sich am Gehirn seiner toten Frau gütlich getan.

Ralph stieß ein leises, schluchzendes Stöhnen aus, strich sich mit der linken Hand über das Gesicht und löste damit einen erneuten stechenden Schmerz unter dem Verband aus. Seine Handfläche war schweißnaß.

Was genau hatte sie ihm gesagt, wonach sollte er Ausschau halten? Sporen weißer Männer? Nein - Spuren, nicht Sporen. Spuren des weißen Mannes, was immer das auch sein mochte. War das alles gewesen? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Es war ein Traum, Herrgott noch mal, nur ein Traum, und außerhalb der Fantasy-Welt, wie sie in der Regenbogenpresse geschildert wurde, bedeuteten Träume nichts und bewiesen nichts. Wenn ein Mensch schlafen ging, schien sich der Verstand in eine Art Trödler zu verwandeln, der den Flohmarkt des Kurzzeitgedächtnisses nach überwiegend wertlosen Erinnerungen durchsuchte, aber nicht nach Dingen Ausschau hielt, die wertvoll oder gar nützlich waren, sondern nur nach welchen, die noch strahlend glänzten. Diese stellte er zu Collagen aus dem Gruselkabinett zusammen, die nicht selten atemberaubend waren, aber nicht mehr Sinn ergaben als Natalie Deepneaus Gesprächsbeiträge. Rosalie, die Hündin, war darin vorgekommen, selbst Bills verschwundener Panamahut hatte einen Gastauftritt absolviert, aber das hatte alles nichts zu bedeuten... aber morgen nacht würde er keine der Schmerztabletten nehmen, die der Notarzt ihm gegeben hatte, selbst wenn sein Arm sich anfühlte, als würde er abfallen. Diejenige, die er vor den Spätnachrichten genommen hatte, hatte ihn nicht nur nicht ausschlafen lassen, wie er insgeheim gehofft und halb erwartet hatte, sondern hatte wahrscheinlich ihren Teil dazu beigetragen, den Alptraum zu inszenieren.

Es gelang Ralph, vom Boden aufzustehen und sich auf die Bettkante zu setzen. Eine Welle von Schwindelgefühl durchdrang seinen Kopf wie Fallschirmseide, und er machte die Augen zu, bis das Gefühl vorbei war. Während er mit gesenktem Kopf und geschlossenen Augen dasaß, tastete er nach der Nachttischlampe und schaltete sie ein. Als er die Augen aufschlug, sah der Teil des Schlafzimmers, der von dem warmen gelben Schein erhellt wurde, sehr hell und real aus.

Er sah auf die Uhr neben der Lampe. 11:48 Uhr, und er fühlte sich hellwach und voll da, Schmerzmittel hin oder her. Er stand auf, ging langsam in die Küche und stellte den Teekessel auf. Dann lehnte er sich an den Tresen, massierte geistesabwesend den Verband unter der linken Achselhöhle und versuchte, das Pochen zu stillen, das seine jüngsten Abenteuer dort geweckt hatten. Als der Kessel dampfte, goss er heißes Wasser über einen Beutel Sleepy Time - das war ein Witz - und ging mit der Tasse ins Wohnzimmer. Er ließ sich in den Ohrensessel fallen und machte sich gar nicht erst die Mühe, ein Licht einzuschalten; die Straßenlampen und das spärliche Licht aus dem Schlafzimmer reichten völlig aus.

Nun, dachte er, da bin ich wieder, erste Reihe Mitte. Das Stück kann beginnen.

Zeit verging, aber wieviel konnte er nicht sagen; das Pochen unter seinem Arm ließ jedoch nach, und der Tee in der Tasse war nicht mehr heiß, sondern lauwarm, als er eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm. Ralph drehte den Kopf und rechnete damit, daß er Rosalie sehen würde, aber es war nicht Rosalie. Zwei Männer betraten die Veranda eines Hauses auf der anderen Seite der Harris Avenue. Ralph konnte die Farben des Hauses nicht erkennen - das gelborange Licht der Natriumdampflampen, die die Stadt vor einigen Jahren aufgestellt hatte, leuchtete zwar jeden Winkel aus, machte es aber unmöglich, Farben naturgetreu zu erkennen - er konnte nur sehen, daß sich die Farbe der Verzierungen radikal von der Farbe der Fassade unterschied. In Verbindung mit dem Standort des Hauses war Ralph fast überzeugt, daß es sich um May Lochers Haus handelte.

Die beiden Männer auf May Lochers Veranda waren sehr klein, wahrscheinlich nicht größer als einen Meter zwanzig. Sie schienen von grünen Auren umgeben zu sein. Gekleidet waren sie in identische weiße Kittel, die für Ralph aussahen wie diejenigen, die Schauspieler in alten Krankenhaus-Seifenopern getragen hatten - Schwarzweißmelodrame wie Ben Casey und Dr. Kildare. Einer hielt etwas in der Hand. Ralph kniff die Augen zusammen. Er konnte es nicht genau erkennen, aber es sah scharf und hungrig aus. Er hätte nicht unter Eid beschwören können, daß es sich um ein Messer handelte, aber er hielt es für eines. Ja, es konnte durchaus ein Messer sein.

Sein erster klarer Gedanke war, daß die Männer da drüben wie Außerirdische in einem Film über eine Entführung per UFO aussahen - Die Besucher oder A Fire in the Sky. Sein zweiter Gedanke war, daß er wieder eingeschlafen sein mußte, hier im Ohrensessel, ohne es zu merken.

Ganz recht, Ralph - nur noch ein bißchen Flohmarkt-Action, wahrscheinlich ausgelöst durch die Aufregung über das Messer Attentat und gefördert von dieser verflixten Schmerztablette.

Aber er spürte nichts Furchteinflößendes an den beiden Gestalten auf May Lochers Veranda, abgesehen von dem langen, scharfen Gegenstand, den einer in der Hand hielt. Ralph vermutete, daß nicht einmal das träumende Bewußtsein etwas Bedrohliches aus zwei kleinen kahlköpfigen Typen in weißen Kitteln machen konnte, die aussahen, als wären sie aus der Requisite übriggeblieben. Auch ihr Verhalten hatte nichts Furchterregendes - nichts Verstohlenes, nichts Bedrohliches. Sie standen auf der Treppe, als hätten sie das Recht, in der dunkelsten, ruhigsten Morgenstunde dort zu sein. Sie standen einander zugewandt, und die Haltung ihrer Körper und ihrer großen, kahlen Schädel deutete auf zwei Freunde hin, die ein ernstes, zivilisiertes Gespräch führten. Sie sahen umsichtig und intelligent aus - die Sorte Weltraumfahrer, die eher sagen würde: »Wir kommen in Frieden«, als dich zu entführen und dir Sonden in den Arsch zu stecken und dann die Reaktionen darauf zu studieren.