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Na gut, also ist dieser neue Traum vielleicht doch nicht durch und durch ein Alptraum. Willst du dich nach dem letzten etwa darüber beschweren?

Nein, selbstverständlich nicht. Einmal pro Nacht auf dem Boden zu landen reichte voll und ganz, recht schönen Dank. Und dennoch hatte gerade dieser Traum etwas ungeheuer Beunruhigendes; er wirkte in einer Weise real, die dem Traum von Carolyn abgegangen war. Schließlich war dies sein eigenes Wohnzimmer, kein unheimlicher fremder Strand, den er noch nie zuvor gesehen hatte. Er saß in demselben Ohrensessel, in dem er jeden Morgen saß, und er hielt eine Tasse Tee, die fast kalt geworden war, in der linken Hand; wenn er die Finger der rechten Hand zur Nase hob, so wie jetzt, konnte er einen leichten Hauch Seife unter den Nägeln riechen... Irischer Frühling, die er gern unter der Dusche benutzte...

Plötzlich griff sich Ralph unter die Achsel und drückte die Finger auf den Verband dort. Er spürte den Schmerz augenblicklich und stechend... aber die beiden kleinen kahlen Männer in den weißen Kitteln blieben genau da, wo sie waren, auf May Lochers Türschwelle.

Es spielt keine Rolle, was du zu spüren glaubst, Ralph. Es kann keine Rolle spielen, weil -

»Scheiße!« sagte Ralph mit heiserer, leiser Stimme. Er stand von seinem Sessel auf und stellte dabei die Tasse auf den kleinen Tisch daneben. Sleepy Time schwappte auf das Magazin TV Guide, das dort lag. »Scheiße, das ist kein Traum!«

Er schlurfte mit flatterndem Pyjama und in seinen alten, ausgetretenen Pantoffeln, so schnell er konnte, durch das Wohnzimmer in die Küche, während kleine, heiße Schmerzstiche von der Stelle ausgingen, wo Charlie Pickering ihn gestochen hatte. Er schnappte sich einen Stuhl und trug ihn in die kleine Diele des Apartments. Dort befand sich ein begehbarer Schrank. Ralph machte die Tür auf, schaltete das Licht im Inneren ein, stellte den Stuhl so hin, daß er das oberste Fach des Schranks erreichen konnte, und stieg darauf.

Auf dem Regal herrschte ein Durcheinander vergessener Gegenstände, die größtenteils Carolyn gehört hatten. Es waren Kleinigkeiten, kaum mehr als Krimskrams, aber als er sie sah, verschwand die letzte hartnäckige Überzeugung, dies könnte ein Traum sein. Er sah eine uralte Tüte M&Ms - ihre heimliche Nascherei, ihr Seelenfutter. Er fand ein herzförmiges Spitzendeckchen, einen einzelnen weißen Satinstöckelschuh mit abgebrochenem Absatz, ein Fotoalbum. Das alles schmerzte weitaus mehr als der Messerstich unter dem Arm, aber im Augenblick hatte er keine Zeit für Schmerz.

Ralph beugte sich nach vorne, stützte die linke Hand auf das hohe, staubige Regal, um sein Gewicht auszugleichen, tastete sich mit der rechten Hand durch den Plunder und betete dabei die ganze Zeit, daß es dem Stuhl nicht in den Sinn kommen möge, unter ihm wegzurutschen. Die Verletzung unter seiner Achselhöhle pochte jetzt gewaltig, und er wußte, sie würde wieder zu bluten anfangen, wenn er nicht bald mit den akrobatischen Übungen aufhörte, aber...

Ich bin sicher, daß es da oben irgendwo ist... nun... fast sicher...

Er schob die alte Schachtel mit den Fliegen und den Weidenfischkorb beiseite. Hinter dem Korb lag ein Stapel Zeitschriften. Die oberste war eine Ausgabe von Look mit Andy Williams auf dem Umschlag. Ralph schob sie mit dem Handballen beiseite, was eine Staubwolke aufwirbelte. Die alte Tüte M&Ms fiel auf den Boden und platzte auf, bunte Schokodrops spritzten in alle Richtungen. Ralph beugte sich noch weiter nach vorne; jetzt stand er fast auf den Zehenspitzen. Er vermutete, daß er es sich nur einbildete, aber der Küchenstuhl schien sich darauf vorzubereiten, ihm einen Schabernack zu spielen.

Der Gedanke war ihm kaum durch den Kopf gegangen, als der Stuhl knirschte und auf dem Holzboden langsam nach hinten rutschte. Ralph achtete nicht darauf, achtete nicht auf seine pochende Seite und achtete nicht auf die Stimme, die ihm sagte, daß er aufhören sollte, wirklich aufhören, weil er einen Wachtraum hatte, was laut dem Buch von Hall bei vielen Schlaflosen früher oder später eintrat, und auch wenn die kleinen Burschen auf der anderen Straßenseite nicht wirklich existierten, konnte es doch sein, daß er hier auf diesem langsam rutschenden Stuhl stand, und er konnte sich wirklich die Hüfte brechen, wenn der Stuhl unter ihm wegrutschte, und wie wollte er erklären, was passiert war, wenn ein klugscheißerischer Arzt in der Notaufnahme des Derry Home ihn danach fragte?

Grunzend streckte er die Hand bis ganz nach hinten aus, stieß einen Karton beiseite, aus dem ein halber Weihnachtsstern herausragte wie ein seltsames stacheliges Periskop (dabei stieß er auch den Stöckelschuh ohne Absatz auf den Boden), und dann sah er, wonach er gesucht hatte, in der hinteren linken Ecke des Regals: das Etui, in dem sich sein altes Fernglas von Zeiss-Ikon befand.

Ralph stieg von dem Stuhl herunter, bevor dieser ganz unter ihm wegrutschen konnte, schob ihn näher heran und stieg wieder hinauf. Er kam nicht bis ganz in die Ecke, wo das Fernglas lag, daher nahm er das Netz in die Hand, das seit ach so vielen Jahren da oben neben seiner Fliegenschachtel und dem Fischkorb lag, und konnte das Etui beim zweiten Versuch fassen. Er zog es nach vorne, bis er den Gurt ergreifen konnte, stieg von dem Stuhl herunter und trat auf den heruntergefallenen Stöckelschuh. Sein Knöchel knickte schmerzhaft um. Ralph stolperte, ruderte mit den Armen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, und vermied es so knapp, mit dem Gesicht voran gegen die Wand zu prallen. Aber als er ins Wohnzimmer zurück ging, spürte er nasse Wärme unter dem Verband an der Seite. Jetzt hatte er es doch geschafft, daß die Messerwunde wieder aufgebrochen war. Prima. Eine wunderbare Nacht im Chez Robert... und wie lange war er von dem Fenster weg gewesen? Er wußte es nicht, aber es schien ziemlich lange gewesen zu sein, und er war sicher, daß die kleinen kahlköpfigen Ärzte fort sein würden, wenn er zurückkam. Die Straße würde verlassen sein und...

Er blieb wie angewurzelt stehen, das Etui des Fernglases baumelte an seinem Gurt und warf einen langen, trapezförmigen Schatten auf dem Boden hin und her, den das orangegelbe Leuchten der Straßenlaternen überzog wie eine häßliche Farbschicht.

Kleine kahlköpige Ärzte? Hatte er sie gerade so genannt? Ja, natürlich, denn so nannten die anderen sie - die Leute, die behaupteten, daß sie von ihnen entführt... untersucht... in manchen Fällen operiert worden waren. Sie waren die Mediziner aus dem Weltall, die Proktologen aus der unendlichen Weite. Aber das war nicht wichtig. Wichtig war -

Ed hat den Ausdruck gebraucht, dachte Ralph. Er hat ihn in der Nacht gebraucht, als er angerufen und mich gewarnt hat, ich sollte mich von ihm und seinen Interessen fernhalten. Er sagte, der Arzt hätte ihm von dem Scharlachroten König und den Zenturionen und dem ganzen Rest erzählt.

»Ja«, flüsterte Ralph. Er hatte am ganzen Rücken eine Gänsehaut. »Ja, das hat er gesagt. >Der Arzt hat es mir gesagt. Der kleine kahlköpfige Arzt.<«

Als er zum Fenster zurückkehrte, sah er, daß die Fremden immer noch draußen waren, aber während er nach dem Fernglas gesucht hatte, waren sie von der Verandatreppe auf den Bürgersteig gegangen. In der Tat standen sie direkt unter einer der verdammten orangegelben Lampen. Ralphs Eindruck, daß die Harris Avenue wie eine verlassene Bühnenkulisse nach der abendlichen Vorstellung aussah, stellte sich mit unheimlicher, theatralischer Gewißheit wieder ein... aber mit einer anderen Bedeutung. Zunächst einmal war die Bühne nicht mehr verlassen, oder? Ein geheimnisvolles Schauspiel lange nach Mitternacht hatte seinen Anfang in einem Theater genommen, das die beiden seltsamen Wesen da unten zweifellos für vollkommen menschenleer hielten.

Was würden sie tun, wenn sie wüßten, daß sie ein Publikum haben? fragte sich Ralph. Was würden sie mit mir anstellen?

Die kahlköpfigen Ärzte legten nun das Gebaren von Männern an den Tag, die fast zu einer Einigung gelangt sind. In diesem Augenblick sahen sie für Ralph trotz der Kittel überhaupt nicht nach Ärzten aus - sie sahen aus wie Fabrikarbeiter, deren Schicht im Werk gerade zu Ende gegangen war. Diese beiden Typen, eindeutig gute Kumpels, sind einen Moment vor dem Haupttor stehengeblieben, um ein Thema zu Ende zu bringen, das nicht warten kann, bis sie einen Block weiter zur nächsten Bar gegangen sind, weil sie wissen, daß es in jedem Fall sowieso nur noch etwa eine Minute dauert; völlige Übereinstimmung ist nur noch ein oder zwei Sätze entfernt.