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Und die Auren, Ralph - hat er nicht auch etwas von Auren gesagt?

Nun, er hatte nicht gerade dieses Wort benutzt, aber Ralph war ziemlich sicher, daß er trotzdem mindestens zweimal von den Auren gesprochen hatte. Ralph, manchmal ist die Welt voller Farben. Das war im August gewesen, kurz bevor John Leydecker Ed wegen häuslicher Tätlichkeiten verhaftet hatte, einer Ordnungswidrigkeit. Dann, fast einen Monat später, als er Ralph angerufen hatte: Siehst du die Farben schon?

Zuerst die Farben, jetzt die kleinen kahlköpfigen Ärzte; mit Sicherheit konnte der Scharlachrote König nicht mehr weit sein. Und von alledem einmal abgesehen, was wollte er in der Sache unternehmen, deren Zeuge er gerade geworden war?

Die Antwort fiel ihm in einem unerwarteten, aber willkommenen Anflug von Erleuchtung ein. Das Thema, dachte er, war nicht sein Geisteszustand, nicht die Auren, nicht die kleinen kahlköpfigen Ärzte, sondern May Locher. Er hatte gerade die beiden Fremden mitten in der Nacht aus May Lochers Haus kommen gesehen... und einer hatte eine Schere in der Hand gehabt.

Ralph griff mit der Hand an dem Fernglas vorbei, nahm das Telefon und wählte 911.

»Hier spricht Officer Hagen.« Eine Frauenstimme. »Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Indem Sie genau zuhören und rasch handeln«, sagte Ralph kurz angebunden. Der Ausdruck benommener Unentschlossenheit, den er in diesem Sommer so häufig zur Schau gestellt hatte, war jetzt völlig verschwunden; er saß aufrecht in seinem Sessel, hatte das Telefon auf dem Schoß, und sah nicht mehr wie siebzig aus, sondern wie ein gesunder und kräftiger Fünfundfünfzigjähriger. »Dann können Sie vielleicht einer Frau das Leben retten.«

»Sir, würden Sie mir bitte Ihren Namen und -« »Bitte unterbrechen Sie mich nicht, Officer Hagen«, sagte der Mann, der sich nicht mehr an die letzten vier Ziffern der Telefonnummer des Kino-Centers erinnern konnte. »Ich bin vor kurzer Zeit aufgewacht, konnte nicht mehr einschlafen und beschloß, eine Weile aufzubleiben. Von meinem Wohnzimmer aus kann ich den oberen Abschnitt der Harris Avenue überblicken. Ich habe gerade gesehen -«

Hier geriet Ralph einen Sekundenbruchteil ins Stocken, dachte aber nicht darüber nach, was er gesehen hatte, sondern was er Officer Hagen erzählen sollte. Die Antwort kam ihm so schnell und mühelos wie der Entschluß, 911 anzurufen.

»Ich habe zwei Männer gesehen, die aus einem Haus auf der Straßenseite des Red Apple gekommen snd. Es gehört einer Frau namens May Locher. Ich buchstabiere: LO-C-H-E-R, mit einem L wie Lexington. Mrs. Locher ist schwer krank. Ich habe die beiden Männer vorher noch nie gesehen.« Er machte wieder eine Pause, diesmal jedoch absichtlich, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen. »Einer hatte eine Schere in der Hand.«

»Adresse?« fragte Officer Hagen. Sie war vollkommen ruhig, aber Ralph spürte, daß eine Menge Lämpchen bei ihr angegangen waren.

»Das weiß ich nicht«, sagte er. »Schlagen Sie sie im Telefonbuch nach, Officer Hagen, oder sagen Sie den Beamten auf Streife, sie sollen einfach nach dem gelben Haus mit den rosa Verzierungen etwa einen halben Block vom Red Apple entfernt Ausschau halten. Wahrscheinlich müssen sie es mit einer Taschenlampe suchen, wegen dieser verfluchten orangefarbenen Straßenlaternen, aber sie werden es finden.«

»Ja, Sir, ich bin ganz sicher, aber ich brauche trotzdem Ihren Namen und Ihre Anschrift für unsere Unterla...«

Ralph legte den Hörer behutsam auf. Er betrachtete das Telefon fast eine ganze Minute und rechnete damit, daß es läuten würde. Als es stumm blieb, kam er zum Ergebnis, daß sie entweder nicht über die raffinierten Geräte verfügten, mit denen man einen Telefonanruf zurückverfolgen konnte, wie man sie in True-Crime-Sendungen im Fernsehen immer sah, oder sie waren nicht eingeschaltet gewesen. Das war gut. Es löste nicht das Problem, was er tun oder sagen sollte, wenn sie May Locher in Fetzen aus ihrem scheußlichen gelb-rosa Haus schleppten, aber es verschaffte ihm wenigstens etwas Zeit zum Nachdenken.

Unter ihm blieb die Harris Avenue still und stumm im Licht der grellen Lampen, die sich in beide Richtungen erstreckten wie der Traum eines Surrealisten von Perspektive. Das Schauspiel kurz, aber voller Dramatik - schien vorbei zu sein. Die Bühne war wieder verlassen. Sie -

Nein, doch nicht ganz verlassen. Rosalie kam aus der Gasse zwischen dem Red Apple und dem Tru-Value-Eisenwarenladen daneben herausgehinkt. Das verblaßte Taschentuch flatterte um ihren Hals. Es war kein Donnerstag, daher standen keine Mülltonnen draußen, die Rosalie untersuchen konnte, und so ging sie rasch den Bürgersteig entlang bis zu May Lochers Haus. Dort blieb sie stehen und senkte die Nase (als er die lange und hübsche Schnauze sah, dachte Ralph, daß sich ein Collie unter Rosalies Vorfahren befunden haben mußte).

Ralph stellte fest, daß dort etwas glänzte.

Er holte das Fernglas wieder aus der Hülle und richtete es auf Rosalie. Dabei schweifte sein Denken wieder zum zehnten

September ab - diesmal zum Treffen mit Bill und Lois vor dem Eingang des Strawford Park. Er erinnerte sich, wie Bill Lois den Arm um die Taille gelegt und sie die Straße entlanggeführt hatte; wie Ralph, als er die beiden zusammen sah, an Ginger Rogers und Fred Astaire hatte denken müssen. Am deutlichsten aber erinnerte er sich an die gespenstischen Spuren, die die beiden hinterlassen hatten - Spuren, die ihn an die alten Tanzunterrichtsdiagramme von Arthur Murray erinnert hatten. Die von Lois waren grau gewesen; die von Bill olivgrün. Damals hatte er sie für Halluzinationen gehalten - in der guten alten Zeit, bevor er die Aufmerksamkeit von Irren wie Charlie Pickering auf sich gezogen und mitten in der Nacht kleine kahlköpfige Ärzte gesehen hatte.

Rosalie schnupperte an einer ähnlichen Spur. Sie hatte dieselbe grün-goldene Farbe wie die Auren, die Doc Nr. 1 und Doc Nr. 2 umgeben hatten. Ralph schwenkte das Fernglas langsam von dem Hund weg und sah weitere Spuren, zwei Linien, die in Richtung des Parks den Bürgersteig entlangführten. Sie verblaßten - er konnte fast sehen, wie sie vor seinen Augen verblaßten -, aber sie waren da.

Ralph richtete das Fernglas wieder auf Rosalie und verspürte plötzlich eine ungeheure Zuneigung zu dem räudigen alten Streuner... warum auch nicht? Wenn er einen letzten, endgültigen Beweis gebraucht hätte, daß er tatsächlich gesehen hatte, was er gesehen zu haben glaubte, dann war es Rosalie.

Wenn die kleine Natalie hier wäre, würde sie sie auch sehen, dachte Ralph... Und dann bestürmten ihn wieder sämtliche Zweifel. Würde sie sie sehen? Wirklich? Er hatte geglaubt, daß das Baby nach den schwachen Auren gegriffen hatte, die seine Finger hinterließen, und er war sicher, sie hatte den geisterhaften grünen Dunst bestaunt, der von den Blumen in der Küche aufgestiegen war, aber wie konnte er sicher sein? Wie konnte überhaupt jemand mit Sicherheit wissen, was ein Baby sah oder anzufassen versuchte?

Aber Rosalie... schau doch, da unten, siehst du sie?

Das Problem war nur, überlegte Ralph, er hatte die Spuren erst gesehen, nachdem Rosalie angefangen hatte, auf dem Bürgersteig zu schnuppern. Vielleicht schnupperte sie ja an einem leckeren Hauch des Briefträgers, und was er sah, gaukelte ihm lediglich sein übermüdeter, schlafloser Geist vor... wie die kleinen kahlköpfigen Ärzte selbst.

Im vergrößerten Bereich des Fernglases hinkte Rosalie nun mit der Schnauze am Boden und langsam wedelndem, struppigem Schwanz die Harris Avenue entlang. Sie ging von der grüngoldenen Spur von Doc Nr. 1 zu der von Doc Nr. 2 und dann wieder zu der von Doc Nr. 1 zurück.

Warum sagst du mir nicht, was diese streunende Hündin verfolgt, Ralph? Hältst du es für möglich, daß ein Hund eine verfluchte Halluzination wittert? Es ist keine Halluzination; es sind Spuren. Richtige Spuren. Die Spuren des weißen Mannes, auf die du achten sollst, wie Carolyn gesagt hat. Das weißt du. Du siehst es.