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Aber er wünschte sich nicht nur, daß das Schauspiel zu Ende gehen würde; während er dasaß und die Handflächen auf die geschlossenen Lider preßte, wünschte er sich, daß alles vorbei wäre - einfach alles. Zum erstenmal in den fünfundzwanzigtausend Tagen seines Lebens wünschte sich Ralph Roberts, er wäre tot.

Kapitel 9

An einer Wand des winzigen Zimmers, das Detective John Leydecker als Büro diente, hing ein Filmplakat, das er wahrscheinlich für zwei oder drei Dollar von einer der hiesigen Videotheken bekommen hatte. Es zeigte Dumbo, den Elefanten, der mit ausgestreckten Zauberohren flog. Ein Foto von Susan Days Gesicht war über das von Dumbo geklebt worden, sorgfältig ausgeschnitten, damit der Rüssel erhalten blieb. Der gezeichneten Landschaft darunter hatte jemand ein Hinweisschild hinzugefügt, auf dem stand: DERRY 250.

»Oh, reizend«, sagte Ralph.

Leydecker lachte. »Politisch nicht besonders korrekt, was?«

»Das halte ich für eine Untertreibung«, sagte Ralph und fragte sich, was Carolyn von dem Plakat gehalten hätte - und was Helen davon halten würde. Es war Viertel vor zwei an einem wolkenverhangenen, kalten Montagnachmittag, und er und Leydecker waren gerade aus dem gegenüberliegenden Gerichtsgebäude von Derry zurückgekommen, wo Ralph seine Zeugenaussage über seine Begegnung mit Charlie Pickering tags zuvor abgelegt hatte. Er war von einem stellvertretenden Bezirksstaatsanwalt verhört worden, der für Ralph ausgesehen hatte, als würde er sich in etwa einem oder zwei Jahren zum erstenmal rasieren.

Leydecker hatte ihn begleitet, wie versprochen; er saß in einer Ecke im Büro des Bezirksstaatsanwalts und sagte nichts. Sein Angebot, Ralph zu einer Tasse Kaffee einzuladen, entpuppte sich als leere Versprechung- das teuflisch aussehende Gebräu stammte aus einer Silex in einer Ecke des völlig überfüllten Aufenthaltsraums im ersten Stock des Polizeireviers. Ralph kostete es vorsichtig und stellte zu seiner Erleichterung fest, daß es etwas besser schmeckte, als es aussah.

»Zucker? Sahne?« fragte Leydecker. »Eine Waffe, damit sie darauf schießen können?«

Ralph schüttelte lächelnd den Kopf. »Schmeckt gut... aber es wäre wahrscheinlich ein Fehler, meinem Urteilsvermögen zu trauen. Ich habe meinen Konsum letzten Sommer auf zwei Tassen am Tag eingeschränkt, und seither schmeckt mir jeder Kaffee ziemlich gut.«

»So geht es mir mit Zigaretten - je weniger ich rauche, desto besser schmecken sie. Laster haben es in sich.« Leydecker holte sein Päckchen Zahnstocher heraus, nahm sich einen und steckte ihn in den Mundwinkel. Dann stellte er seine Tasse auf seinen Computer, ging zu dem Dumbo-Plakat und zog die Reißzwecken heraus, die die Ecken festhielten.

»Meinetwegen müssen Sie das nicht tun«, sagte Ralph. »Es ist Ihr Büro.«

»Falsch.« Leydecker zog das sorgfältig ausgeschnittene Foto von Susan Day von dem Plakat, knüllte es zusammen und warf es in den Mülleimer. Dann rollte er das Plakat selbst zu einem engen Zylinder zusammen.

»Oh? Und wie kommt es dann, daß Ihr Name an der Tür steht und die Kinder auf diesem Foto Ähnlichkeit mit Ihnen haben?« Ralph deutete auf ein Foto, das eine untersetzte, hübsche Frau mit zwei Jungs zeigte, schätzungsweise zehn und acht. Die Frau lächelte; die Jungs sahen ernst in die Kamera.

»Es ist mein Name und meine Familie, aber das Büro gehört Ihnen und den anderen Steuerzahlern, Ralph. Und darüber hinaus jedem Nachrichten-Vidioten, der mit einer Minicam hier reinspaziert, und wenn dieses Plakat in den Nachrichten am Mittag auftauchen würde, würde ich eine Menge Ärger bekommen. Ich habe vergessen, es abzuhängen, als ich Freitag abend gegangen bin, und ich hatte fast das ganze Wochenende über frei - was hier ziemlich selten vorkommt, das kann ich Ihnen sagen.«

»Ich nehme an, Sie haben es nicht aufgehängt.« Ralph entfernte einen Stapel Unterlagen vom einzigen Stuhl des Büros und setzte sich darauf.

»Nee. Ein paar Jungs haben am Freitag nachmittag eine Party für mich organisiert. Mit Kuchen, Eis und Geschenken.« Leydecker kramte in seiner Schreibtischschublade und brachte ein Gummiband zum Vorschein. Er schlang es um das Plakat, damit es sich nicht wieder aufrollen konnte, sah amüsiert mit einem Auge durch die Röhre auf Ralph und warf es dann in den Mülleimer. »Ich habe einen Satz Unterhöschen mit den Wochentagen drauf und ausgeschnittenem Schritt bekommen, eine Intimwaschlotion mit Erdbeergeschmack, ein Paket AntiAbtreibungsliteratur der Friends of Life, einschließlich eines Comics mit dem Titel >Denise' ungewollte Schwangerschaft<, und dieses Plakat.«

»Ich schätze, es war keine Geburtstagsparty, hm?« »Nee.« Leydecker ließ die Knöchel knacken und seufzte zur Decke. »Die Jungs haben gefeiert, daß ich für einen Spezialauftrag eingeteilt wurde.«

Ralph konnte das Flackern einer blauen Aura um Leydeckers Gesicht und Schultern sehen, aber in diesem Fall mußte er nicht erst versuchen, sie zu lesen. »Es ist Susan Day, nicht? Sie haben den Auftrag bekommen, sie zu beschützen, solange sie in der Stadt ist.«

»Treffer. Natürlich wird auch die Staatspolizei anwesend sein, aber in solchen Situationen beschränken die sich weitgehend auf die Verkehrskontrolle. Möglicherweise kommt auch das FBI, aber die halten sich meistens im Hintergrund, machen Bilder und begrüßen einander mit dem geheimen Clubzeichen.«

»Sie hat ihre eigenen Leibwächter, oder nicht?« »Ja, aber ich weiß nicht wie viele, und wie gut sie sind. Ich habe heute morgen mit ihrem Chef gesprochen, und der kann immerhin zusammenhängend reden, aber wir müssen unsere eigenen Leute einsetzen. Fünf laut den Befehlen, die ich am Freitag bekommen habe. Das sind außer mir vier Jungs, die sich freiwillig melden, sobald ich es ihnen sage. Unsere Aufgabe ist es... warten Sie... das wird Ihnen gefallen...« - Leydecker suchte zwischen den Papieren auf seinem Schreibtisch, fand, was er suchte, und hielt es hoch -, »>... deutliche Präsenz zu beweisen und stets gut sichtbar zu sein<.«

Er ließ das Blatt Papier wieder sinken und sah Ralph grinsend an. Das Grinsen war nicht sehr humorvoll.

»Mit anderen Worten, wenn jemand versucht, das Miststück zu erschießen oder ihr ein Säureshampoo zu verpassen, wollen Lisette Benson und die anderen Vidioten wenigstens die Tatsache aufzeichnen lassen, daß wir da waren.« Leydecker betrachtete das zusammengerollte Plakat in seinem Mülleimer und zeigte ihm den Vogel.

»Wieso verabscheuen Sie sie so sehr, wo Sie sie doch gar nicht kennen?« fragte Ralph.

»Ich verabscheue sie nicht, Ralph; ich hasse sie. Hören Sie, ich bin katholisch, mein liebendes Weib ist katholisch, meine Kinder sind Meßdiener in St. Joe's. Großartig. Es ist großartig, Katholik zu sein. Sie lassen einen heutzutage sogar freitags Fleisch essen. Aber wenn Sie denken, nur weil ich katholisch bin, bin ich dafür, die Abtreibung wieder zu verbieten, haben Sie sich getäuscht. Sehen Sie, ich bin der Katholik, der die Typen verhören muß, die ihre Kinder mit dem Gummischlauch verprügelt oder die Treppe hinuntergestoßen haben, nachdem sie sich die ganze Nacht guten irischen Whiskey hinter die Binde gekippt haben und wegen ihren Müttern ganz sentimental geworden sind.«

Leydecker griff in sein Hemd und zog ein kleines Goldmedaillon heraus. Er legte es auf die Finger und reichte es Ralph hinüber.

»Maria, Mutter Gottes. Das trage ich, seit ich dreizehn bin. Vor fünf Jahren habe ich einen Mann verhaftet, der genau dasselbe trug. Er hatte gerade seinen zweijährigen Stiefsohn gekocht. Ich sage Ihnen die Wahrheit. Er hat einen Riesentopf Wasser aufgestellt, und als das Wasser gekocht hat, hat er das Kind an den Knöcheln hochgehoben und in den Topf geworfen wie einen Hummer. Warum? Weil das Kind nicht aufhörte, ins Bett zu machen, sagte er uns. Ich habe den Leichnam gesehen, und ich kann Ihnen sagen, danach sehen die Bilder von abgesaugten Embryos, die diese Recht-auf-Leben-Arschlöcher zeigen, nicht mehr so schlimm aus.«