In Wahrheit hatte er vorher keinen einzigen Gedanken an das Abendessen verschwendet. Seine Gedanken kreisten zu sehr um den Merrimac Court Country Club und seinen Termin mit Mr. Daniel Bufo am nächsten Vormittag um elf Uhr. Er hatte sogar bereits einen kunstvollen Briefkopf für den Club skizziert – der Buchstabe M für Merrimac und dahinter die aufragenden Türme des Clubs.
»Hast du einen Babysitter bestellt?«, wollte Maggie wissen. Grüne, ausdruckslose Augen blickten ihn erwartungsvoll an. Randy drehte sich um und schien erst jetzt zu bemerken, dass sie nach Hause gekommen war, doch er sagte nichts. Ihm war bewusst, dass der aufziehende Streit im Moment wichtiger war als er. Erwartungsvoll sah er seinen Vater an.
»Nun … ich habe noch nichts festgemacht«, gab Jack zu.
»Du wolltest mich ins Schneider’s ausführen, aber du hast noch nichts festgemacht?«
»Ich dachte, dass Randy vielleicht mitkommen kann.«
Maggies Stimme bekam diesen schrecklich herablassenden Unterton, der ihn immer fast die Beherrschung verlieren ließ. »Er hat schon seinen Pyjama an, Jack. Morgen muss er in die Schule. Und du willst ihn ins Schneider’s mitnehmen?«
»Ja und?«, konterte er. »Ja und, verdammt! Er ist schon neun und er kann mit ins Schneider’s.«
»Jack, er muss in die Schule.«
»Er kann sie mal ausfallen lassen.«
»Jack«, sagte sie. »Du bist verrückt.«
Fast hätte er gesagt: Ja, ich bin verrückt, dabei sein Bierglas von der Theke gestoßen und ihr eine gescheuert, doch stattdessen senkte er den Kopf, atmete tief durch und unterdrückte den Drang, die Vorstellung in die Tat umzusetzen.
Randy schaute erst seine Mutter, dann seinen Vater an. Erwartungsvoll, aber nicht ängstlich.
Nach einer Weile gab Maggie nach: »Na gut«, seufzte sie, als ob ihr der ganze Streit sowieso egal gewesen war. »Doch wenn er die Schule schwänzt, wirst du auf ihn aufpassen müssen. Und du musst ihm eine Entschuldigung schreiben.«
»Mach ich, in Gottes Namen«, versicherte ihr Jack. »Du willst eine Entschuldigung? Ich schreib dir eine Entschuldigung!«
»Du hast getrunken!«, tadelte ihn Maggie.
Er bedeckte seine Augen mit der Hand, als ob er müde wäre und das Licht ihn blendete. Aber gib’s zu, Jack, du hoffst, dass du die Augen wieder aufmachst und sich alles zum Guten gewendet hat. Dass Maggie dann lächelt und Randy glücklich ist und diese Gehässigkeiten nie ausgetauscht worden sind.
»Nun … wenn wir wirklich ins Schneider’s gehen, sollte ich mich besser frisch machen«, bemerkte Maggie. »Randy – zieh dich um. Und zieh dir etwas Anständiges an, hörst du? Nicht wieder dieses ausgeblichene ALF-T-Shirt.«
Randy schaltete den Fernseher aus und rannte in sein Zimmer, um die Anweisung seiner Mutter in die Tat umzusetzen. Jack sah Maggie an und Maggie sah Jack an.
»Weißt du was?«, meinte Jack schließlich. »Wir sind doch gar kein so übles Paar, du und ich. Passen eigentlich ganz gut zusammen. Wir reden nur manchmal etwas aneinander vorbei, das ist alles. Verstehen einander nicht hundertprozentig, wenn du weißt, was ich meine.«
»Denkst du das wirklich?«, wollte Maggie wissen. Er konnte in ihren klaren grünen Augen nichts erkennen, was darauf hindeutete, dass er sie für sich gewonnen hatte.
Jack nickte. Ihm fiel nichts ein, was er seiner kleinen Ansprache noch hinzufügen konnte. Maggie stand eine Weile da, sah ihn einfach nur an und ging dann ins Bad, um sich frisch zu machen. Er hörte, wie sie die Tür hinter sich abschloss.
Herrgott, sagte er zu sich selbst. Diese Ehe ist am Ende. Aus und vorbei. Ich sollte dieses Bier austrinken, schnurstracks zur Tür hinausgehen und nie wieder zurückkommen.
Doch dann betrat Randy das Zimmer. Er trug seine nagelneue Levi’s-Jeans und einen hellroten Rollkragenpulli, grinste über beide Ohren und freute sich darauf, mit Mom und Dad ins Schneider’s zu gehen. Jack empfing ihn mit ausgebreiteten Armen und drückte ihn fest an sich. Er atmete diesen heißen, irgendwie an Kekse erinnernden Jungengeruch ein und verfluchte Gott dafür, dass er Väter dazu brachte, ihre Söhne zu lieben.
Es regnete stark, als sie die auf einer Anhöhe gelegene Abzweigung erreichten, die knapp eine Meile hinter Lodi lag. Und tatsächlich wartete Mr. Daniel Bufo in seinem sattelbraunen Cadillac Sedan Deville auf sie. Jack parkte hinter ihm und schaltete den Motor ab. Er öffnete das Fenster seines Kombis einen Spaltbreit, weil die Windschutzscheibe beschlug. Der Regen prasselte auf die Lorbeerbäume am Straßenrand und trommelte in unregelmäßigen Abständen auf das Autodach. Nach einem Moment öffnete sich die Tür des Cadillacs. Eine korpulente Gestalt in grauem Plastikmantel und -hut kam zum Vorschein. Sie bahnte sich den Weg ins Freie und bewegte sich schwerfällig auf sie zu.
»Oh mein Gott!«, hauchte Karen mit gespielter Dramatik. »Es ist Moby Dick!«
Daniel Bufo erreichte ihr Auto und tauchte mit seinem regennassen Gesicht vor Jacks geöffnetes Fenster hinab.
»Mr. Reed? Wie geht es Ihnen heute? Und Mrs. Reed? Schön, Sie kennenzulernen, Madam.«
Karen schlug ihre Beine übereinander, zog den Saum ihres Minirocks herunter und stieß ein besonders schrilles Lachen aus.
»Und wen haben wir da hinten?«, fragte Daniel Bufo. »Ist das der Kleinste der Reed-Familie?«
»Das ist Randy!«, stellte Jack seinen Sohn vor.
Daniel Bufo wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. »Randy, hm? Hatte mal ’nen Hund, der hieß auch Randy. Ist nicht böse gemeint. War ein großartiges Tier. Ich schwöre, der Racker hätte sprechen können, wenn sein Maul nicht ständig voll mit Fressen gewesen wäre.« Jack sah Wurstfinger und dicke Goldringe.
»Folgen Sie mir den Hügel runter und dann nach links. Die Abfahrt ist leicht zu übersehen, also fahren Sie besser langsam.«
Daniel Bufo ging zu seinem Wagen zurück. Beide Fahrzeuge starteten und bahnten sich vorsichtig ihren Weg die gewundene Straße zwischen den Bäumen hindurch. Manchmal war es im Schatten der Allee so dunkel, dass die Automatik von Jacks Kombi die Scheinwerfer anschaltete. Kaum zu glauben, dass es erst elf Uhr war.
Vorstehende Äste knarzten und zerkratzten den Lack des Kombi. Dann wurde die Straße etwas breiter und Jack erkannte schwarze Eisengitter, die mit Ketten behangen und durch ein Vorhängeschloss gesichert waren.
Daniel Bufo hielt an, hievte sich aus seinem Cadillac heraus und ging zum Tor, um aufzuschließen. Bevor er sich wieder auf den Fahrersitz zwängte, signalisierte er Jack, dass alles okay war.
Sie fuhren eine weitere lange Allee mit überhängenden Bäumen entlang. Karen sagte: »Irgendwie düster hier, oder?«
»Hat sich seit Urzeiten keiner mehr drum gekümmert!«, gab Jack, dessen Mund vor Aufregung ganz trocken war, zurück. »Wenn diese Bäume erst mal zurückgeschnitten sind und das Gras gemäht ist ...«
Die Allee schien endlos lang zu sein. Sie erstreckte sich über beinahe eine Meile. Dann tauchte ohne Vorwarnung das Gebäude vor ihnen auf. Es war sogar noch größer und imposanter, als Jack es in Erinnerung hatte. Irgendwie kam es ihm mürrisch vor, schien zu schmollen, weil Jack noch mehr Menschen anschleppte, die es in seiner Ruhe stören wollten. »Es ist fan-tas-tisch!«, rief Karen aus, doch Randy lehnte sich nur mit weit aufgerissenen Augen in seinem Sitz zurück, als ob ihm der Anblick gar nicht schmeckte.
Sie parkten vor dem Haupteingang. Daniel Bufo erklomm keuchend die Stufen zur Tür und durchforstete lautstark einen Schlüsselbund, der sogar den Geist des ollen Marley aus Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte neidisch gemacht hätte. »Das ist ein schönes, historisches Gebäude, wirklich schön. Man baut heutzutage einfach nicht mehr in diesem Stil. Finden sich keine Handwerker mehr dafür.«