»Hier wäre er niemals freiwillig hinuntergegangen!«, meinte Karen und klammerte sich an Jacks Arm fest.
»Sonst ist er aber auch nirgendwo«, erwiderte Jack und kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können.
»Er muss zum Auto zurückgelaufen sein. Hier hätte er sich nicht runtergetraut.«
»Karen, tut mir leid. Ich muss auf Nummer sicher gehen.«
Seine Begleiterin atmete tief durch. »In Ordnung. Ich kann dich ja verstehen. Tut mir leid.«
Sie blieben dicht beisammen und stiegen gemeinsam die Stufen herab. Im schwächelnden Lichtkegel erkannte Jack, dass der Keller riesig sein musste. Er erstreckte sich über die ganze Länge des Hauses und verfügte über eine gewölbte Decke aus Kalkstein, die von gewaltigen Steinsäulen abgestützt wurde.
Hier, direkt unterhalb der Halle, stand ein uralter Kenwood-Boiler, dessen Messingrohre grün korrodiert waren. Die Bedienelemente konnte man aufgrund einer dicken Schmutzschicht kaum noch erkennen. Der Rest des Kellers war vollgestopft mit Umzugskartons, zusammengerollten Seilen, eingetrockneten Farbeimern, verblichenem, braunem Packpapier, leeren Ballonflaschen, auf denen »Essig zum Einlegen« stand, Schachteln mit Nägeln, Kisten voller schmutzig aussehender Flaschen mit Leinsamenöl, durchgesessenen Sofas, demontierten Eisenbetten, verdreckten Matratzen, Fahrradreifen und einer Sammlung von 50 oder 60 schweren Akkumulatorenbatterien aus schwerem Glas.
Von Randy hingegen keine Spur.
»Ruf ihn. Ruf ihn noch mal«, ermutigte Karen Jack.
»Randy!«, schrie er. »Randy! Bist du irgendwo hier unten?«
Die Taschenlampe flackerte nun wiederholt kurz ganz hell auf, um dann noch schwächer zu werden. Irgendwo musste ein Kellerfenster offen stehen, denn es kam ein feuchter, kalter Luftzug bei ihnen an, der nach Regen roch. »Hier ist er nicht«, sagte Karen. »Wir sollten besser draußen nach ihm suchen.«
Als Jack gerade wieder die Treppe hochstapfen wollte, blieb sein Blick an einem beigefarbenen Klumpen ganz dicht an der Rückseite des Boilers hängen. Zuerst hielt er es für einen Pilz, doch als die Batterie der Maglite sich noch einmal kurz aufbäumte, erkannte er etwas, das seltsam vertraut schien.
»Warte!«, forderte er Karen auf und ging vorsichtig die restlichen Stufen hinunter durch den Raum. Er hielt geradewegs auf die Wand zu und richtete die Taschenlampe auf seine Entdeckung.
»Was ist denn das?«, wollte Karen wissen. Ihre Stimme klang vor Angst ganz gebrochen.
Jack berührte das Ding. Es war beigefarben, aus Wolle und formlos. Es besaß die Konsistenz einer Waffel. Es war die Kackwurst, die auf halber Höhe an der Wand hing und sich untrennbar mit ihr verbunden zu haben schien.
»Das ist Randys Kuscheltier!«, rief Jack Karen zu.
Langsam kam sie durch den Keller näher. Sie stellte sich neben ihn und starrte verwundert auf die Kackwurst.
»Was macht das denn hier?«
Jack zerrte daran. Die Kackwurst steckte nicht nur fest, sondern sie war regelrecht mit dem Mauerwerk verschmolzen, als ob ihre Atome sich mit denen der Wand verbunden hätten.
»Hast du so was schon mal gesehen?«, fragte Jack Karen. »Ich kriege das Ding nicht raus.«
Er zog noch einmal. Diesmal zerriss die Kackwurst und er hielt eine Handvoll kaputter Wolle samt Füllung in der Hand.
Gott!, dachte er. Randy wird mich umbringen.
»Wie hat er denn das fertigbekommen?«, fragte Karen verwundert. »Und vor allem: Warum?«
»Und noch viel wichtiger: Wo ist er jetzt?«, erwiderte Jack nachdenklich.
»Vielleicht sollten wir besser zurückkehren, wenn es wieder hell ist«, schlug Karen vor. »Schließlich könnte er überall sein. Und hier unten sehe ich ihn definitiv nicht.«
Jack entfernte die letzten Wollfetzen, die sich noch am Backstein befanden. »Wir sollten die Polizei rufen. Je eher sie mit der Suche beginnen, desto besser.«
Jack schwenkte mit der Taschenlampe den Keller ab, hob einige Hartfaserplatten an und verschob die eine oder andere Kiste. Er betete zu Gott, dass er Randy nicht irgendwo reglos auf dem Boden liegen sah. Er verrückte eine Chaiselongue, auf der ein zusammengekrachter Stuhl lag, und war gerade damit beschäftigt, einige Linoleumrollen zur Seite zu räumen, als er das vertraute Geräusch wieder hörte.
Sssssschhhhhhhh – sssssschhhhhh – ssssssschhhhhhh!, machte es an der Wand.
Er versteifte sich und seine Nackenhaare richteten sich auf. Das Geräusch zog sich langsam durch den ganzen Keller und kehrte dann wieder zurück.
»Komm schon! Ich denke, wir sollten jetzt besser hier abhauen«, erklärte Jack.
Sie machten sich auf den Rückweg, zunächst langsam und vorsichtig. Doch das Geräusch kam näher und näher, immer schneller, wie Beton, der umgerührt wird, wie ein Körper, der durch Kies geschleift wird, dumpf und düster, aber irgendwie auch sehr verhalten. Als sie die Treppe erreichten, rannten sie schon fast.
»Was ist das?«, keuchte Karen und drehte sich entsetzt um.
»Ich werde nicht anhalten, um es herauszufinden«, keuchte Jack zurück. »Komm, lass uns von hier verschwinden!«
Sie stolperten die Stufen hinauf. Das Geräusch war jetzt fast über ihnen, so ohrenbetäubend wie eine heranrauschende Dampflok. Jack schob Karen vor sich her, während er sich am Holzgeländer festklammerte und mehrere Stufen auf einmal nahm. Sie waren fast oben angekommen, als das Licht der Taschenlampe erlosch. Und im gleichen Moment, ohne Vorwarnung, fiel die Kellertür zu.
Sofort wurden sie von der Dunkelheit verschluckt. Karen schrie: »Nein!« Und das Geräusch kam die Treppe hinter ihnen hergepoltert – schakkkka-takkka-schaaakkkka-takkkka.
Auf der obersten Stufe rutschte Jack aus und prallte gegen die Wand. Dabei spürte er, dass jemand seinen linken Knöchel packte. Zuerst dachte er, es wäre Karen, die versuchte, sich festzuhalten, um nicht selbst hinzufallen. Doch dann ergriff etwas auch noch seinen rechten Knöchel und begann, ihn die Stufen wieder hinunterzuziehen.
»Karen!«, brüllte er. »Karen, irgendetwas hält mich fest!«
Große, kräftige Hände umklammerten seine Beine. Jack griff nach dem Geländer, doch er schaffte es nicht, festen Halt daran zu finden. Er wurde vier oder fünf Stufen herabgezogen, wobei er sich die Wange aufscheuerte und sein Kinn schmerzhaft auf der Treppe aufschlug.
»Karen!«, schrie er. In diesem Moment erreichte Karen die Kellertür und riss sie auf, sodass ein ganz schwacher Lichtstrahl hineinfiel.
Jack drehte und wand sich und trat nach den Händen, die seine Füße festhielten.
Was er sah, ließ ihn vor Schreck aufschreien. Die Pranken, die ihn da so entschlossen umklammerten, waren grau und staubig, eine Farbe wie Beton, und sie schienen direkt aus dem Boden zu ragen.
Ein Stück weiter lugte ein Gesicht aus der Tiefe. Es war das Gesicht eines Mannes mit vorstehender Stirn und markantem Unterkiefer, das ihn triumphierend angrinste. Der Mann schien vollständig von getrocknetem Zement bedeckt zu sein. Um seinen Mund zeichneten sich feine Falten und Schrunden ab. Seine Augenhöhlen waren tiefschwarz, schwarz wie die Nacht, ohne einen einzigen Funken Weiß, als ob sein Kopf innen leer war. Aber er lebte, daran gab es keinen Zweifel. Er war direkt aus dem Betonboden aufgetaucht; wie ein Schwimmer aus tiefem, staubbedecktem Wasser.
Der Mann lebte, grinste ihn an und versuchte vergnügt, ihn ebenfalls unter die Betonoberfläche zu ziehen.
V I E R
Einen panischen Moment lang glaubte Jack, dass sein letztes Stündchen geschlagen hatte. Die Hände umklammerten ihn mit einer solchen Kraft, dass seine Beine schon fast taub waren. Seine linke Ferse wurde immer weiter in Richtung Boden gezogen und gegen den Beton gepresst. Der Schmerz war nahezu unerträglich – als wenn man seinen Fuß ungeschützt an einen sich drehenden Schleifstein hielt. Er schrie, trat um sich und wand sich, doch die Hände zogen ihn erbarmungslos weiter, bis beide Fersen den Boden erreicht hatten.