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»Oh Gott«, flüsterte Karen. »Oh Gott, sie ist direkt in der Wand.«

Tatsächlich sah die Wand so aus, als wäre sie nur ein dünner, glänzender, cremefarbener Gummiüberzug, dem sich das Mädchen von der anderen Seite aus entgegendrückte. Ihre ebenfalls cremefarbenen Augen waren geöffnet und sie starrte Jack regungslos und ohne erkennbaren Atemzug an.

»Wer bist du?«, flüsterte er und konnte sich nicht erinnern, jemals in seinem Leben schon einmal so viel Angst verspürt zu haben.

Das Mädchen starrte ihn einfach weiter an, ohne zu blinzeln, und schwieg.

»Wer bist du?«, wiederholte Jack seine Frage.

Sie lebte, daran bestand kein Zweifel. Sie lebte und starrte ihn an. Aber wie konnte sie lebendig sein, wo sie doch in der Wand ... hmm ... steckte.

Jack unternahm zwei weitere zögerliche Schritte in ihre Richtung. Die Streichhölzer waren mittlerweile fast erloschen.

»Wer bist du?«, brüllte er das Mädchen an. »Wo ist mein Sohn?«

Das Mädchen drehte sich plötzlich mit einem schwachen Sssssschhhhhh-Geräusch um. Jack sprang verängstigt zurück. Doch sie versuchte nicht, ihn zu packen. Sie drehte sich lediglich um und er starrte ihre nackte Gestalt von hinten an. Dann glättete sich die Wand, die Flammen versengten seine Finger und sie war verschwunden.

Jack berührte die Wand mit seiner Handfläche. Sie war kalt und unnachgiebig. Er konnte sogar die Pinselspuren ertasten, die beim Streichen zurückgeblieben waren. Nur eine Wand, mehr nicht. Er hörte, wie der Ssssssschhhhhhh-Laut wieder erstarb.

»Hast du das gesehen?«, fragte er Karen mit zittriger Stimme.

»Habe ich«, antwortete sie. »Ein Mädchen, das einfach so dastand. Und dann ist es verschwunden.«

Jack trat von der Wand weg und ergriff Karens Hand. »Was denkst du, haben wir was Falsches gegessen und dabei den Verstand verloren? Vielleicht entweicht ja auch irgendwo im Haus Gas oder etwas anderes, wovon man Halluzinationen bekommt.«

»Ich habe es gesehen«, beharrte Karen. »Es war real. Ein echtes Mädchen, das einfach aus dem Nichts aufgetaucht ist.«

Sie verließen den Aufenthaltsraum in Richtung des Gewächshauses. Draußen auf dem Kiesweg sah Jack auf die Uhr. Es war fast drei. Sie standen einige Minuten im Regen und atmeten die kühle Nachtluft ein. Jack sah hoch zu den dunklen Türmen des Hauses. Seine Augen hielt er halb geschlossen, um sie vor den Tropfen zu schützen. Er wusste nicht recht, was er von The Oaks halten sollte; ob er es immer noch kaufen wollte oder sich inzwischen davor fürchtete. Er wusste nur, dass er Randy um jeden Preis zurückbekommen musste. Am liebsten hätte er geweint, so entsetzt und hilflos fühlte er sich, weil sein Sohn spurlos verschwunden war.

»Meinst du, dass es Geister waren?«, fragte Karen ihn.

Jack wischte sich mit der Hand den Regen aus den Haaren. »Ich weiß es nicht. Vielleicht. Ich habe noch nie vorher einen Geist gesehen und ich kenne auch niemanden, der schon mal einen zu Gesicht bekommen hätte. Wer sagt, dass sie nicht aus der Wand hervortreten können? Schließlich kennt man das aus vielen Filmen, dass sie durch Wände gehen können. Vielleicht ist das ja ganz typisch für sie.«

»Die Bullen werden uns jedenfalls nicht glauben, so viel steht fest. Sie werden denken, dass wir völlig den Verstand verloren haben«, gab Karen zu bedenken.

»Aber es stimmt, es ist passiert und wir haben es mit eigenen Augen gesehen.«

»Vergiss es!«, sagte Karen. »Ich hab die Schnauze voll von Bullen, seit Cecil mich damals regelmäßig verprügelt hat. Die meiste Zeit verbrachten sie damit, mir einreden zu wollen, es sei meine Schuld gewesen, weil ich ihn ja schließlich provoziert hätte. Er war ein Bär von einem Mann! Und den soll ich provoziert haben? Ein Bulle wollte mir sogar erzählen, das geschehe mir ganz recht, dass Cecil mich verdrischt. Und wenn ich seine Frau wäre, würde er mir eine Tracht Prügel verpassen, die ich meinen Lebtag nicht mehr vergesse.«

»Uns bleibt aber gar keine andere Wahl, Karen. Falls jemand Randy entführt hat oder er sich irgendwo in der Nähe des Hauses versteckt hält, werden wir ihn ohne die Hilfe der Polizei niemals finden.«

»Und was willst du ihnen erzählen? Dass da ein Mann im Boden steckt, der versucht, einen an den Füßen zu packen, und eine nackte Frau in der Wand?«

»Ich werde ihnen die Wahrheit erzählen.«

»Jack …«, unterbrach ihn Karen. »Denk doch mal nach. Randy wird vermisst und du musst ihnen erklären, warum wir ihn mitten in der Nacht zu diesem merkwürdigen, alten Gebäude geschleppt haben.«

»Wir waren auf der Suche nach einem Landstreicher namens Lester, hast du das schon vergessen?«

»Ja, ja, schon klar. Ein Hausbesetzer. Aber du hast doch selbst gesehen, dass hier niemand untergeschlüpft ist, oder? Warum haben wir Randy also allein in dem Zimmer zurückgelassen?«

Jack sah sie kurz an. »Das müssen wir der Polizei ja nicht auf die Nase binden.«

»Natürlich nicht. Aber wir müssen erklären, warum wir ihn zwischenzeitlich aus den Augen verloren haben.«

»Er war müde, mehr nicht. Komm schon, Karen, er ist mein Sohn, Herrgott noch mal. Ich hoffe und bete, dass er nicht hinunter in den Keller gegangen ist. Die Polizei wird mir sofort ansehen, wie elend mir zumute ist.«

»Klar geht’s dir schlecht, aber das hilft uns auch nicht weiter. Die Bullen werden denken, wir hätten Randy hierher geschleppt, um ihn loszuwerden. Du hast dich mit Maggie gestritten, wolltest sie verletzen und dann wurde dir noch die Verantwortung für ein Kind aufgebürdet, was du gar nicht wolltest. Den Rest kannst du dir selbst ausmalen.«

»Ja, du vergisst dabei nur eins«, unterbrach sie Jack, »nämlich, dass es nicht wahr ist.«

»Die Wahrheit war den Bullen, mit denen ich bisher zu tun hatte, immer herzlich egal.«

Jack fuhr sich müde mit der Hand durchs nasse Haar. »Wir kümmern uns später um die Bullen, okay? Jetzt sollten wir mal den Swimmingpool genauer unter die Lupe nehmen. Vielleicht streunt er irgendwo dort in der Nähe herum.«

»Jack … es tut mir leid!«, sagte Karen. »Bitte, Schatz, sei nicht sauer auf mich. Mir liegt genauso viel daran, Randy wiederzufinden, wie dir. Aber ich weiß, wie es ist, wenn die Bullen ins Spiel kommen. Sie drehen einem die Worte im Mund herum. Nach einer Weile weißt du selbst nicht mehr so genau, was du getan hast und was nicht.«

»Herrgott, er könnte überall sein!«, fügte Jack hinzu, mehr an sich selbst als an Karen gerichtet. Die Nässe unter seinen Augen rührte nicht nur vom Regen her. »Lass uns noch die Umgebung vom Pool ablaufen, dann gehen wir zum Auto zurück.«

Hand in Hand wanderten sie an den Tennisplätzen vorbei zum Schwimmbecken. Es war so dunkel, dass Jack sich mit der Hand am Netz orientieren musste. Der Stoff fühlte sich klamm, labbrig und unangenehm an. Sie sagten nichts, bis sie den Pool erreichten. Man konnte kaum die Wasseroberfläche erkennen, auf der die herabfallenden Tropfen Muster bildeten. Das Wasser war schwarz, abgestanden und stank nach Ammoniak.

»Du hast nicht zufällig noch mehr von diesen Streichhölzern dabei?«, fragte Jack.

»Vielleicht noch ein angebrochenes Briefchen«, erwiderte Karen, während sie erneut in ihren Manteltaschen wühlte. »Ich trag sie immer bei mir, weißt du? Ist so eine Macke von mir. Ich hatte mal eine ganze Sammlung davon. Weißt du was? Ich hatte sogar welche aus William Holdens Haus. Allerdings aus der Zeit, bevor er sich betrunken den Kopf aufschlug und dadurch selbst ins Jenseits beförderte.«

Sie zog das Zündholzbriefchen heraus. Das erste Streichholz war zu feucht. Der Kopf zerbröselte, als Jack versuchte, es anzuzünden. Beim zweiten Holz klappte es schließlich. Er hielt es in die Luft und spähte durch den Rauch auf das Wasser im Becken.