»Da drin schwimmt etwas!«, bemerkte Karen. »Schau, da drüben!«
Jack starrte angestrengt ins dunkle Nass, doch das Streichholz erlosch. Er wollte ein weiteres anzünden, ohne Erfolg, und dann noch eins. Es war das letzte, brannte aber zumindest lange genug, dass er eine dunkle, gekrümmte Gestalt erkennen konnte, die auf der Oberfläche trieb.
»Glaubst du etwa, dass das Randy ist?«, erkundigte sich Karen besorgt. »Vielleicht hat er etwas im Haus gesehen und war so verängstigt, dass er ins Freie rannte und den Pool übersehen hat.«
Jack blieb, wo er war, und zitterte vor Kälte und Unschlüssigkeit. »Als ich das erste Mal hier war, habe ich auch schon etwas im Wasser gesehen. Nur aus dem Augenwinkel. Keine Ahnung, was genau. Vielleicht ist es das Gleiche. Ein Baumstumpf oder etwas anderes, das jemand irgendwann mal reingeworfen hat.«
»Aber was, wenn es doch Randy ist?«, wollte Karen wissen.
Jack zögerte noch einen Moment. Dann knöpfte er hastig seinen Mantel auf und zog ihn aus. Er legte auch Sakko, Krawatte und Hemd ab. Der Regen prasselte auf seine entblößte Brust. Er zog sich Schuhe und Socken und schließlich auch Hose und Boxershorts aus.
»Oh Jack, Liebling, sei bloß vorsichtig!«, flehte ihn Karen an.
»Vorsichtig? Willst du mich verarschen?« Er zitterte, nahm seine Rolex-Uhr ab und gab sie ihr. »Lass sie nicht fallen, es ist ein Erbstück von meinem Vater.«
Nackt rannte er zur anderen Seite des Pools, wo sich die Stufen befanden. Karen sagte: »Es war ungefähr da … vielleicht zwei oder drei Meter von der Stelle, wo du stehst.«
Seine Zähne klapperten heftig. Er kletterte die Metallleiter herab, bis sein Fuß das Wasser berührte. Es war eiskalt und stank so übel, dass es einen Würgereiz in ihm auslöste. Jack spähte in die Dunkelheit. Gott allein wusste, was da unter der Oberfläche lauerte. Er bewältigte zwei weitere Sprossen, bis das Wasser seine Knöchel wie Strumpfhalter aus kaltem Stahl umschloss. Seine Hoden schrumpften so stark zusammen, dass sie fast in seiner Leiste zu verschwinden schienen.
Während er die Leiter immer noch mit einer Hand festhielt, lehnte er sich über das Wasser und tastete mit der anderen durch das kalte Nass – in der Hoffnung, den mysteriösen Klumpen im Dunklen zu erfühlen.
»Ich glaube, ich kann es sehen!«, sagte Karen. »Es ist etwa einen Meter von dir entfernt. Du wirst wohl hinschwimmen müssen.«
Er schluckte und erwiderte dann: »Na gut, ich versuch’s.«
Jack wollte eine weitere Stufe auf der Leiter herabklettern, doch auf einmal gab es keine Sprossen mehr, sodass er hineinfiel und mit dem Kopf untertauchte. Jack schrie unter Wasser, ein blubberndes Gurgeln aus Luftblasen. Er fühlte, wie weiche, unförmige Dinge in der Dunkelheit gegen ihn stießen, und kam schließlich voller Angst, Ekel und Verzweiflung wieder an die Oberfläche.
»Ah!«, schrie er und sog gierig Luft ein.
»Jack, ist alles in Ordnung?«, rief Karen. »Jack!«
»Ah!«, rief er erneut. »Ah! Ah! Scheiße, ich ertrinke! Bah, ist das widerlich!«
Karen rief: »Es ist da drüben, ich kann es sehen. Schau mal, genau dort. Du bist schon direkt davor.«
»Ich kann gar nichts sehen, verflucht noch mal.«
»Da! Schau, da!«
Widerwillig versuchte Jack die Stelle zu erreichen, welche Karens ausgestreckter Finger ihm anzeigte. Das Wasser klebte an seiner Haut, die Konsistenz glich eher eiskaltem Gelee, und dann hing plötzlich etwas Glitschiges zwischen seinen Beinen. Er zappelte und wand sich voller Abscheu.
Schließlich berührten seine Finger etwas, das im Schleim umhertrieb. Etwas, das in strapazierfähige Baumwolle eingepackt war. Das könnte Randys Anorak sein. Es trieb weich und leblos auf der Oberfläche wie ein ertrunkener Junge.
Jack bekam es zu packen. Dann schwamm er langsam wieder zum Rand des Pools zurück, während er das Ding hinter sich herzog. Seine Arme waren schon ganz steif vor Kälte.
Karen kam herüber, um ihm zu helfen. Er zitterte, nicht nur weil er völlig durchgefroren war, sondern auch vor Ekel. Er kletterte zuerst selbst die Leiter herauf und hievte dann sein Mitbringsel auf die Fliesen. Es gab ein tiefes, schmatzendes Geräusch von sich. Danach war das stetige, leichte Tropfen von Wasser zu hören.
Es war ein Postsack, kein Junge, doch war er schwer genug, um den Körper eines Jungen enthalten zu können. In seinem Inneren befand sich etwas, das so abscheulich weich und unförmig war und so bestialisch nach Verfall stank, dass Jack ein Teil seines letzten Essens wieder hochkam.
»Es ist nicht Randy«, flüsterte Karen, ihr regennasses Gesicht aschfahl in der Dunkelheit. »Es kann nicht Randy sein.«
»Ich ziehe mir wieder was an«, sagte Jack zu ihr. »dann müssen wir das Scheißteil einfach aufmachen, um zu sehen, was drin ist.«
Karen erwiderte nichts, doch sie reichte Jack seine Klamotten, die sie unter ihrem Regenmantel trocken gehalten hatte. Er zitterte wie Espenlaub, sodass er kaum noch klar denken konnte, Hemd und Hose klebten auf seiner nassen Haut. Aber als er erst einmal seine Socken und Schuhe wieder angezogen und seinen Mantel zugeknöpft hatte, wurde ihm etwas wärmer und er fühlte sich nicht mehr ganz so erbärmlich.
»Also gut!« Schnaubend ging er neben dem Postbeutel in die Hocke. »Lass uns rausfinden, was ich da aus dieser trüben Brühe gefischt habe.«
Mit steifen Fingern löste er das Band um den Sack und zog ihn weit auf.
»Oh Gott!«, stöhnte er. Das widerwärtig süßliche Aroma von verrottetem Fleisch drang ihm in Mund und Nase.
»Ich kann«, keuchte er, »ich kann noch nicht einmal erkennen, was es ist.«
Jack hielt sich eine Hand vors Gesicht und spähte angestrengt in den dunklen Sack hinein. Er konnte etwas Glänzendes ausmachen, aber das war auch schon alles. Karen hielt sich in sicherer Distanz.
»Herr im Himmel, es muss etwas Schreckliches sein, was auch immer es ist«, flüsterte sie.
Jack erhob sich wieder. »Du hast nicht zufällig noch ein paar Streichhölzer?«
Sie schüttelte den Kopf, doch dann rief sie triumphierend aus: »Mein Schlüsselbund! Mensch, warum ist mir das nicht längst eingefallen! Guck mal, da ist eine kleine Taschenlampe dran!«
Ihre Finger tasteten, fanden, wonach sie suchten, dann erleuchtete ein schmaler Kegel die Nacht. »Cecil hat sie mir gekauft. Vor meiner Haustür war es immer so dunkel, dass ich nie das Schlüsselloch finden konnte.«
Jack nahm die Lampe entgegen und kniete sich wieder neben den Sack. Er richtete den runden Strahl darauf und versuchte zu erkennen, was er da vor sich hatte.
Es war ein Wirrwarr aus blassem, grau-rosafarbenem Fleisch, das hier und da von hellen Blau- und Grüntönen als Zeichen des einsetzenden Verfalls durchsetzt war. Ein breiter Fellstreifen, ein unnatürlich in die Höhe ragendes Bein, dessen Haut am Knochen verfaulte. Irgendein Hund, vermutlich ein Schäferhund. Definitiv kein kleiner Junge.
Doch als er sich mit dem Strahl der Taschenlampe weiter in die Tiefen des Sacks vorwagte, bekam er eine Gänsehaut vor Entsetzen. Zwar befand sich nur ein Körper darin, aber zwei halb verrottete Köpfe starrten ihn an; zwei Mäuler; zwei gewaltige Gebisse mit schiefen Zahnreihen; zwei schwarze Zungen. Vier gelbe, mit Schleim verschmierte Augen.
Abrupt schaltete er die Taschenlampe aus und stand auf. »Ein Hund«, sagte er zu Karen. »Jemand hat seinen Hund ertränkt.«
»Wie kann man nur so grausam sein?«, erwiderte sie zitternd.
Jack konnte ihr in diesem Moment nicht antworten. Sein Mund war voller Gallenflüssigkeit und Speichel. »Es handelt sich um eine Art Missbildung. Wahrscheinlich war es besser so.«
Karen berührte ihn am Arm. »Zumindest ist es nicht Randy.«