»Ich bin etwas jünger als Dick Van Dyke«, verriet ihm Jack.
»Ich meine Dick Van Dyke in der Zeit, als er noch in seiner eigenen Sitcom, der Dick Van Dyke Show, mitspielte. Sie wissen schon, mit Morey Amsterdam, dieser Rosemary – wie hieß die noch gleich? – und Mary Tyler Moore.«
Der Dobermann namens Boy zerrte an seiner Leine und schlug mit dem Schwanz gegen Joseph Lovelittles Regenmantel.
»Bis später dann!«, verabschiedete sich Jack. Er fühlte sich wie gerädert, ihm war eiskalt und eine bleierne Müdigkeit steckte ihm in den Knochen. Er hätte alles dafür gegeben, Randy in Sicherheit zu wissen, sich für die nächsten zwei Tage ins Bett verkriechen zu dürfen und einfach nur durchzuschlafen.
»Ich werde da sein!«, sagte Joseph Lovelittle. »Darauf können Sie sich verlassen.«
Er richtete die Taschenlampe pflichtbewusst auf die Allee aus Eichenbäumen, die zurück zum Auto führte. Jack drehte sich ein- oder zweimal zu ihm um, konnte aber nur den blendenden Strahl seiner Taschenlampe erkennen.
»Na der war ja mal wirklich unheimlich, oder?«, bemerkte Karen, als sie den unregelmäßig beleuchteten Zufahrtsweg auf ihren 15-Zentimeter-Absätzen entlangstöckelte.
Jack entgegnete: »Ich würde zu gern wissen, warum er meint, die Eigentümer wären so verdammt entzückt darüber, einen Käufer für The Oaks zu finden.«
»Ach komm, Jack!«, sagte Karen. »Du hast doch gesehen, was im Keller passiert ist. Erzähl mir nicht, dass die Besitzer nichts davon wissen.«
»Da bin ich mir nicht so sicher … wenn jemand das schon mal gesehen hat … glaubst du nicht, dass er sich mit der Presse oder dem Fernsehen in Verbindung gesetzt hätte? Schließlich ist das ein Gebäude, in dem es ganz ordentlich spukt.«
»Wahrscheinlich haben wir das alles nur geträumt. Hast du noch nie einen dieser Schocker mit Freddy Krueger gesehen?«
»Mensch, Karen, das sind doch nur Filme. Das hier ist die Realität.«
Sie quetschten sich durch die Lücke im Zaun und Jack schloss den Wagen auf. Wie Joseph Lovelittle ihnen schon prophezeit hatte, war er leer. Sie stiegen ein, um dem Regen endlich zu entkommen. Jack startete den Motor und die Scheibenwischer. Es war 03:37 Uhr morgens.
»Zurück in Richtung Madison ist auf der 94 ein Motel«, sagte Jack. »Du kannst von dort aus Bessy anrufen und dann duschen wir beide heiß und versuchen, ein bisschen zu schlafen.«
Karen beugte sich zu ihm herüber und küsste ihn. »Es tut mir leid, Jack. Es tut mir leid, wie alles gekommen ist. Aber wir werden Randy finden, glaub mir. Wenn man ihn finden kann, werden wir ihn finden.«
»Und was ist mit den Geistern?«, fragte Jack. Er sah sich selbst im Rückspiegel an. Blass und erschöpft, das war er.
»Was ist mit den Dingern, die aus dem Boden kommen und einen packen? Was ist mit nackten Frauen in gottverdammten Wänden?«
»Jack, Liebling, wir werden in aller Ruhe eine Lösung finden, okay? Dieser merkwürdige Wachmann hatte absolut recht. Wenn es hell ist, sieht die Welt schon wieder ganz anders aus.«
Jack schaltete das Automatikgetriebe seines Electra in den Rückwärtsgang, wendete und stellte den Hebel dann auf »Drive«.
»Weißt du was?«, meinte er. »Es wird nie aufhören zu regnen. Nie wieder, solange wir leben. Nie mehr.«
Jack nahm einen gelben Plastikbarhocker mit unter die Dusche und setzte sich mit vorgestrecktem Kinn und fest geschlossenen Augen unter das heiße Wasser. Karen packte einen neuen Kaugummi aus und ließ sich mit nichts weiter als ihrem schwarzen Nylon-BH aufs Bett fallen, um mit Bessy mit den dicken Knöcheln zu telefonieren.
»Glaub mir, Bessy – wenn ich gewusst hätte, was passiert! Bessy! Du bist ein Engel, Bessy, weißt du das? Erinnerst du dich an die Kette, die dir so gut gefiel? Ich werde sie dir kaufen, ich verspreche es dir! Ich weiß, dass ich dir Umstände mache! Bessy, es tut mir leid! Aber Sherrywine liebt dich doch so sehr!«
Als Jack schließlich aus der Dusche kam, legte sie auf. »Blöde Kuh!«, schimpfte sie und schmatzte laut.
»Was – hat sie dir das Leben schwer gemacht?«, erkundigte sich Jack, während er sich die Haare trocken rubbelte.
»Oh, nicht direkt. Zumindest nicht mit Worten. Sie versucht mir einzureden, dass ich eine schlechte Mutter bin, nichts weiter.«
»Du bist aber keine schlechte Mutter.«
»Du hast blaue Flecken an den Knöcheln, hast du das schon bemerkt?«
Jack sah an sich hinunter. Beide Knöchel waren über und über mit rot-blauen Stellen bedeckt.
»Das Ding war wirklich da, oder?«
Jack nickte. »Ja, es war wirklich da. Kein Geist. Keine Halluzination. Alles verdammt real.«
Er setzte sich direkt neben ihr auf die billige grüne Nylon-Tagesdecke. Sie drehte sich zu ihm und sah ihn an, während ihre Kiefer den Kaugummi zermalmten. Sie war sehr hübsch, und das, obwohl sich ihre falschen Wimpern an einer Stelle gelöst hatten und über einem Auge herabhingen. Sie hatte feste, spitze Brüste mit braun-rosa Nippeln, die so groß waren wie Untertassen; obwohl ihr Bauch nach der Geburt etwas schlaffer geworden war, wirkte sie sehr schlank. Zum ersten Mal fiel ihm die herzförmige Rasur ihrer Schamhaare auf. Das musste sie sich bei den Mädchen im Playboy abgeschaut haben.
»Du kannst die Bullen anrufen, wenn du willst«, sagte sie. »Es ist schließlich dein Sohn und du solltest dich von mir nicht davon abhalten lassen. Wenn das mit Sherrywine passiert wäre …«
»Zuerst möchte ich The Oaks noch einmal gründlich durchsuchen«, erklärte Jack. Seine Stimme klang schroff und ganz erbärmlich. So mochte sich Richard Burton auf dem Sterbebett anhören. »Ich weiß nicht – ich bin mir ziemlich sicher, dass er noch da ist. Diese Leute in der Wand. Und die Kackwurst, wie sie da in den Mauersteinen hing.«
»Der Wachmann – wie hieß er noch gleich?«, fragte Karen.
»Littlelove, Lovelittle?«
»Genau, das war’s, Lovelittle. Hast du gehört, was er gesagt hat? Selbst die Bullen sind nicht gern in The Oaks. Du müsstest ihnen fünfmal mehr zahlen als ihm. Tja, und warum bloß, wenn sich da nicht etwas total Merkwürdiges abspielt? Ich meine, da muss doch etwas abgehen, das ihnen Angst einjagt?«
Jack warf das kratzige Motel-Handtuch auf den Boden und legte sich im Bett auf den Rücken. Eine Weile starrte er an die Decke und schloss dann die Augen. Es war 04:40 Uhr morgens und hinter den orangeroten, lose wehenden Vorhängen wurde es bereits hell. Allerdings eher in einem trüben Grau, weil es immer noch regnete.
Karen kniete eine Weile neben ihm und beobachtete ihn. Sie schob ihren Kaugummi von einer Seite zur anderen. Sie mochte Jack. Wahrscheinlich würde sie ihn sogar lieben, wenn das Schicksal es erlaubte. Jeden Sonntag las sie in der Zeitung ihr Horoskop, doch sie traute dem Schicksal nicht recht über den Weg. Nach ein paar Minuten bemerkte sie, dass er eingedöst war. Seine Finger entspannten sich und er begann zu schnarchen. Mit einem Griff öffnete sie ihren BH.
Jack murmelte im Schlaf etwas vor sich hin. Nichts, was man verstehen konnte. Karen strich ihm mit den Fingerspitzen übers Gesicht, berührte seine Lider und fuhr ihm über den Mund. Er schürzte die Lippen, während er träumte. Sie glitt mit den Fingernägeln über sein Brustbein, kratzte sanft über seinen Bauch. Dann nahm sie seinen Penis in die Hand, drückte ihn und fing an, ihn zu massieren. Als er steif wurde, umfasste Karen ihn noch fester, doch Jack wachte trotzdem nicht auf. Er war viel zu erschöpft, stand unter Schock, war verängstigt und völlig ausgelaugt.
Karen fuhr mit der Fingerspitze immer wieder über seine feuchte Eichel, doch dann ließ sie es bleiben und legte sich neben ihn. Sie beobachtete, wie die Lichter von vorbeifahrenden Lastwagen über die Decke huschten.
Sie sah erneut auf Jack. Er würde ihr niemals gehören. Sie war sich nicht sicher, ob sie es überhaupt mit einem Mann aushalten konnte, der so ein ausgeprägtes Gewissen besaß. Doch sie schmiegte sich eng an ihn, als es im Zimmer langsam heller wurde. Schlafen konnte sie nicht. Als er um 06:20 Uhr wieder die Augen öffnete und sie anstarrte, lächelte sie, küsste ihn und sagte: »Guten Morgen, mein Liebling.«