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Schlurfend ging er als Erster die Stufen hinunter. Jack sagte zu Karen: »Wenn wir Randy im Haus nicht finden, dann rufe ich die Bullen und fertig. Selbst wenn ich sie bestechen muss, damit sie herkommen.«

Joseph Lovelittle drehte sich zu ihm um und sagte: »Haben Sie etwas, das Ihrem Sohn gehörte, Mr. Reed? Vielleicht würde es Boy helfen, ihn aufzuspüren.«

Jack griff in seine Manteltasche und zog die zerfetzten Überreste der Kackwurst hervor. Er hielt sie dem Hund unter die Nase und Boy schnüffelte daran, leckte sie ab und biss dann hinein.

»Was war das mal?«, fragte Lovelittle, während er einen skeptischen Blick auf die waffelförmigen Wollreste warf.

»Ein konfessionsloses, nicht-rassistisches, asexuelles, ganz natürliches Spielzeug«, antwortete Jack.

Joseph Lovelittle starrte ihn an. »Ich bekam eine Jack-Armstrong-Spielzeugpistole mit Propeller geschenkt, als ich neun war.«

»Tja, das Glück hat halt nicht jeder«, gab Jack trocken zurück. Die Müdigkeit ließ ihn leichtsinnig, fast schon hysterisch werden.

Sie schritten den ganzen nächsten Gang ab, während Joseph Lovelittle jede Tür öffnete und Boy schnüffelnd zwischen ihren Beinen umherlief. Wieder fanden sie nichts. Doch Jack war überrascht, dass die Wände in jedem der Zimmer auf dieser Etage dick mit einem grau-weißlichen Stoff ausgelegt waren.

»Ruheräume«, bemerkte ihr Begleiter mit einem schiefen Lächeln, als er sah, dass Jack die Wände berührte. »So nannte sie Dr. Estergomy gern.«

Sie gingen wieder zurück ins Erdgeschoss. Dort gelangten sie an die Doppeltür, die zu dem Turm führte, den Jack bei seinem letzten Besuch so sorgfältig abgeriegelt vorgefunden hatte.

»Vermutlich konnte er hier nicht hinein!«, bemerkte er.

»Wollen Sie trotzdem nachschauen?«, wollte Joseph Lovelittle wissen. Er schnaubte und der Rotztropfen, der vorher an seiner Nase gehangen hatte, verschwand wie von Zauberhand. »Das war Dr. Estergomys Klinik, Sie wissen schon, wo er all seine Behandlungen vornahm. Er hielt die Tür wegen der Medikamente und dem ganzen anderen Zeug immer gut verschlossen.«

Joseph Lovelittle fuchtelte mit den Schlüsseln herum und fand schließlich den richtigen. Er schloss auf und öffnete die rechte Pforte. Jack zögerte. »Gehen Sie nur«, ermutigte ihn Joseph Lovelittle. »Nichts, wovor man Angst haben müsste.«

Jack trat ein und fand sich in einer trüben, staubigen Halle wieder, deren Decke zwei Stockwerke hoch war. Fenster mit schweren Vorhängen gaben den Blick auf die Allee frei, die von der Straße zum Haus führte. Die Äste mit den nassen Eichenblättern bogen sich unter der Last des Regens.

In einer Ecke stand ein großer Schreibtisch mit Lederbespannung. Darauf lagen vergilbte Papiere, als hätte noch heute Morgen jemand dort gearbeitet. Ein Füllfederhalter lag mit offener Kappe auf dem tintenbefleckten Untergrund. Die verrostete Feder war das einzige Indiz dafür, dass er schon seit Ewigkeiten nicht mehr benutzt worden war.

Nicht weit vom Schreibtisch entfernt stand eine hohe Untersuchungsliege, auf der ein Laken mit ausgefranstem Saum ausgebreitet lag. Vermutlich hatten sich Mäuse daran zu schaffen gemacht. In der Mitte des Raumes thronte das mit Abstand beeindruckendste Möbelstück: ein riesiger, quadratischer Stuhl aus Eichenholz. An seiner Rückseite war mithilfe einer gebogenen Messinghalterung eine Metallhaube befestigt worden. Für die Fuß- und Handgelenke gab es Lederbänder zum Fixieren. Ein Kabel, das in dicken, braunen Stoff eingehüllt war, verband den Stuhl mit einem riesigen, elektrischen Schaltpult. Es wirkte wie das Cockpit eines altmodischen Flugboots. Es gab unzählige Reihen von Hebeln und anderen Bedienelementen sowie etliche kleine, rote Signallämpchen. Weitere Kabel führten zu einer Reihe von gläsernen Akkumulatorenbatterien. Die meisten davon waren eingestaubt, zerbrochen und mit Chlorsalz verkrustet.

Jack blickte nach oben. Über dem Stuhl schwebte eine Ansammlung schwarz bemalter Scheinwerfer, die in verwaiste Spinnennetze eingehüllt waren. Selbst die achtbeinigen Bewohner hatten diesem Ort den Rücken gekehrt.

»Erinnert mich an eine Szene aus Frankenstein«, stellte Jack fest.

»Für mich sieht es aus wie ein elektrischer Stuhl!«, warf Karen ein.

Joseph Lovelittle lehnte sich altklug und mit verschränkten Armen gegen die Tür und sah sich im Behandlungszimmer um. Boy steckte seinen Kopf in einen Weidenpapierkorb und brachte einige zusammengekrumpelte Notizen durcheinander.

»Ich würde sagen, Sie haben beide recht«, äußerte sich Joseph Lovelittle.

»Das war eine von Mr. Estergomys großen neuen Behandlungsmethoden. Man konnte damit Hirnzellen so manipulieren, dass sie sich anders anordneten. Er hat es mir einmal mit einem Magneten und ein paar Eisenspänen demonstriert. Er fuhr mit dem Magneten über die Eisenspäne und sie ordneten sich nach einem bestimmten Muster an. So hat er es mir zumindest zu erklären versucht. Ich war wahrscheinlich zu jung, um es zu begreifen, vielleicht auch zu dumm, oder beides. Ich bin eher der Typ fürs Grobe. Denken ist nicht so meine Stärke.«

»Das war also ein Irrenhaus?«, fragte Jack.

»Hat Mr. Bufo Ihnen das nicht gesagt? Es war ein berühmtes Irrenhaus. Drüben in der Universität nannten sie es nicht The Oaks, sondern The Walnuts. Wegen der vielen tauben Nüsse, hehe.«

»Das erklärt natürlich die gepolsterten Wände in den Krankenzimmern und die Türen, die sich nicht von innen öffnen lassen«, bemerkte Jack. »Was für ein Idiot ich bin, das hätte mir doch auffallen müssen.«

»Sie waren alle gewalttätig«, erzählte Joseph Lovelittle. »Jeder einzelne von ihnen, totale Scheißkerle, bitte entschuldigen Sie meine Wortwahl. Das Staatsgefängnis hat sie hierhin abgeschoben, weil die Wächter nicht mit ihnen fertig wurden. Alle Sorten von Verbrechern hatten wir hier. Axtmörder, welche, die ihre Mutter erstickten oder Babys erwürgten, Brandstifter und so weiter. Männer, Frauen und sogar Kinder. 137 waren’s in der Nacht, als wir dichtmachten.«

»Ich hatte ja keine Ahnung«, erwiderte Jack kopfschüttelnd. »Von dieser Anstalt höre ich gerade zum ersten Mal.«

»Ist doch völlig klar. Dafür hat damals niemand die Werbetrommel gerührt. Die Anwohner wären sicher nicht sonderlich begeistert über ein Ferienheim für gefährliche, verrückte Kriminelle in ihrer direkten Nachbarschaft gewesen, oder? Und nach dem, was dann passiert ist, gab’s erst recht keinen Grund mehr, die Angelegenheit an die große Glocke zu hängen.«

»Was ist denn passiert?«, hakte Jack nach.

Joseph Lovelittle ignorierte ihn und pfiff durch die Zähne, um Boy zu rufen.

»Sind Sie hier fertig?«, wollte er dann von Jack wissen.

»Ja, ich denke, wir sind fertig.«

Sie verließen das großzügige Behandlungszimmer der Klinik und Joseph Lovelittle schloss wieder hinter ihnen ab. »Sie können auch einen Blick in den Westturm werfen, wenn Sie möchten, aber da gibt es nur Bücher. Mr. Krüger hat den Großteil seiner Bibliothek zurückgelassen, als er das Haus verkaufte. Ich glaube, er ist nach Europa ausgewandert oder so. Er zog sich auch aus dem Biergeschäft zurück.«

»Wäre es denn möglich, dass Randy in den Westturm gelangt ist? Oder ist der auch so gut verriegelt wie hier?«

»Auch so gut verriegelt.«

»Also gut, dann belassen wir es dabei und schauen uns erst mal noch die restlichen Räume unten und dann den Keller an.«

Karen sagte: »Du willst doch nicht wieder runter in den Keller gehen?«

»Ich muss. Die Kackwurst war dort.«

Joseph Lovelittle sah Jack fragend von der Seite an. Jack konnte sich immer noch nicht erklären, wie sein Gegenüber den Kopf drehen konnte, ohne seine Schultern zu bewegen.

»Das Spielzeug meines Sohns, das ich Ihnen vorhin gezeigt habe«, erklärte Jack.

Mit einem bellenden Husten führte Joseph Lovelittle sie in die Empfangshalle zurück und schlurfte dann vor ihnen durch Küchen, Toiletten, Kunstwerkstätten und Kämmerchen, in denen einmal Mäntel und Stiefel aufbewahrt worden waren.