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Schließlich gelangten sie zum Badehaus am Ende des Gebäudes. Darin gab es ein Echo, es war kalt und fühlte sich an wie in einer Höhle. Es gab lediglich ein paar winzige Fenster, durch die man die dahinterliegenden Tennisplätze erkennen konnte. In fünf weiß gefliesten Öffnungen im Boden befand sich jeweils eine riesige emaillierte Badewanne. Jede von ihnen war mit einem hölzernen Deckel mit ovaler Öffnung versehen – gerade eben groß genug, dass ein Kopf hindurchpasste. Am Ende der Deckel waren jeweils vier Messinghalterungen angebracht, vermutlich, um den Badenden am Rand der Wanne fesseln zu können, damit er nicht herausklettern konnte. Sie waren allesamt völlig zerkratzt, zerborsten und mit dunklen Flecken besprenkelt.

»Falls einer der Patienten mal total durchdrehte, ließ Mr. Estergomy ihn hier drin bis zum Hals in kaltem Wasser schmoren. Mann, wie die schrien! Manchmal konnte man sie noch draußen am Swimmingpool hören. Sie brüllten, kratzten, schlugen um sich; wenn die Schwestern sie später aus der Wanne holten, war meistens das ganze Wasser voll Blut und ihre Finger bis auf die Knochen abgeschabt.«

Karen schüttelte sich. »Das ist ja grausig.«

Boy, der Dobermann, schlich um die Wannen herum und tappte dabei mit seinen Pfoten über die Fliesen. »Sieht nicht so aus, als ob Ihr Sohn hier drin wäre«, bemerkte Joseph Lovelittle. »Der letzte Ort, an dem er noch sein könnte, ist der Keller.«

»Haben Sie hier im Haus schon jemals jemanden gesehen?«, erkundigte sich Jack, als sie das Badehaus wieder verließen.

»Drogensüchtige und Rocker, aber nicht besonders viele.«

»Nein, nein. Ich meinte eher, ob Sie jemals etwas Ungewöhnliches bemerkt haben?« Er konnte sich nicht zu der Bemerkung durchringen, die ihm auf der Zunge lag: »Jemanden in der Wand.«

Joseph Lovelittle schloss die Kellertür auf. »Kommt darauf an, was Sie unter ungewöhnlich verstehen. Ich könnte zum Beispiel sagen, dass Sie und Ihre Freundin ziemlich ungewöhnlich sind, weil Sie herkommen und nach einem Sohn suchen, von dem Sie nicht einmal beweisen können, dass Sie ihn jemals hatten. Woher soll ich wissen, weshalb Sie wirklich hier sind?«

»Jetzt machen Sie aber mal halblang«, sagte Jack. »Ich habe Sie sogar bezahlt, oder nicht? Dafür, dass Sie mir helfen, meinen Sohn wiederzufinden. Sie haben das Geld dankend angenommen. Also erwarte ich ein bisschen mehr Kooperation von Ihrer Seite, wenn’s Ihnen nichts ausmacht.«

Joseph Lovelittle steckte sofort zwei Finger in die Tasche seiner Strickjacke und klaubte Jacks 20-Dollar-Schein heraus.

»Sie sind nicht zufrieden? Dann bekommen Sie Ihr Geld zurück. Ich würde nie Geld von jemandem annehmen, der nicht zufrieden ist.«

Jack wollte es nicht zurück. »Schon gut, es tut mir leid. Ich will doch nur meinen Jungen wieder.«

Karen sagte: »Jack … ich denke, ich bleibe hier. Ich will nicht noch mal runter in diesen Keller.«

»Hey … es gibt nichts, wovor man sich fürchten müsste.« Joseph Lovelittle grinste und entblößte dabei Zähne, die die Farbe von alten Klaviertasten hatten. »Es ist nur ein Keller, mehr nicht.«

»Trotzdem«, meinte Karen mit einer Stimme, die vor Aufregung ganz schräg klang. »Ich würde dann doch lieber hierbleiben.«

»Wie Sie möchten«, entgegnete Joseph Lovelittle schnaubend. Er fasste in eine Nische neben der Kellertür und zog eine grün-emaillierte Stablampe hervor. Gott, dachte Jack, wenn wir bloß letzte Nacht gewusst hätten, dass da eine Lampe ist!

»Kommen Sie, Mr. Reed? Oder haben Sie etwa auch Angst?«

Der alte Wachmann schritt entschlossen die Kellertreppe hinunter und schwenkte den breiten Strahl der Lampe beunruhigend von einer Seite des Gewölbes zur anderen, sodass es aussah, als würden die Wände wackeln. Einen Moment lang beschien die Lampe seine Ohren, sodass sie rot und haarig aussahen und dunkelrote Adern hervortraten.

»Ich komme hier nicht mehr so oft hinunter«, sagte er über seine Schulter zu Jack. »Es gab mal eine Zeit, da war ich für die Wartung des Boilers zuständig. Aber während des Krieges war kein Heizöl mehr zu kriegen und es hatte sowieso nicht schrecklich viel Sinn, ein Gebäude zu beheizen, in dem nie wieder jemand leben würde.«

Am Fuß der Kellertreppe drehte er sich plötzlich um und sah Jack an, als ob er ihn noch nie in seinem Leben gesehen hätte. »Warum wollen Sie diesen Laden hier eigentlich kaufen?«, fragte er mit anklagender Stimme. »Man muss schon ziemlich bescheuert sein, um sich so etwas in den Kopf zu setzen.«

»Wollen Sie, dass ich Sie als Angestellten behalte?«, fragte Jack ihn. »Als Hausmeister, Sicherheitschef oder irgendwas in der Art?« Er hoffte, dass Joseph Lovelittle von der unterschwelligen Drohung beeindruckt genug sein würde, um sich ein wenig entgegenkommender zu verhalten.

Irgendwo tief unten im Keller begann Boy zu bellen.

Joseph Lovelittle wandte Jack den Rücken zu und sagte: »Sicherheitschef? Ist mir scheißegal, um die Wahrheit zu sagen. Ich geh eh bald in Rente.«

Jack folgte ihm über den mit Müll bedeckten Kellerboden, vorbei an dem gewölbten, schweigenden Boiler. Sie knirschten und knarzten über Sperrholzplatten und kletterten über drei kaputte Sofas. Joseph Lovelittle schien egal zu sein, worauf er trat. Er kickte zwei Glasakkumulatoren aus dem Weg und einer davon zerbrach, sodass sich Batteriesäure über den Betonboden ergoss. Jack kletterte so vorsichtig wie möglich über den Unrat, schwieg aber.

Boy stand vor der Kalkwand in einer der Nischen und bellte laut.

»Hast du etwas gefunden, Boy?«, fragte Joseph Lovelittle ihn. Er leuchtete mit der Stablampe auf die Mauersteine, doch an der Wand war nichts zu sehen. »Der Hund ist so dumm wie Brot, glauben Sie mir. Jeder andere Dobermann ist schlau wie ein Fuchs. Doch meiner nicht. Wenn er Eindringlinge sieht, was tut er dann? Er bringt ihnen Stöckchen, damit sie mit ihm spielen. Mit Hunden habe ich noch nie Glück gehabt. Hatte noch nie einen, mit dem es gut ausgegangen ist.«

»Vielleicht ist da etwas hinter der Mauer«, mutmaßte Jack. Ihm war heiß und gleichzeitig kalt und er wischte sich die Hände an seiner Hose ab.

»Hinter der Mauer, Mr. Reed, ist massiver Felsen. Das und nichts anderes befindet sich dahinter.«

Jack nahm die zerfetzten Überreste der Kackwurst heraus und hielt sie Boy vor die Schnauze, um seine Erinnerung aufzufrischen. Boy schnüffelte und schnappte eifrig danach, dann sprang er zur Kellerwand, bellte unaufhörlich und wedelte mit dem Schwanz.

»Wirst du wohl das Maul halten, du dummer Köter!«, brüllte Joseph Lovelittle ihn an und schlug mit der Leine nach ihm.

»Hab noch nie einen so blöden Köter gesehen!«

»Aber er glaubt, dass da etwas ist«, gab Jack zu bedenken.

»Ach ja?«, erwiderte Joseph Lovelittle. Er schien jetzt ernsthaft verärgert zu sein. »Was denn? Was glaubt er denn, was dort ist? Kommen Sie, Mr. Reed, was zum Teufel glaubt er denn, was dort ist?« Er trampelte über einen Haufen alter, hölzerner Kleiderbügel hinweg und stellte sich direkt an die Wand.

»Das ist eine unnachgiebige Mauer, absolut stabil! Ist seit 1924 nicht mehr gestrichen worden, nicht mehr angerührt worden. Hier ist nichts, Mr. Reed, glauben Sie mir. Nur eine extrem robuste Mauer!«

Er schnappte nach Boys Halsband, doch der Hund wich ihm aus, lief im Kreis, bellte und zog sich zurück.

»Jetzt reicht’s mir aber, du blöder Köter! Hör auf mit dem gottverdammten Lärm! Hörst du! Hör auf mit dem Krawall!«

Da war sich Jack plötzlich sicher, dass er das gruselige, altbekannte schleifende Geräusch wieder hörte. Das tiefe, zarte Sssssschhhhhhh – ssssssssschhhhhhh – ssssssschhhhhhh. Er drehte sich rasch um, um auszumachen, woher es kam. Doch Boys Gebell hallte von den Wänden wider, sodass Jack unmöglich den Ausgangspunkt festmachen konnte.