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Doch es kam näher. Ein leiser, dumpfer, düsterer Ton.

»Mr. Lovelittle!«, rief er.

»Was? Was ist denn?«, fuhr ihn Joseph Lovelittle an.

»Mr. Lovelittle, ich glaube wirklich, dass wir besser daran täten, hier so schnell wie möglich zu verschwinden.«

»Was? Wovon zum Teufel reden Sie? Boy – hör auf mit dem verdammten Gebell, ich verstehe ja mein eigenes Wort nicht mehr!«

Sssssschhhhhh – sssssssschhhhhhh – sssssschhhhhh. Das schleifende Geräusch wurde immer noch lauter. Jack sah sich schnell und ängstlich um und wartete darauf, dass sich jede Sekunde der Müll teilen, eine graue Hand daraus hervorragen und seinen Fußknöchel packen würde.

»Mr. Lovelittle, kommen Sie!«, rief er und versuchte, seine Stimme besonders überzeugend klingen zu lassen. »Ich glaube, hier unten sind wir nicht wirklich sicher, wissen Sie? Kommen Sie! Ihr Hund wird schon nachkommen, wenn er sich wieder beruhigt hat.«

»Scheißblöder Hund!«, zeterte Joseph Lovelittle weiter.

In diesem Moment war das Ssssssschhhhhhh-Geräusch hinter dem alten Mann so laut, dass er sich überrascht umdrehte und zur Wand sah.

»Haben Sie das gehört?«, fragte er Jack. »Vielleicht ist …«

Zwei kräftige kalksteinfarbene Hände schnellten aus der Wand hervor und ergriffen Joseph Lovelittles Kopf.

»Hilfe!«, schrie er. Doch dann schmetterten die Hände sein Gesicht gegen das Mauerwerk. Jack hörte das entsetzliche Krachen, als seine Nase brach.

Mit gnadenloser Gewalt zogen die Hände Joseph Lovelittle unaufhörlich auf und ab, ritsch-ratsch, ritsch-ratsch, sodass sein Gesicht wie ein Kohl gegen eine Küchenreibe geschabt wurde. Er schrie und brüllte in hilfloser Pein, ein einziges lang gezogenes, schrilles Heulen. Seine Schreie brachten selbst Boy zum Verstummen, der reglos mit aufgestellten Ohren neben dem Müll stand.

»Halten Sie durch! Halten Sie durch!«, kreischte Jack hysterisch, polterte über die Kleiderbügel und versuchte, Lovelittle an den Schultern zu packen und ihn von der Mauer wegzuziehen. Doch der alte Mann wurde so brutal auf und nieder gezerrt, dass seine wild rudernden Arme den herannahenden Retter mit Wucht zur Seite stießen.

Joseph Lovelittles Gesichtshaut wurde in blutigen Fetzen über die Wand geschrammt, wo sie sich in Windeseile abscheuerte. Dann drang der sandige Mörtel durch die letzten Hautfetzen in das darunterliegende Fleisch und das Mauerwerk verwandelte sich in ein Gemälde aus grellroten, glänzenden Blutflecken.

Die grau-weißen Hände zerrten ihn von rechts nach links, von links nach rechts, immer und immer wieder. Ein Auge wurde aus dem Schädel des alten Mannes gerissen; ein blasses, farbloses Auge. Es hing einen Moment lang mit dem klebrigen Sehnerv an der Mauer und starrte auf surrealistische Weise nach unten. Doch dann fiel es plötzlich zu Boden und verschwand zwischen den verstreuten Kleiderbügeln.

Jack wich zurück, erst langsam und dann zunehmend schneller. Joseph Lovelittle schrie immer noch, versuchte nach wie vor, sich an der Wand festzukrallen, damit ihn die Hände nicht weiter über die Mauer schaben konnten. Doch Jack erkannte schnell, dass es hoffnungslos war und nichts gab, was er für den Wachmann tun konnte.

»Jack!«, brüllte Karen aus der Halle. Sie musste sich vorher schon bemerkbar gemacht haben, doch über Lovelittles Schmerzensschreie und das schreckliche Kohlschaben seines Kopfes an der Wand hinweg hatte er sie nicht gehört.

Jack war fast schon bei der Treppe angelangt, als Joseph Lovelittle den markerschütterndsten Schrei von allen ausstieß. Er klang in diesem Moment nicht einmal mehr wie ein Mensch. Die erbarmungslosen Hände schleiften ihn durch die komplette Kellerwand, zerfetzten seine Strickjacke, kratzten das fette, weiße, hervortretende Fleisch seines Bauchs auf, zerrissen seine Cordhose und verschmierten die Kalksteinmauer mit einer anderthalb Meter dicken Blutspur.

»Jack!«, schrie Karen. »Jack, was ist da unten bei euch los? Jack, um Gottes willen!«

Vor Angst hyperventilierend schwankte Jack so schnell er konnte auf den Treppenstufen nach oben. Als er dort angelangt war, hatte Joseph Lovelittle aufgehört zu schreien. Jack sah nicht mehr zurück. Er hechtete aus der Kellertür und kam in der Mitte der Halle zwischen den beiden blinden Statuen zum Stehen. Er schwankte wie ein Mann, der kurz vor dem Kollaps stand.

Karen hatte neben dem Durchgang zur Lounge Position bezogen, um jederzeit wegrennen zu können, wenn es nötig war. Er drehte sich zu ihr um und starrte sie an.

»Jack?«, flüsterte sie. »Jack, was ist passiert?«

Jack konnte lediglich den Kopf schütteln und den Mund wie ein Fisch auf- und zuschnappen lassen.

F Ü N F

Jack fischte eine Miniflasche Jack Daniel’s aus dem Handschuhfach seines Wagens. Er trank einen Schluck, hustete und gab sie dann an Karen weiter.

»Nein, danke«, lehnte sie sein Angebot ab. »Mir ist echt schon schlecht genug.«

»Wir müssen die Polizei alarmieren«, sagte Jack. Er konnte seine Stimme kaum unter Kontrolle halten. Sein Gehirn fühlte sich an, als ob es bei einer rasanten Achterbahnfahrt Schaden genommen hätte. »Uns bleibt keine andere Wahl.«

»Okay«, stimmte Karen zu, während sie sich einen neuen Kaugummi in den Mund schob. »Wenn du das wirklich willst.«

»Na ja, was bleibt uns schon anderes übrig, verdammt noch mal? Da unten im Keller ist etwas, das Menschen jagt und erbarmungslos tötet.«

»Klar«, antwortete Karen. Ihre Stimme klang auffallend neutral. »Etwas, das aus massivem Beton herausspringt.«

»Karen – die Polizei wird doch selbst sehen können, was passiert ist.«

»Aber sicher doch.«

»Er wurde an der Wand hochgezogen, Liebling, und dann daran entlanggeschleift, bis er in Fetzen zerschreddert war, Herrgott noch mal.«

Karen beobachtete ihn aus zusammengekniffenen Augen. Der Regen prasselte auf die Windschutzscheibe und die verbeulte Motorhaube des Electra. Karens Make-up war verwischt und hatte unter ihren Augen dunkle Ränder gebildet. Zum ersten Mal, seit er sie kannte, fand er, dass sie alt aussah.

»Was glaubst du, was die Beamten zu der ganzen Sache sagen werden?«, fragte sie ihn. »Vor allem dazu, dass Lovelittle gegen die Wand geraspelt wurde?«

»Die Beweise sind doch da, Karen. Die Leiche. Alles. Sie müssen doch einfach nur auf die Wand schauen.«

»Und du meinst, sie glauben dir, wenn du ihnen erzählst, dass ihn etwas auf dem Gewissen hat, das sich in der Mauer versteckt hält?«

»Worauf willst du hinaus?«

»Sie werden also nicht unterstellen, dass du es warst, der ihn getötet hat?«

Jack nahm einen weiteren Schluck Jack Daniel’s. Inzwischen befand sich nur noch ein winziger Rest in der Flasche. Er zögerte kurz und leerte sie dann komplett.

»Ach komm …«, sagte Jack. »Ich denke schon, dass die Polizei mit Logik an die Sache herangeht.« Er schraubte die leere Flasche zu und legte sie ins Handschuhfach zurück. »Sie müssen mich ja bloß ansehen, um zu erkennen, dass ich nicht stark genug wäre, um einen Mann von Lovelittles Größe eine 60 Meter lange Wand entlangzuschleifen. Und selbst, wenn ich vorgehabt hätte, ihn zu töten, warum ausgerechnet auf diese Weise? Ich hätte ihn ja schließlich genauso gut erschießen oder mit einem Baseballschläger erschlagen können. Ich bin ja kein Verrückter.«

»Tja, vielleicht bin ich wirklich einfach voreingenommen«, bemerkte Karen.

Sie saßen eine Weile schweigend im Auto. Von The Oaks war hier nichts außer einem nebligen Umriss hinter den Eichenbäumen zu sehen.