Jack senkte einen Moment lang den Kopf. Daniel Bufo nippte an seiner Tasse und wartete auf eine Reaktion.
Schließlich antwortete Jack: »Entweder Sie stellen den Kontakt zu den Eigentümern her oder das Geschäft ist geplatzt.«
»Wie bitte?«
»Sie haben mich schon verstanden. Ich will jetzt sofort Adresse und Telefonnummer der Besitzer oder wir blasen die ganze Sache ab.«
»Mr. Reed, Sie bringen mich damit in eine ausgesprochen schwierige Situation. Ich muss die Privatsphäre meiner Klienten wahren. Sie haben den ausdrücklichen Wunsch geäußert, diesen Verkauf nur mithilfe von Anwälten und nicht von Angesicht zu Angesicht abzuschließen.«
Jack stand auf. »Okay, das war’s. Vergessen Sie’s. Was mich angeht, gibt es keinen Immobilienverkauf mehr.«
»Mr. Reed, bitte glauben Sie mir, die Eigentümer möchten Ihnen sehr gerne das Grundstück verkaufen. Der Preis passt ihnen auch und sie freuen sich über Ihren Entschluss, das ursprüngliche Gebäude zu erhalten und in ein Ferienressort zu verwandeln. Sie unterstützen diesen Plan ausdrücklich! Aber wenn mich ein Kunde darum bittet, seine Privatsphäre zu wahren – nun, was bleibt mir denn da anderes übrig? Es gibt im Immobiliengeschäft einen Ehrenkodex, wissen Sie? Es ist fast so, als ob ich ein Arzt wäre.«
»Dann aber wohl eindeutig ein Proktologe!«, konterte Jack und öffnete die Tür. Daniel Bufo sprang auf, um ihm zu folgen, doch Jack hob abwehrend die Hand.
»Falls Ihre Klienten die Meinung doch noch ändern sollten, erreichen Sie mich im Howard-Johnson’s-Motel an der Route 94.« Er griff in seine Manteltasche und warf Daniel Bufo ein Zündholzheftchen zu. »Da steht die Nummer drauf.«
»Mr. Reed, ich glaube wirklich nicht …«
»Mr. Bufo, ich brauche ganz dringend Informationen. Es geht um Leben und Tod. Fragen Sie Ihre so auf Privatsphäre bedachten Klienten doch wenigstens mal, ob sie sich vorstellen könnten, mich zu treffen. Ob sie es zumindest in Erwägung ziehen würden, okay?«
Er zog die Tür hinter sich zu und ließ einen ausgesprochen nachdenklichen Daniel Bufo wie einen frustrierten Dreikäsehoch vor seiner Tasse Schokolade zurück.
Seine nächste Station war das Archiv der Madison Times. Der Verlag war in einem unansehnlichen Betongebäude untergebracht, das sich in unmittelbarer Nachbarschaft einiger halbseidener Ersatzteilhändler und Chinarestaurants befand. Jack brachte den Großteil des Nachmittags in einem winzigen Hinterzimmer zu, um sich durch die Zeitungen von 1926 zu wühlen. Das Mikrofilm-Archiv reichte lediglich bis 1943 zurück.
Eine ältere Dame in einer schwarzen Wolljacke und einem grauen Rock war damit beschäftigt, Zeitungsausschnitte aufzukleben. Sie gackerte und schnaufte jedes Mal, wenn er einen neuen Band aus dem Regal zog. Das Zimmer roch nach modrigem Papier und Alte-Damen-Parfüm. Der Regen prasselte gegen das einzige Fenster und Jack wurde langsam von Müdigkeit übermannt.
»Essen Sie eigentlich nie?«, wollte die alte Dame gegen 14:00 Uhr von ihm wissen.
Jack versuchte zu lächeln. »Es gibt Wichtigeres im Leben als Essen.«
Schließlich entdeckte er in einem Sammelband mit kaputtem Rücken, auf dem ein Zettel mit dem Vermerk »Bitte neu binden!« klebte, die Ausgaben der Madison Times aus dem Juni 1926. Er legte sie auf den Tisch und studierte sie in aller Gründlichkeit – Seite für Seite, Spalte für Spalte.
Doch auch nach einer geschlagenen Stunde hatte er nirgendwo eine Meldung über The Oaks oder Dr. Estergomy gefunden.
Er lehnte sich zurück und ließ den Band frustriert zuklappen.
Da erkundigte sich die alte Jungfer bei ihm: »Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?« Es war inzwischen fast 16:00 Uhr.
Jack schüttelte den Kopf. »Da drin steht wirklich alles Mögliche. Babywettbewerbe, Heiratsanzeigen, wer gestorben ist und wer nicht. Ich hätte nur gedacht – ach, ich weiß auch nicht.«
Sie sah ihn durch ihre verschmierten Brillengläser an. »Nach was genau haben Sie denn gesucht? Um welches Jahr geht es denn?«
»1926.«
»1926 lebte ich schon hier in Madison. Mein Vater war Professor für Geschichte an der Universität. Douglas Manfield, vielleicht haben Sie schon von ihm gehört. Er hat ein berühmtes Standardwerk über etruskische Inschriften verfasst.«
Sie stand auf, ging zu ihm hinüber und streckte ihm die Hand entgegen. »Helena Manfield«, stellte sie sich vor.
Jack erhob sich von seinem Stuhl und gab ihr die Hand. »Jack Reed.«
»Sie sind nicht von hier?«
»Nein, aus Milwaukee. Reed Muffler & Tire. Es gibt fünf Läden in der Stadt.«
Helena Manfield ließ sich auf der Kante seines Schreibtischs nieder. Trotz ihres Alters wirkte sie dabei graziös wie eine Tänzerin. Ihr graues Haar hielt sie mit einer schwarzen Samtschleife zusammen und obwohl ihre Haut mit Falten überzogen war, musste sie einmal wunderschön gewesen sein. Irgendwie fühlte sich Jack an Katharine Hepburn erinnert, wenn er sie ansah.
»Warum wühlt sich ein Werkstattbesitzer hier in Madison durch die Zeitungen von 1926?«
»Ich habe nach Artikeln über The Oaks gesucht. Es ist ein Pflegeheim in der Nähe des Lake Wisconsin.«
»Ich kenne The Oaks. Oder besser: Ich kenne die Geschichte von The Oaks.«
»Wirklich? Die scheint fast niemand zu kennen. Und wenn doch, dann rückt er nicht mit der Sprache raus.«
»Na ja, weil es ein Irrenhaus und kein Pflegeheim war, deshalb. Viele der Ortsansässigen waren strikt dagegen, als sie von den Plänen erfuhren. Aber letzten Endes wurde es dann ja sowieso geschlossen.«
»Das weiß ich«, sagte Jack. »Ich will wissen, weshalb es geschlossen wurde und unter welchen Umständen.«
Helena Manfield legte fragend den Kopf auf die Seite.
»Wissen Sie, ich hatte vor, das Anwesen zu kaufen. Mein Plan war, das Gebäude in ein Luxushotel umzubauen. Deshalb wollte ich etwas mehr über seine Geschichte erfahren«, klärte Jack sie auf.
Helena Manfield dachte eine Weile nach, während sie den Diamantring an ihrem linken Finger musterte. Dann sagte sie übertrieben höflich: »Bitte verzeihen Sie mir, Mr. Reed, wenn ich neugierig erscheine. Doch ich habe den Eindruck, dass Sie sich mit einem Eifer durch die Aufzeichnungen gewühlt haben, der geschäftliches Interesse weit übersteigt.«
Jack lächelte schief. »Ist das so offensichtlich?«
»Na ja … Sie haben fast den ganzen Nachmittag hier verbracht, ohne etwas zu essen. Sie sehen etwas ungepflegt aus für jemanden, der ein Luxushotel kaufen will, muss ich sagen. Und außer sich. Bitte entschuldigen Sie meine offenen Worte.«
»Miss Manfield …«, begann Jack. »Wissen Sie zufällig, wer die Eigentümer von The Oaks sind?«
»Aber sicher. Ich kenne die Eigentümerin seit Jahren, schon seit sie hierhergekommen ist. Olive Estergomy. Sie war die Mittlere der drei Estergomy-Schwestern.«
»Und das sind sicherlich die Töchter von Dr. Estergomy, dem früheren Besitzer von The Oaks?«
»Das stimmt. Wunderschöne Mädchen, alle drei. Alice, Olive und Lucy. Bildhübsch! Aber ihre Mutter war ja schließlich auch ausgesprochen gut aussehend.«
»Wissen Sie zufällig, warum Dr. Estergomy The Oaks so plötzlich geschlossen hat?«, erkundigte sich Jack.
Helena Manfield schüttelte den Kopf. »Das weiß niemand so genau. Es dauerte viele Monate, bis wir davon erfuhren. Es kam erst heraus, als einer der Ladenbesitzer im Ort sich verplapperte und jemandem erzählte, dass die Estergomys all ihre Lieferungen abbestellt hatten.«
Sie stand auf und ging zu dem Tisch zurück, an dem sie beschäftigt gewesen war. »Die Estergomys kehrten der Gegend zu dieser Zeit den Rücken. Die einzige von ihnen, die jemals zurückkehrte, war Olive. Sie hielt sich bedeckt, wenn ich mich bei ihr nach The Oaks erkundigte. Und über ihre Familie sprach sie auch nicht gern. Irgendwann sah ich ein, dass sie das Thema nervös machte, also ließ ich sie damit in Ruhe. Aber es war trotzdem traurig. Früher einmal waren die Estergomys sehr gute Freunde von uns gewesen. Mein Vater und Dr. Estergomy verstanden sich prächtig. Doch als sie weggingen, hielten sie es nicht einmal für nötig, sich von uns zu verabschieden.«