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Maggie konnte ihn natürlich nicht zurückrufen, weil sie nicht wusste, wo er sich gerade befand. Doch er wäre jede Wette eingegangen, dass sein Telefon zu Hause klingelte und klingelte und wahrscheinlich die ganze Nacht weiterklingeln würde. So war Maggie.

Er rief Daniel Bufo an, doch der hatte auch schon Feierabend.

Jack bestellte sich ein Steak und eine Flasche Rotwein aufs Zimmer und schaute mit dem Teller auf dem Schoß eine Folge der Bill Cosby Show. Es war das erste Mal, dass er dabei kein einziges Mal lachen konnte.

Er wusste nicht genau, wann er eingeschlafen war, doch er schreckte um kurz nach 22 Uhr auf und seine Kehle fühlte sich wie ausgetrocknet an. Sein halb aufgegessenes Steak lag auf dem Teller neben ihm auf dem Bett. Er rieb sich die Augen und setzte sich auf. So ging das nicht weiter. Er musste dringend mal ein paar Stunden richtig schlafen! Jack zog sich aus, putzte sich die Zähne, schaltete den Fernseher aus und kletterte wieder ins Bett.

Dann lag er schier endlos wach, starrte an die Decke und dachte an die Menschen, die mit ihren eigenen amputierten Fingern Kaspertheater spielten, und an Männer, die versuchten, Frauen auf so abscheuliche Art umzubringen, dass man es kaum mit Worten beschreiben konnte.

Jack dachte an Lester, das Gesicht auf der Statue. Lester kam einem immer so normal vor. Er dachte an Quintus Miller.

Es war fast drei Uhr morgens, als er sich einbildete, in seinem Zimmer ein Geräusch zu hören. Er hob den Kopf vom Kissen und starrte stirnrunzelnd in die Dunkelheit. Ihn umfing die absolute Stille der Nacht. Der Verkehr auf der 94 reduzierte sich zu dieser Zeit auf einen gelegentlichen Lastwagen, der in der Ferne vorbeirauschte. Im Motel war alles still.

Doch da war es wieder. Sssssschhhhhhh – sssssschhhhhhh – sssssschhhhhhh: genau wie das Geräusch in den Wänden von The Oaks.

Jack lief es eiskalt den Rücken hinunter. Vorsichtig hob er die Decke an und schob sich so leise er konnte seitwärts über das Bett. Doch das schleifende Geräusch war immer noch da – und es kam unaufhaltsam näher.

Sssssschhhhh – sssssschhhhh – sssssschhhhhh.

Jack erstarrte und versuchte, den Atem anzuhalten. Vielleicht würde man ihn auf diese Weise nicht bemerken. In der Hoffnung, dass das Schleifen verstummen würde, schloss er die Augen, öffnete sie dann aber direkt wieder, weil er vermeiden wollte, dass sich der Eindringling unbemerkt an ihn heranpirschte.

Bitte, Gott, mach, dass es wieder verschwindet.

Da sah er, wie sich etwas Dunkles neben dem Bett erhob. Es war der braune Teppich in seinem Zimmer, in Form eines Jungen. Es war Randy, der da aus dem Boden kam.

Jack ließ sich zurück aufs Bett fallen und starrte ihn entsetzt an.

»Randy?«, vergewisserte er sich fast tonlos. »Randy?«

Der Priester, Daddy. Wir wollen den Priester.

»Randy – bist du das? Randy!«

Bring uns den Priester. Wir brauchen ihn. Wir wollen ihm die Finger abhacken und seine Knochen abnagen.

Vor Furcht fast gelähmt fasste Jack mit beiden Händen nach den Teppichschultern seines Sohnes.

Du solltest mich nicht anfassen, Daddy. Du weißt nicht, was dann passiert.

»Randy, mein Gott, du fehlst mir so!«

Jack versuchte, seinen Sohn hochzuheben und aus dem Teppich zu ziehen. Doch da fiel Randys Teppichkopf ab und kugelte schwerfällig über das Bett. Eiskaltes Blut triefte aus seinem Hals und durchnässte die Laken.

Jack schrie und schrie. Er war starr vor Angst.

Er schrie so laut, dass er davon aufwachte. Tatsächlich glich es eher einem Krächzen. Er hatte um sich geschlagen und dabei das Glas Wasser neben seinem Bett umgeworfen. Die Feuchtigkeit breitete sich auf der Matratze aus. Es gab keinen enthaupteten Randy, der schwankend neben seinem Bett stand, und es lag auch kein Teppichkopf auf der Decke. Es war 06:10 Uhr, regnete immer noch, wurde aber langsam hell.

Jack blieb noch fünf Minuten lang auf dem Rücken liegen, um wieder zur Ruhe zu kommen. Er musste mindestens drei Stunden geschlafen haben und fühlte sich schon wesentlich besser. Er hatte noch nie viel Schlaf gebraucht. Schließlich erhob er sich aus dem Bett und rief den Zimmerservice, um Toast und Kaffee zu bestellen.

Jack zog die Vorhänge auf. Regentropfen bedeckten die Fensterscheiben. Hinter dem Parkplatz des Motels konnte er Lastwagen erspähen, die durch das Spritzwasser brausten, um ihre Fracht nach La Crosse, Eau Claire, Duluth oder nach Südosten Richtung Chicago zu bringen.

Heute würde er sich Randy zurückholen. Das schwor er sich. Koste es, was es wolle. Sobald die Abenddämmerung hereinbrach, würde er seinen Sohn sicher in seinen Armen wiegen.

Während er seinen Kaffee schlürfte, blätterte er das Telefonbuch durch. Es gab 22 Einträge unter dem Namen Bell, aber keinen einzigen in Portage. Immerhin fand er die Nummer für den Anschluss der Saint-Ignatius-Kirche. Als er dort anrief, meldete sich niemand. Aber hier in der Provinz konnte man wohl auch kaum damit rechnen, dass sich jemand bereits um sechs Uhr morgens hinter das Telefon klemmte. Die beste Lösung war wohl, einfach hinzufahren. Es waren ja nur knapp 30 Meilen bis dorthin.

Der Regen war schuld daran, dass er doch über eine Stunde benötigte, um Portage zu erreichen. Als er auf den teilweise rissigen Betonparkplatz vor St. Ignatius einbog, waren seine Augen müde vom konzentrierten Dauerstarren durch die regennasse Scheibe, sein Hals ganz steif und sein Rücken fühlte sich an, als hätte ihn jemand in einen Schraubstock eingespannt.

Jack stellte den Motor ab, löste den Gurt und streckte sich.

St. Ignatius war eine kleine Kirche am südlichen Rand von Portage, ein unscheinbares graues Betonziegelgebäude mit einem Dach aus Wellblech. Seitlich davon befand sich ein Holzlager und auf der anderen Seite eine Tankstelle. Die Kirche konnte einen Turm mit einer einzelnen Glocke sowie eine bogenförmige Holztür mit Fenstern aus Buntglas vorweisen, doch sonst hätte man sie ohne Weiteres mit einem Schuppen verwechseln können, in dem man Malerarbeiten verrichtete oder ein Boot aufbewahrte.

Jack stieg aus dem Wagen und eilte mit aufgestelltem Kragen über die betonierte Einfahrt. Er wollte gerade die Stufen zur Tür erklimmen, als eine Stimme ertönte: »Niemand da! Hey, Mister! Niemand da!«

»Was?«, fragte Jack, während er innehielt. Ein pickliger Teenager mit einer riesigen blonden Schmalztolle lehnte sich aus dem Kassenhäuschen der Tankstelle.

»Niemand da!«, wiederholte er, als Jack näher kam.

Der Junge verstummte, als ihm dämmerte, dass Jack möglicherweise einfach nur zur St. Ignatius gekommen war, um zu beten. »Na ja«, fügte er hinzu. »außer vielleicht Gott selbst.«

»Ich suche einen Priester«, verriet ihm Jack.

Der Kassierer schnaubte. »Pater Dermot, das ist Ihr Mann. Aber der ist heute nicht da.«

»Ich suche einen Pater Bell.«

»Pater Bell? Von dem hab ich noch nie etwas gehört. Sind Sie sicher, dass Sie die richtige Kirche erwischt haben?«

Jack nickte. »Pater Bell war der Priester, der vor dem Krieg hier gepredigt hat.«

»Mein Vater war im Krieg im 4. Marineinfanterie-Regiment.«

»Ich meine den Krieg zwei Kriege davor.«

»Hä?«, machte der Junge verwirrt und rümpfte die Nase.