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Jack passierte die Tür, die einst zur Küche geführt haben musste. Der blaue Anstrich war längst abgeblättert. Er presste die Stirn gegen die Fenster und konnte eine riesige altmodische Küchenzeile und zwei geräumige Spülbecken mit nach oben ragenden Wasserhähnen ausmachen. An der Wand stand ein Schrank mit Glastüren, hinter denen sich noch immer flache Teller und Tassen stapelten.

Wie unheimlich! Es sah aus, als hätte jemand das Haus mit seinem kompletten Inventar überstürzt zurückgelassen – Möbel, Geschirr, Teppiche, alles war noch da! Auf dem Fensterbrett der Küche stand sogar eine gläserne Blumenvase mit einem Strauß vertrockneter Chrysanthemen darin.

Jack erreichte die Rückseite des Gebäudes. Über die gesamte Länge erstreckte sich ein mit schmiedeeisernen Gittern eingefasstes Gewächshaus. Das Metall schien völlig verrostet zu sein und Dutzende Scheiben waren zerbrochen. Auf dem Glasdach lag eine dicke Schicht aus Blättern und Erde. Vom Anbau führten Steinstufen in einen überwucherten Garten, durch den sich ein kleeblattförmiger Kiesweg wand. Die Blumenbeete waren verwahrlost, Unkraut hatte das Regiment übernommen. Eine Rosenpergola in der Mitte des Gartens war teilweise in sich zusammengefallen. Hinter den abgestorbenen Pflanzungen erhob sich das Gelände in mehreren terrassenförmig angelegten Stufen zum Wald hin. Ein Teilstück im Westen war als Tennisplatz angelegt worden. Daneben befand sich ein von Fliesen umgebenes Schwimmbecken.

Jack lief am Gewächshaus vorbei bis zum Tennisplatz. Der elende, kalte Sprühregen blies ihm durch das Tal entgegen. Jack schirmte mit den Händen das Gesicht ab, um seine Augen vor dem Wasser zu schützen. Fast fünf Minuten stand er einfach nur da und starrte in die Ferne. An einem Sommertag wäre der Blick auf den Wald sicher atemberaubend.

Über die nasse, grasbedeckte Böschung kämpfte er sich zu den Courts vor. Die verwitterten Tennisnetze hingen durch. In ihnen hatten sich Vögel verfangen und waren zu vertrockneten Kadavern erstarrt. Aber der rote Asphalt befand sich noch in erstaunlich guter Verfassung. Es würde nicht viel Arbeit bedeuten, den Platz wieder bespielbar zu machen.

Er näherte sich dem Schwimmbecken. Es war weiß gekachelt und am Rand befanden sich versiffte braune Weinrebenmuster aus der Zeit Eduards VII. Der Pool war zu gut einem Viertel angefüllt mit schwärzlich-grünem Wasser. Etwas schwamm direkt unter der Oberfläche, formlos und vage. Er versuchte es mit seinem Stock zu berühren, aber es war zu weit weg. Es wippte, tanzte und drehte sich im Wasser. Es konnte alles Mögliche sein.

Also irgendwie hat der Laden echt eine Menge Potenzial, dachte Jack, als er sich wieder aufrichtete und die Rückseite des Gebäudes in Augenschein nahm. Ein schönes Anwesen, größtenteils intakt. Eine umwerfende Lage. Ausreichend Platz für Sportanlagen. Wenn man es clever anstellt, könnte man das Areal zur schönsten Ferienanlage im gesamten Mittleren Westen aufpeppen.

Gemächlich schlenderte er über den Tennisplatz zurück zum Eingang des Haupthauses. In seinem Kopf formte sich eine Idee. Eine Geschäftsidee. Ein Traum von einer Karriere. Eine Vision, die ihn aus den Fängen der Stadt und seinem langweiligen Arbeitsalltag bei Reed Muffler & Tire befreien würde. Eine Idee, die Freiheit, Erfüllung, Prestige und Spaß versprach – alles auf einen Schlag.

Wenn das Gebäude schon so lange verwaist war, dann ganz offensichtlich deshalb, weil sich niemand dafür interessierte oder niemand das unglaubliche Potenzial erkannte, das darin schlummerte. Er konnte es bestimmt für – was? – eine halbe Million Dollar kaufen? 300.000? Vielleicht sogar weniger. Sein Kumpel Morris Tucker von der Bank in Menomonee Falls würde ihm sicher gerne bei der Finanzierung behilflich sein. Die beiden kannten sich aus dem Wisconsin Business College und hatten dort 1967 gemeinsam ihren Abschluss gemacht. Drei- oder viermal trafen sie sich in jedem Sommer und gingen zusammen zum Angeln an die Whitefish Bay. Dabei trugen sie labbrige Sonnenhüte, schlürften Sixpacks mit Pabst Blue Ribbon und ließen sich vom Gettoblaster mit den Beatles die Ohren zudröhnen.

Klar, er würde Millionen benötigen, um das Gebäude nach internationalen Hotelstandards zu restaurieren. Aber wenn Morris ihm das richtige Finanzierungspaket zusammenstellen konnte – tja, es war ein Mordsrisiko. Ein Mordsrisiko. Doch was hatte er schon zu verlieren, selbst wenn alles in die Binsen ging? Ein Haus in einem Vorort von Milwaukee, einen zerbeulten Kombi und eine schrecklich vorhersehbare Zukunft, in der er anderen Leuten die defekten Schalldämpfer ihrer Autos austauschte. Es wäre kein Verlust, sondern eine Befreiung, selbst wenn alles vor die Hunde ging und er am Ende einen langweiligen Bürojob annehmen musste.

Jack erreichte die Kieselauffahrt, lief auf das Haus zu und streifte mit der Hand das nasse Mauerwerk. Jedem Menschen eröffnet sich einmal im Leben, und zwar wirklich nur einmal, eine unglaubliche Chance. Jack war sich ganz sicher, dass in der Entdeckung dieses Hauses seine große Chance lag. So musste es einfach sein. Wenn ich nur an die merkwürdige Art und Weise denke, wie ich hierher geführt wurde. Von einer weggewehten Zeitung, die aussah wie ein rennendes Kind. Wenn das nicht Schicksal ist, meine Fresse, dann weiß ich’s auch nicht …

Er konnte es ganz deutlich vor sich sehen. Das restaurierte Anwesen, die Wege sorgfältig gesäubert, strahlender Sonnenschein und elegant gekleidete Pärchen, die im umgebauten Gewächshaus eine elegante Cocktailparty feierten. Helikopter landeten auf der Terrasse und brachten Gäste direkt aus Chicago oder Milwaukee hierher. Ein Squashplatz, ein Glasdach für den Swimmingpool und hinten am Waldrand durfte natürlich eine schmucke Golfanlage nicht fehlen.

Er würde die Anlage Merrimac Court Country Club taufen. Eigentümer und Geschäftsführer John T. Reed junior. Das klang doch gut.

Langsam entfernte er sich vom Gebäude, rieb sich die Hände und schniefte vor Kälte. Sobald er nach Hause kam, würde er herausfinden, wem das Anwesen gehörte und wie viel er dafür verlangte. Dann würde er alles prüfen lassen, nur um sicherzugehen, dass es nicht irgendwelche verdeckten Mängel gab, deren Reparatur massive Folgekosten nach sich zog. Komm schon, sei mal vernünftig und denk logisch. Lass dich nicht von deiner eigenen Begeisterung überwältigen.

Doch Jack wusste, dass es kein Zurück gab. Sein Leben war schon jetzt dabei, sich völlig zu verändern. Selbst wenn man dieses Anwesen nicht mehr restaurieren konnte, würde er sich ein anderes suchen, bei dem es möglich war, und seinen eigenen Country Club eröffnen, so oder so, selbst wenn es ihn Kopf und Kragen kostete.

Er gönnte dem Grundstück einen ausgiebigen letzten Blick und versuchte, es sich vollständig instand gesetzt vorzustellen. Da erblickte er hoch oben auf dem Dach ein Gesicht in einem der Gaubenfenster. Ein kleines, blasses Gesicht, wie das eines Kindes.

Jack stand einfach nur da, starrte zum Fenster und blinzelte sich den Regen aus dem Gesicht. Ihm war unheimlich kalt und er fühlte sich matt und erschöpft. Aber er hatte es sich nicht eingebildet, sondern ganz deutlich gesehen, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde: Ein Kind hatte von dort oben zu ihm heruntergeschaut.

Er wusste nicht genau, was er jetzt tun sollte. Es musste sich um dasselbe Kind handeln, das er bereits vorhin auf der Straße gesehen hatte, das Kind, das ihn hierher geführt hatte. Die Zeitung am Zaun war wohl lediglich ein Zufall gewesen. Aber selbst wenn sich dort oben ein Kind aufhielt, was sollte er bitteschön unternehmen? Es war schließlich nicht sein Haus und er war auch nicht der Vater. Vielleicht sollte er die örtliche Polizeidienststelle anrufen und sie darüber in Kenntnis setzen, falls der Dreikäsehoch irgendwo ausgebüxt oder vor einer realen oder eingebildeten Gefahr geflüchtet war. Aber damit hätte er seine Bürgerpflicht dann wirklich mehr als zur Genüge erfüllt.