Выбрать главу

»Was meinen Sie damit, verpflichtet?«, wollte Jack wissen. »Er ist noch ein Kind!«

»Sie kennen sie nicht, Mr. Reed. Sie kennen sie nicht so gut wie ich.«

»Versuchen Sie mir gerade zu erklären, dass Sie mir Ihre Unterstützung verweigern wollen? Sie sind 88, mein Sohn ist 9. Zählt das überhaupt nicht? Er hat noch sein ganzes Leben vor sich!«

Ohne Vorwarnung klammerte sich Pater Bell an die Lehnen seines Sessels, wand sich von einer Seite zur anderen und bellte heiser: »Ich habe schreckliche Angst, Mr. Reed! Ich habe Todesangst! Mein Gott, wissen Sie, um was Sie mich da bitten? Sie sind verrückt! Sie sind verrückt! Sie sind fast schon so verrückt wie sie!«

Jack stand auf, ging durchs Zimmer und beugte sich über den alten Mann. Pater Bell sah zu ihm auf, mied dann aber hastig seinen Blick. Mit mühsam erzwungener Geduld sagte Jack: »Es tut Ihnen doch nicht weh, wenn Sie mir einfach nur davon berichten.«

»Ah, nein. Aber wenn sie es herausfinden …«

»Sie werden es nicht herausfinden. Wie zum Teufel sollten sie auch?«

Pater Bell schüttelte den Kopf. »Sie werden es wissen. Sie werden es spüren! Niemand außer mir weiß, was damals vorgefallen ist. Einer von ihnen hat es mir gebeichtet. Deshalb konnte ich es auch der Polizei nicht verraten. Es ist der Grund, weshalb ich meine Priesterschaft aufgegeben habe. Ich musste mit ansehen, wie der arme Elmer Estergomy vom Staat an den Pranger gestellt und seine ganze Familie in den Ruin getrieben wurde. Und ich konnte nichts zu seiner Verteidigung vorbringen, weil ich dann das Beichtgeheimnis verletzt hätte.«

»Verdammt, Pater Bell, Sie müssen es mir jetzt erzählen«, forderte Jack den ehemaligen Priester unwirsch auf. »Denn, bei Gott, wenn Sie es nicht tun, wird mein Sohn von diesen Irren umgebracht und dann werde ich Sie töten. Das verspreche ich, so wahr ich hier vor Ihnen stehe!«

Niemals zuvor hatte Jack jemanden derart bedroht und auf ihn wirkten seine eigenen Worte fast ebenso furchteinflößend wie auf Pater Bell. Doch als der alte Mann flüsterte: »Sie werden sie nicht freilassen, oder? Egal was passiert, Sie werden sie nicht freilassen?«, wusste er, dass Pater Bell ihm verraten würde, was er wissen musste.

Jack zog seinen Stuhl etwas näher heran und setzte sich wieder. »Der Patient, dem Sie damals die Beichte abgenommen haben, war das vielleicht Quintus Miller?«

»Woher wissen Sie das?« Pater Bells Stimme bebte vor Angst.

»Nur geraten. Essie Estergomy erzählte mir, dass er vermutlich der Härteste und auch der Intelligenteste der ganzen Gruppe war.«

»Ja, das war er eindeutig. Quintus Miller, mein Gott. Er war ein außergewöhnlicher Mann. Klein, aber ziemlich breit, unheimlich muskulös. Er sah aus wie ein Bodybuilder. Sein Hals war so dick wie der eines Stiers! Schwarzes, streng zurückgekämmtes Haar mit einem sorgfältig gezogenen Mittelscheitel. Das war damals gerade modern. Gesichtszüge hart wie Stein. Ein stechender Blick, völlig ausdruckslose Augen ohne jede Spur von Mitleid. Und ein Tattoo auf der Brust, wie Sie noch nie eins gesehen haben. Zwei tätowierte Hände, die von hinten nach ihm zu greifen schienen und dabei seinen Bauch weit aufrissen. Seine Eingeweide waren in Rot, Gelb und Blau tätowiert; sein Magen, seine Leber, seine Gedärme. Mir fuhr es eiskalt den Rücken runter, wenn ich es angesehen habe.«

Pater Bell atmete durch ein Nasenloch pfeifend aus. »Es war die Art, wie er seine eigene Sterblichkeit zur Schau stellte, die mich so sehr verängstigte. Es gibt nichts, was so furchteinflößend ist wie der Umgang mit einem Mann, der sich nicht darum schert, ob er lebendig oder tot ist. Es gab in The Oaks so einige von ihnen, sowohl Männer als auch Frauen, doch sie waren in der Regel eher selbstzerstörerisch. Keiner von ihnen weckte ein solches Gefühl der Furcht in mir wie Quintus Miller. Man konnte spüren, dass er alles Erdenkliche unternehmen würde, um so viele Menschen wie möglich mit in den Abgrund zu ziehen, wenn seine letzte Stunde einmal geschlagen hatte. Der Mann besaß die Moralvorstellungen eines Hammerhais.«

Jack schwieg für eine Weile, um Pater Bell Gelegenheit zu geben, sich wieder zu beruhigen. Dann forderte er ihn auf: »Sagen Sie mir, was Quintus Miller Ihnen gebeichtet hat.«

»Er legte viele Beichten ab. Zwei Jahre lang fast jede Woche. Ich warnte Dr. Estergomy einige Male, dass ich Quintus für hochgradig gefährlich hielt. Doch natürlich war das Dr. Estergomy längst bewusst. Schließlich bemühte er sich ja darum, ihn zu resozialisieren.

Es brachte einen ziemlich aus dem Gleichgewicht, wenn man Quintus zuhörte. Er machte zunächst einen so vernünftigen Eindruck, bis man plötzlich erkannte, dass er einem den scheußlichsten, von Wahnvorstellungen untermalten, absurdesten Unsinn erzählte. Während der Beichte gestand er mir belanglose Sünden wie das Stehlen von Süßigkeiten von anderen Patienten, Masturbieren, Lügen oder Gotteslästerung. Dann berichtete er im gleichen Atemzug, wie er die anderen Patienten gequält hatte, indem er ihnen die Finger brach oder ihre Hoden mit der Faust zerquetschte. Ihm fehlte das moralische Empfinden. Eine Zigarette auf dem Augenlid eines anderen auszudrücken war für Quintus Miller nicht schlimmer als der Diebstahl eines Schokoriegels.

Er hat sogar versucht, eine Patientin umzubringen, wussten Sie das? Er ging mit bloßen Händen auf sie los. Doch da er schon lebenslänglich erhalten hatte und das Gericht ihn als unzurechnungsfähig eingestuft hatte, war das Schlimmste, was sie ihm antun konnten, eine isolierte Unterbringung.«

Pater Bell zögerte und fuhr dann fort. »Nach einem Jahr in The Oaks fing Quintus plötzlich an, über Freiheit zu reden und dass er einen Ausbruch plante. Als ich nachhakte, gestand er mir, dass er eine Fluchtmöglichkeit gefunden hatte. Ich wies Dr. Estergomy an, die Gebäudesicherheit überprüfen zu lassen, doch er versicherte mir, selbst dem willensstärksten Patienten würde es nicht gelingen, aus The Oaks zu entkommen. Damals war das gesamte Gelände noch von einem drei Meter hohen Stacheldrahtzaun umgeben.

Dennoch hörte Quintus nicht auf mit seinem Gerede von Flucht. Er sagte, dass er etwas am Gebäude entdeckt hätte, das ihm dabei behilflich sein würde. Er faselte ständig von einem Labyrinth und von etwas, das er ›Erdmagie‹ nannte. Er war so besessen von der Vorstellung, dass ich die Pfleger manchmal bitten musste, ihn zurück auf sein Zimmer zu bringen, weil seine Tiraden manchmal bis zu einer halben Stunde andauerten.«

»Und dennoch glaubten Sie nicht, dass er wirklich entkommen könnte?«, wollte Jack wissen.

Pater Bell schüttelte den Kopf. »Ich glaubte nicht an diese sogenannte ›Erdmagie‹.«

»Und was meinte er mit ›Erdmagie‹? Hat er Ihnen das erklärt?«

»Ich wusste es schon vorher«, gestand Pater Bell. »Erdmagie ist die Magie der Urzeit, die Magie der Druiden. Heidnische Priester sind der Überzeugung, dass der Erde selbst spirituelle Kräfte innewohnen. Sie glauben, dass sich diese Energien an mystischen Stätten, die auf der ganzen Welt verteilt sind, besonders stark bündeln. In Großbritannien etwa in Stonehenge und Glastonbury. Hier in den Vereinigten Staaten haben wir Mystery Hill in New Hampshire, Gungywamp in Connecticut und die Stadt North Salem im Bundesstaat New York und – ach, es gibt noch etliche andere.«

»Zum Beispiel The Oaks, Wisconsin«, mutmaßte Jack.

Pater Bell nickte. »All diese magischen Orte sind dem Glauben zufolge durch ein Netz kerzengerader Linien miteinander verbunden. Man spricht auch von Leylinien. Quintus erklärte mir, dass man The Oaks absichtlich genau auf dem Kreuzungspunkt einiger dieser Linien errichtet habe. Dass es sich dabei um das Epizentrum der Erdmagie auf dem nordamerikanischen Kontinent handele.«

Jack dachte einen Moment lang nach und lehnte sich im Stuhl zurück. »Daraus schließe ich, dass … wie hieß der Kerl noch gleich? … dass sich dieser Bierkönig Adolf Krüger auch mit Erdmagie auskannte?«