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»Mit ziemlicher Sicherheit«, bestätigte Pater Bell. »Es kann sich kaum um Zufall handeln, dass er The Oaks genau an der Stelle erbaut hat. Ich habe mir oft den Kopf darüber zerbrochen, wie Quintus Miller überhaupt etwas von Erdmagie wissen konnte. Er wollte es mir natürlich nicht verraten. Die einzige logische Erklärung schien mir, dass er ein Buch in Adolf Krügers Bibliothek entdeckt haben musste. Ich weiß nicht, ob Ihnen das bereits jemand erzählt hat, doch Krüger selbst hat das Haus unter sehr mysteriösen Umständen verlassen.«

»Aber wie zum Teufel konnte sich Quintus Miller Erdmagie für seine Flucht zunutze machen?«, fragte Jack.

Pater Bell beobachtete eine Weile, wie der Regen am Fenster hinabtropfte. Dann sagte er: »Damals, als er es mir erzählte, klang es wie das Gebrabbel eines Wahnsinnigen, weshalb ich nur mit halbem Ohr hinhörte. Doch ich erinnere mich noch gut daran, dass er das Gebäude selbst einmal als Schlüssel zur Unterwelt bezeichnete. Es sei ein Labyrinth, behauptete er, und wenn er dessen Mittelpunkt fand, an dem die Leylinien zusammenliefen und die vier Elemente des Universums sich vereinten, dann bekäme er Zugang zu diesen Linien und könnte entkommen, als ob er eine Landstraße entlangliefe. Das waren seine exakten Worte damals: ›Als ob man eine Landstraße entlangläuft‹.«

Jack fragte weiter: »Mich interessiert noch etwas. Wie kommt es, dass Sie sich in der Nacht, als alle verschwanden, in The Oaks aufhielten?«

»Das war eigentlich Zufall«, antwortete Pater Bell. »Ich rief Dr. Estergomy um etwa 19 Uhr an, um ihm mitzuteilen, dass ich am kommenden Sonntag etwas später kommen würde, weil ich einige der Kinder der Sonntagsschule zu einem Picknick fahren musste. Er sagte: ›Sie werden es nicht glauben, Pater, aber sie sind alle weg.‹ Nun, ich erinnerte mich sofort an das, was Quintus Miller mir erzählt hatte, also setzte ich mich ins Auto und fuhr hin.«

Etwas leiser fuhr er fort: »Was ich dort zu Gesicht bekam, beunruhigte mich ungemein. Die Zimmer der Patienten waren allesamt abgeschlossen, die Fenster immer noch verriegelt, und trotzdem war kein Einziger von ihnen zu sehen. Sie können sich vielleicht vorstellen, wie mir zumute war. Doch in meiner Bestürzung erinnerte ich mich an das, was Quintus mir erzählt hatte; dass das Gebäude ein Labyrinth sei – und dass er sein Zentrum finden müsse, bevor er mittels einer Leylinie daraus entkommen konnte. Ich betete, dass ihm und seinen Anhängern das noch nicht gelungen war.

Ich lief nach draußen, umrundete das Haus, weihte die Grenzlinie des Grundstücks und besprengte sie mit Weihwasser, während ich ein Gebet sprach, um böse Geister fernzuhalten. Ich war gerade damit fertig, als ich ein Geräusch hörte, ein schreckliches Schleifen wie von Hunderten Barfüßiger, die unter der Erde auf mich zuschlurften.

Sie waren es, die Insassen von The Oaks – und sie flüchteten, davon war ich überzeugt. Ich hatte schreckliche Angst. Doch das Schlurfen hörte abrupt auf, als sie den heiligen Bannkreis, den ich um das Gebäude gezogen hatte, erreichten. Es war mir zwar nicht gelungen, sie an ihrer Flucht zu hindern, doch ich konnte sie zumindest davon abhalten, das Anwesen zu verlassen.

Aus dem Boden erscholl ein Heulen, das mich bis zum heutigen Tag in meinen Albträumen verfolgt. Dazu erklang ein Trommeln von Fäusten gegen die Erde, bumm-ba-bumm-ba-bumm-ba-bumm, wie bei einem Erdbeben.«

Der alte Mann atmete mit einem ähnlichen Schnaufen wie der Dobermann von Joseph Lovelittle tief ein. »Ich rechnete damit, dass die Patienten nach einer Weile in ihre Zimmer zurückkehren würden, wenn sie erst erkannten, dass sie nicht entkommen konnten. Doch sie kehrten nie zurück. Vielleicht konnten sie das Labyrinth lediglich betreten und nicht wieder verlassen. Nachdem einige Wochen verstrichen waren, ging ich davon aus, dass keiner von ihnen überlebt hatte. Ein weiterer Grund für mich, das Priesteramt niederzulegen. Ich war der festen Überzeugung, für den Tod von 137 hilflosen Menschen verantwortlich zu sein, was schwer auf meinem Gewissen lastete.«

»Und was ist mit dem Kreis, dem heiligen Bannkreis? Ist der noch da?«, wollte Jack wissen.

»Natürlich ist er das. Und das wird er auch bleiben. Er kann ausschließlich von dem Priester aufgelöst werden, der ihn geschaffen hat, oder von drei Kardinälen gemeinsam.«

»Und Sie würden nicht im Traum daran denken, das zu tun?«

Pater Bell starrte ihn an. »Wenn ich Quintus Miller und den Rest dieser Kreaturen auf die Welt loslassen würde – so durchgedreht, wie sie schon immer gewesen sind, so rachsüchtig und verbittert, wie sie jetzt sein müssen – nun, das wäre völlig unverantwortlich. Damit würde ich mich wohl der Beihilfe zu einem Massaker schuldig machen.«

Die Tür ging auf und eine sommersprossige Schwester steckte ihren Kopf hinein. »Bereit fürs Abendessen, Billy?«

Pater Bell sah auf. »Was gibt’s denn heute?«

»Fischfrikadellen.«

»Verdammt, ich hasse Fischfrikadellen.«

»Lassen Sie sich nicht zu lange Zeit damit«, antwortete die Pflegerin fröhlich und schloss die Tür hinter sich.

»Billy, ist das Ihr Name?«, erkundigte sich Jack.

Pater Bells Mund verzog sich zu einem zynischen Lächeln.

»Mein Vater fand es wohl besonders witzig, seinen Sohn Bill Bell zu nennen. Das war die Art von Scherz, die sich Eltern damals mit ihren Kindern erlaubten. Nicht dass sie heutzutage wesentlich besser dran wären, wenn sie sich mit Namen wie Wentworth oder Chevy herumschlagen müssen.«

»Möchten Sie mit mir etwas essen gehen?«, fragte ihn Jack. »Ich habe den ganzen Tag noch nichts Ordentliches in den Bauch bekommen. Es muss hier in Green Bay doch ein paar anständige Restaurants geben?«

»Warum sollten Sie einen 88-jährigen Mann zum Essen ausführen wollen?«, erkundigte sich Pater Bell misstrauisch.

»Weil ich Hunger habe. Und weil ich es hasse, alleine zu essen. Und weil ich mehr über The Oaks erfahren will. Brauchen Sie noch weitere Gründe? Außerdem schmeckt Hummer bestimmt deutlich besser als Fischfrikadellen.«

Zum ersten Mal lächelte Pater Bell. »Sie sind ganz schön stur, Mr. Reed.«

»Das wären Sie auch, wenn Ihr Sohn mit Quintus Miller in einer Wand gefangen wäre.«

Pater Bell öffnete die Augen. »Wo sind wir?«, wollte er wissen, während er sich aufrecht hinsetzte. »Ich muss eine Weile weggedöst sein.«

Jack zog den Autoschlüssel aus der Zündung. »Ich habe mich entschlossen, die Route mit der besseren Aussicht zu nehmen«, antwortete er müde.

Pater Bell wischte mit der Hand über die beschlagene Fensterscheibe.

»Wo um alles in der Welt sind wir? Das ist nicht Green Bay!«

»Nein, da haben Sie recht, das ist es nicht. Wir sind in The Oaks.«

Pater Bell starrte ihn empört an. »The Oaks? Sie besitzen die Unverfrorenheit, mit mir einfach den ganzen gottverdammten Weg nach The Oaks zu fahren?«

»Sie sind eingeschlafen nach dem ganzen Hummer und Chablis. Ich bin einfach mal davon ausgegangen, dass Sie nichts dagegen haben.«

»Sind Sie wahnsinnig? Sind Sie absolut übergeschnappt? Sie haben mich gekidnappt, um Himmels willen! Lassen Sie mich sofort hier raus!«

Jack entriegelte die Tür des Kombis. »Nur zu! Es schüttet wie aus Eimern, es ist 03:30 Uhr morgens und wir befinden uns zehn Meilen von der nächsten menschlichen Siedlung entfernt. Einen Regenmantel haben Sie auch nicht dabei, wenn ich mich recht erinnere. Mal ganz davon abgesehen, dass Sie 88 Jahre alt sind und an einer Schleimbeutelreizung leiden.«

»Woher wissen Sie das?«, fragte Pater Bell gereizt.

»Das haben Sie mir beim Abendessen erzählt. Beim Abendessen haben Sie mir sehr viel über sich erzählt.«

»Das können Sie nicht tun«, protestierte Pater Bell. »Sie haben kein Recht dazu.«