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»Lester, du hast verlangt, dass ich dir den Priester bringe. Nun, hier ist er!«

Immer noch keine Antwort. Pater Bell packte Jack am Ärmel und flüsterte nervös. »Sie haben es von Ihnen verlangt? Das haben Sie mir aber verschwiegen!«

»Wären Sie mitgekommen, wenn ich es Ihnen gesagt hätte?«

»Macht das einen Unterschied? Sie haben mich ohnehin gegen meinen Willen hergebracht.«

Jack hielt sich eine Hand wie einen Trichter vor den Mund und rief: »Lester! Lester, wo bist du?«

In diesem Moment flog die Kellertür auf und ein großer schwarzer Umriss raste auf sie zu.

Pater Bell schrie: »Herrgott!«, während Jack viel zu erschrocken war, um überhaupt etwas zu sagen.

Doch fast im gleichen Moment erkannte er, dass es sich bei der Erscheinung um Boy, den Dobermann von Joseph Lovelittle, handelte. Seine gelben Augen glühten und starrten in den Strahl der Taschenlampe. Aus seinen Lefzen quoll weißer Schaum hervor.

Das Tier hatte sie fast schon erreicht, als es abrupt abbremste. Seine Pfoten schlitterten über den Marmorboden. Es stieß einen gequälten Schrei aus. Jack hatte noch nie einen Hund schreien hören und der Laut erschütterte ihn bis ins Mark.

Eine kräftige, marmorweiße Hand war aus dem Boden geschnellt und hatte den Hund an einer Pfote gepackt. Langsam zog sie das Tier mit Gewalt in die Tiefe. Boy bellte, jaulte und scharrte verzweifelt auf den Fliesen, doch die Hand versank langsam im Marmor und riss ihn mit sich.

Jack drückte Pater Bell seine Maglite in die Hand, rannte zu dem sich windenden Hund und unternahm den Versuch, ihn zu retten. Beim ersten Anlauf zerkratzte ihm Boy noch mit den Krallen die Hand. Dann griff Jack erneut nach ihm und bekam ihn zu fassen.

»Domine sancte, Pater omnipotens, aeterne Deus …«, murmelte Pater Bell, während er sich in einem fort bekreuzigte.

Jack zog so fest er konnte an dem Dobermann. Er merkte, wie sich dessen Muskeln vor lauter Schmerzen und Angst verkrampften und er ihm beinahe das Rückgrat ausgerenkt hätte. Die Hand, die aus dem Boden ragte, besaß eine ungeheure Kraft. Jack konnte lediglich den verzweifelten Versuch unternehmen, nicht lockerzulassen, als der geschmeidige Körper des Hundes in den Untergrund gezogen wurde.

»Ab insidiis diaboli, libera nos, Domine!«, schrie Pater Bell in frommer Verzweiflung. Doch seine Gebete wurden nicht erhört, denn Boy sackte zunehmend tiefer in den Boden hinein.

Schließlich verschwand der Kopf des Tiers unter der Oberfläche. Sein Mund stand offen und die Augen quollen hervor. Er stieß ein letztes keuchendes Bellen aus. Dann war er verschwunden und der Boden lag glatt und unberührt vor ihnen wie vor dem grausamen Spektakel.

»Per Dominum nostrum Iesum Christum Filium tuum, qui tecum uiuit, et regnat in unitate Spiritus sancti Deus, per omnia saecula saeculorum, amen«, flüsterte Pater Bell. Vergeblich.

»Eine Warnung«, bemerkte Jack schaudernd. »Ich könnte schwören, dass es eine Warnung war. Macht keinen Unsinn, das wollten sie uns damit sagen, sonst wird etwas ganz Ähnliches auch mit euch passieren.«

Jack trat zurück. In diesem Moment drang ein Gurgeln und Schmatzen aus dem Boden vor ihm. Aus dem Marmor quollen die Überreste des Hundes hervor. Gräuliches Fleisch, Eingeweide in allen Farben des Regenbogens, Streifen abgerissener Haut. Ein einzelnes abgetrenntes Bein, dessen noch immer aktive Nerven dafür sorgten, dass es zitterte und unkoordiniert um sich trat.

Und irgendwo im Haus erscholl von weit her und doch deutlich der Klang eine Liedes:

Lavendelblau, dideldei;

Lavendel, hier gehör ich hin.

Hier bin ich König, dideldei;

Und du wirst Königin.

»Quintus Miller«, keuchte Pater Bell.

S I E B E N

Sie stiegen die Treppe hinauf. Pater Bell musste auf halber Höhe eine kleine Pause einlegen und Jack wartete geduldig, bis der alte Mann wieder zu Atem kam.

»Ich werde Ihnen Quintus’ Zimmer zeigen«, erklärte Pater Bell, als sie ihren Aufstieg fortsetzten. »Nachdem er diese Frau fast umgebracht hätte, war es immer verschlossen und er durfte nur für die Turnstunden herausgelassen werden. Und natürlich für die Therapiesitzungen mit Dr. Estergomy.«

»Dr. Estergomy hat ihn nach dem Vorfall weiterhin behandelt?«, erkundigte sich Jack.

Pater Bell räusperte seinen verschleimten Hals. »Oh ja, er brach die Therapie nicht ab. Elmer Estergomy vertrat die Auffassung, dass sich selbst das gestörteste Hirn heilen lasse. Ich war ein Priester, das wissen Sie ja. Ein Priester, den man als Exorzisten ausgebildet hatte – und ich vertrat eine völlig andere Meinung. Ich habe hier ein paar schreckliche Dinge erlebt, Mr. Reed. Ich sah Männer und Frauen, die der Herr ganz offensichtlich für immer aufgegeben hatte und denen nach ihrem Tode nichts weiter blieb als das ewige Fegefeuer. Die Hölle auf Erden und die Hölle im Jenseits.«

Sie schritten durch den Ostkorridor, bis sie das dritte Fenster erreichten. Pater Bell hielt an und lauschte. Im Gang war es schwül und stickig. Aus der Ferne konnten sie immer noch ganz schwach das Lavendelblau, dideldei … hören, leise und spöttisch wie eine unangenehme Erinnerung. Pater Bell sagte: »Er sang immer dieses Lied, immer und immer wieder, und er änderte stets die letzte Zeile in Hier bin ich König ab. Ich schätze mal, das war er in gewisser Weise auch. Es gab niemanden in The Oaks, der stärker oder entschlossener als Quintus Miller gewesen wäre.«

Er hob die Hand, als ob er etwas weihen wollte. Vor ihnen stand eine der Türen offen. Sie war wie alle anderen cremefarben lackiert, aber – wahrscheinlich durch Fußtritte – deutlich verbeulter und zerkratzter.

»Das war Quintus Millers Zimmer«, flüsterte Pater Bell. Er schien fast ein wenig erleichtert zu sein, es wiederzusehen. So als hätte er sein ganzes Leben lang damit gerechnet, eines Tages hierhin zurückzukehren.

Zumindest war das Warten vorbei.

»Die Tür war beim letzten Mal abgeschlossen. Ich habe sie alle überprüft«, stellte Jack fest.

Pater Bell sah ihn fast spöttisch von der Seite an. Dann stieß er die Tür auf, sodass sie einen Blick in Quintus Millers Zimmer werfen konnten.

Es gab keine Möbel, nur eine Matratze und eine heruntergekommene Toilette. Im Zimmer roch es säuerlich, faulig und irgendwie nach Unheil. Jack wollte gar nicht erst hineingehen.

»Dort! An der Wand!«, rief Pater Bell aus.

In der Dunkelheit erkannte Jack, dass ein riesengroßer sechszackiger Stern an der Wand prangte. Die bräunliche Farbe weckte bei ihm Assoziationen zu Brombeersaft, Blut oder Exkrementen.

»Was ist denn das?«, erkundigte er sich mit einem angewiderten Gesichtsausdruck. »Ein Davidstern?«

Pater Bell näherte sich der Wand. »Nicht ganz. Es ist Salomons Hexagramm, ohne Zweifel das mächtigste Symbol des Okkultismus, sogar noch mächtiger als das Kreuz. Im heidnischen Kult ist es von großer Bedeutung, genauso wie im Juden- und im Christentum. Es wirkt auf den ersten Blick wie ein Stern, doch eigentlich handelt es sich um zwei übereinandergelegte Dreiecke. Das erste zeigt nach oben – sehen Sie? – und steht für Feuer und Luft. Das zweite symbolisiert Erde und Wasser.

Dort, wo sich die Dreiecke überlappen, verbinden sie sich zur Gesamtheit der uralten Macht, dem fünften Element, der sogenannten Quintessenz. Ich gehe davon aus, dass sich Quintus dieser Kräfte bediente, um in die Wand zu gelangen.«

»Quintus? Quintessenz? Sie meinen, das ist kein Zufall?«, fragte Jack ihn.