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»Ich mach’s!«, schrie Pater Bell. »Gordon! Gordon! Aaaahhhhhhhh, Gordon! Gordon, ich mach’s! Aaaaahhhhh! Gordon! Bitte, Gordon, ich tue es! Ich tue es ja!«

Sofort erstickte das Feuer, obwohl Pater Bells geschwärzte Finger noch immer schwelten wie Holzkohle und eine dichte Rauchwolke in der Luft hing. Jack ging wieder in Quintus Millers Zimmer zurück und sah, dass Pater Bell vor Schmerzen und Angst zitterte. Blut troff ihm aus den Mundwinkeln, weil er sich seine Zunge vor lauter Panik halb durchgebissen hatte. Die rote Flüssigkeit rann an der vor Alter labbrigen Haut herunter.

Jack legte einen Arm um Pater Bells Schultern. Er fühlte sich hilflos, wütend und verspürte massive Übelkeit. Pater Bells Augen waren glasig. Der Schmerz in seinen Händen und Armen schien so heftig, dass er immer wieder kurz das Bewusstsein verlor.

In einer Ecke des Zimmers kochte und blubberte der Gips wie heißer Schlamm. Der Umriss eines Mannes erschien in einer Ecke. Ein kleiner, dünner Mann, bis auf einen Schal um den Hals völlig nackt. Er betrachtete Pater Bell aus seinen weißen Gipsaugen. Auf seiner Miene zeichnete sich eine merkwürdige, irrwitzige Art von Mitleid ab.

Pater Bell keuchte. »Die Schmerzen – die Schmerzen, ich kann sie nicht länger ertragen.«

Jack wandte sich an die nackte Gestalt in der Ecke.

»Komm schon, bei Jesus und allen Heiligen, lass ihn aus der Wand raus.«

Jesus litt mehr, erklärte die Gestalt mit dem Schal, ohne den Blick von Pater Bell abzuwenden. Zumindest ist es das, was ihr Heiden einem immer wieder weismachen wollt.

Jack atmete tief durch. »Dann eben um der Menschlichkeit willen, lass ihn gehen.«

Wenn wir gehen, geht er auch. So lautet die Vereinbarung.

Jack hielt Pater Bell fest. »Pater Bell? Können Sie mich hören? Nicken Sie einfach, falls ja. Sie müssen den Bann jetzt lösen. Sie müssen die Beschwörungsformel sprechen.«

Pater Bell nickte. Dann trat eine längere Pause ein, in der er seine blutleeren Lippen befeuchtete, anschließend flüsterte er:

»Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes … Ich erkläre hiermit, dass dieser Ort, den ich geweiht und beschützt habe …«

Er zögerte und leckte sich über die Lippen, lehnte den Kopf an die Wand. »Ich kann es nicht tun«, sagte er. »Ich darf es nicht.«

Willst du noch mal das Feuer spüren?, erkundigte sich die Gestalt in der Ecke. Willst du, dass wir sie dir diesmal bis hinauf zum Handgelenk verbrennen?

»Pater Bell«, bedrängte ihn Jack, während er ihn noch fester packte, seine knochigen Schultern unter dem Mantel spürte. »Pater Bell, Sie müssen es tun. Es gibt keine andere Möglichkeit.«

Pater Bell nahm einen zittrigen Atemzug. Dann fuhr er fort. »Dieser Ort, den ich gegen die dunklen und teuflischen Mächte geweiht und vor denen ich ihn beschützt habe … möge hiermit entweiht werden und wieder den natürlichen Zustand der Schöpfung annehmen …«

Als er die Worte sprach, konnte Jack ein Schieben und Scharren im Haus spüren, als ob mehrere Tausend Kakerlaken in den Wänden aufgescheucht wurden. Die Gestalt mit dem Schal lächelte langsam und triumphierend.

»… und er möge vom Schutz seiner heiligen Vertreter entbunden werden …«

Das Schieben und Scharren wurde lauter. Wie das Geräusch einer großen, schweigenden Menschenmenge, die sich einem einzigen Ausgang nähert. Dann noch intensiver, überall um sie herum. Sssssschhhhh – sssssschhhhhh – sssssschhhhhh. Ein penetranter Laut wie von einem Betonmischer, der menschliche Moleküle aufwirbelte, die sich schleppend durch unnachgiebigen Stein bewegten. Die jahrzehntelang eingesperrten Insassen von The Oaks machten sich durch das Wandlabyrinth auf den Weg zurück zu dem uralten und schrecklichen Ort, an dem die mystischen Leylinien sich vereinten und alle vier Elemente zu einer Quintessenz verschmolzen.

»… für immer und ewig …«

Pater Bell beendete seine Rezitation. Sein Gesicht war feucht von Tränen und Schweiß. »Das war’s«, brachte er mühsam hervor. »Das war alles.« Doch kaum hatte er das gesagt, hörte das Schlurfen im Gebäude unerwartet auf. Jack trat einen Schritt von Pater Bell weg und lauschte mit erhobenem Kopf.

»Was ist?«, fragte er den gipsweißen Mann in der Ecke. »Warum ist es so still geworden?«

Wir sitzen immer noch in der Falle. Die Leylinien sind noch nicht geöffnet.

»Pater Bell?«, sagte Jack, doch dieser stöhnte lediglich.

Die Entweihung ist noch nicht vollendet, verkündete die Stimme in der Wand.

»Was meinst du damit? Er hat die Formel doch vollständig gesprochen, oder etwa nicht?«

Die Brachlandlinien sind noch nicht offen, beharrte die Gestalt. Wir sind nach wie vor Gefangene.

»Pater Bell?«, wiederholte Jack. »Pater Bell – Sie müssen etwas ausgelassen haben. Die Patienten sind immer noch im Haus gefangen. Pater Bell!«

Der Kopf des früheren Geistlichen rollte auf seinen Schultern hin und her. Er war nur halb bei Bewusstsein. Jack schüttelte ihn und wiederholte: »Pater Bell! Kommen Sie zu sich! Sie müssen etwas vergessen haben!«

Pater Bell starrte Jack aus trüben Augen an. »Ich muss – mich bekreuzigen.«

Jack wandte sich wieder an die Gestalt mit dem Schal. »Ihr müsst seine Hände freigeben! Er muss sich bekreuzigen, sonst werdet ihr niemals entkommen!«

Er muss sich bekreuzigen?

»So ist es, du hast schon richtig verstanden. Er muss das Zeichen des Kreuzes in die Luft machen, kapiert? Mit seiner Hand, du Dummbatz. Sonst Zauber nix wirke-wirke.«

Die Gestalt öffnete und schloss ihre puderweißen Augen wie eine Wüstenechse. Dann wölbte sich die Wand in der Zimmerecke und der Mann verschwand. Wahrscheinlich wollte er sich mit Quintus Miller beratschlagen, vermutete Jack, als er ihn mit einem eiligen Ssssschhhh-Geräusch durch das Mauerwerk rauschen hörte.

Jack wartete und stützte Pater Bells schlaffen Körper, so gut er konnte. Auch er war am Ende seiner Kräfte, sowohl geistig als auch körperlich. Ob es ihm wirklich gelingen konnte, diesen Albtraum zu beenden? Und was, wenn nicht? Würde er mit der Schuld leben können? Wie sehr er sich doch wünschte, Pater Bell aus dieser Wand herauszubekommen und Randy zu retten!

»Hilda?«, fragte Pater Bell im Schockzustand. »Bist du es, meine liebe Hilda?«

»Es ist alles gut«, versuchte Jack ihn zu beruhigen. »Hilda kommt gleich.«

Jack wartete fast fünf Minuten. Pater Bell mochte ausgemergelt sein, aber er besaß große, schwere Knochen, was dazu führte, dass Jacks Rücken aufgrund der Anstrengung, den alten Mann zu stützen, allmählich zu schmerzen begann.

»Herrgott noch mal!«, schrie er in Richtung Wand. »Lasst ihr ihn nun frei oder nicht?«

Er erhielt seine Antwort augenblicklich, wenn auch nicht wie erwartet.

Mit einem malmenden Geräusch, das an einen Fleischwolf erinnerte, wurden Pater Bells Arme dort abgeschnitten, wo sie die Wand berührten. Sein Körper sackte zu Boden – Jack schaffe es nicht, ihn rechtzeitig aufzufangen. Blut strömte am Ellenbogen aus dem Körper des alten Mannes. Jack sprang zurück, aber er war schon über und über mit klebrigem Rot besudelt. In dieser Sekunde schossen zwei blasse Hände so schnell wie Klapperschlangen aus der Wand, ergriffen Pater Bells blutenden rechten Armstumpf und bewegten ihn in einer höhnischen Parodie der Bekreuzigung in sämtliche Richtungen. Domine sancte, pater omnipotens, aeterne Deus.

Blut spritzte durch das Zimmer. Für einen Augenblick hing das blutige Symbol, das Pater Bell mit seinem verstümmelten Ellenbogen gezeichnet hatte, in der Luft wie bei einem Gartenschlauch, der statt mit Wasser mit geronnenem Blut eine Acht in die Luft malte. Dann war alles rot – der Boden, die Wände, die Decke – und Pater Bell rollte ohne einen Laut durch das Zimmer, während seine beschädigten Arme steif vor seinem Körper herunterbaumelten. Das Geräusch klang hohl und trommelnd.