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Als er die Tür erreichte, war er bereits tot.

Jack stand da und hielt sprachlos vor Schock seine eigenen blutigen Hände von sich gestreckt.

»Herrgott im Himmel, was habe ich nur getan?«, hörte er sich selbst sagen, doch der Stress hatte ihn fast taub gemacht.

Er kniete sich neben Pater Bells reglosen Körper. Der ehemalige Priester lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden. Seine Augen standen offen – sie starrten ins Nichts. Jack hatte nicht einmal die Nerven, ihm die Lider zu schließen. Allmächtiger Gott, er war noch warm!

Jack sah sich im Zimmer um. Blut lief die Wände hinunter und klatschte vernehmlich auf den Boden. Die Luft roch nach einem gerade eingetretenen Tod, wie in einem Schlachthaus.

»Ihr habt versprochen, mir meinen Sohn zurückzugeben!«, sagte er ohne große Hoffnung.

Es kam keine Antwort. Nur der Regen und das langsame, zähflüssige Tropfen von Pater Bells Blut waren zu hören. Jack stand auf und atmete ein paarmal tief durch. Zum ersten Mal, seit er der grau-weißen Gestalt in das Tal nach The Oaks gefolgt war, wurde ihm bewusst, dass man ihn zum Narren hielt. Quintus Miller hatte ihn hergelockt und er hatte ihn indirekt auch dazu getrieben, zu Olive Estergomy zu gehen, die ihn dann auf Pater Bells Spur ansetzte.

An diesem allerersten Tag, als ihm die grau-weiße Gestalt vors Auto gelaufen war, musste Quintus Miller irgendwie gespürt haben, dass er seines bisherigen Lebens überdrüssig war, und hatte ihn deshalb an diesen Ort gelockt. Den Rest erledigten dann Angst, Schmeichelei, Erpressung und Gewalt. Das war Quintus Millers Art. So überzeugend konnte nur ein wahrer Verrückter sein!

Jack schrie die kahlen Wände an: »Ich will meinen Sohn zurück. Hört ihr mich, ihr verdammten Irren? Ich will meinen Sohn zurück! Ich will ihn zurück! Ihr habt es versprochen! Gebt ihn mir wieder!«

Es folgte ein lang gezogenes Schweigen. Dann dehnte sich die Wand aus und die Hälfte eines Frauenkörpers mit langem, gelocktem Haar erschien im Profil. Ihre Augen waren geschlossen und blieben es auch.

Quintus wird sein Versprechen halten. Das tut er immer. Ihre Stimme klang wie eine kleine Glocke, die durch den Nebel eines Sonntagmorgens drang.

»Ich will meinen Sohn jetzt!«, erklärte Jack.

Quintus wird dir dein Kind zurückgeben, sobald er frei ist.

»Quintus ist schon frei. Ihr seid alle frei. Los, öffne deine Augen! Schau dir die Leiche hier an! Das ist ein Mann, ein unschuldiger Mann! Ihr habt einen unschuldigen Mann gefoltert und getötet!«

Die Stimme der Frau klang kalt, als sie erklärte: Pater Bell war niemals unschuldig. Du hättest sehen müssen, was er einigen der Patientinnen angetan hat. Besonders den jüngeren. Sie waren erst zwölf oder dreizehn Jahre alt und konnten sich noch nicht wehren. Es gibt keinen Grund, um Pater Bell zu trauern.

»Hör mir mal gut zu«, echauffierte sich Jack. »Mir ist scheißegal, was 1926 vorgefallen ist. Quintus Miller interessiert mich einen feuchten Kehricht und für dich gilt das Gleiche. Ich will meinen Sohn zurück, mehr nicht. Ich will ihn hier bei mir haben, und zwar sofort. So lautete die Abmachung. Verstanden? Das war die verdammte Abmachung!«

Die junge Frau drehte ihren Kopf in Jacks Richtung, aber sie hielt die Augen weiter geschlossen. Sie wäre wunderschön gewesen, hätte ihre Stirn nicht ganz so weit vorgestanden. Und etwas an ihrem Mund kam ihm seltsam vor. Ihr Unterkiefer hing schlaff herab.

Quintus wird dir dein Kind zurückgeben, sobald er frei ist.

»Ich hab’s dir doch schon gesagt, verdammte Axt! Er ist bereits frei!«

Die junge Frau lächelte humorlos. Er ist nicht mehr an dieses Gebäude gebunden, das stimmt. Doch er kann sich noch nicht von der Erde lösen.

»Das verstehe ich nicht.«

Es braucht ein besonderes Opfer, um seine irdischen Fesseln zu lösen.

»Ach ja? Willst du damit etwa andeuten, dass er zwar durch die Wände und den Untergrund aus The Oaks entkommen kann, hinterher aber trotzdem noch im Boden festhängt?«

Ein spezielles Opfer ist notwendig, erklärte die junge Frau ihm. Nur so kann die Schuld beglichen werden.

Jack versuchte, die Augen von Pater Bell abzuwenden. Er bemerkte, dass dessen Blut noch immer an seinen Schuhsohlen klebte. Leise sagte er: »Ich will, dass du Quintus Miller sofort eine Nachricht von mir überbringst, verstanden? Entweder lässt er meinen Sohn gehen, und zwar sofort, oder ich werde dafür sorgen, dass ihm mehr Leid widerfährt als jemals zuvor in seinem Leben. Und damit eins klar ist: Ich bin kein freigeistiger Psychiater wie Elmer Estergomy und auch kein gutherziger Padre wie Pater Bell. Ich empfinde überhaupt kein Mitleid für Quintus Miller oder für dich – nicht die Bohne. Ich werde ihm kräftig Feuer unterm Arsch machen.«

Jack hielt inne und atmete tief durch. Dann erkundigte er sich: »Was meinst du übrigens mit speziellem Opfer?«

Schulden müssen beglichen werden, Jack. Nichts ist umsonst.

»Wovon redest du? Was für ein Opfer?«, schrie er sie an.

Ein Blutopfer. Was denn sonst? 800 Leben, eins für jeden Monat unserer Gefangenschaft.

»Was faselst du da? Das ergibt keinen Sinn!«

800 Leben müssen geopfert werden, Jack. Für jedes Leben, das aus der Erde zurückkehrt, erlöschen im Gegenzug 800 andere.

Jack stand da und starrte sie an, die Hände in die Hüfte gestemmt. Er war vor Ungläubigkeit wie gelähmt. »800 Menschen müssen getötet werden? 800 Opfer für jeden Patienten, der aus der Erde herauskommen will?«

Das weiße Gesicht nickte. 800 Leben für jedes unserer Leben.

»Aber das sind – Tausende von Menschen! Ihr könnt nicht einfach Tausende Menschen töten!«

Die Götter werden uns zu keinem geringeren Preis freigeben.

Jack hielt sich die Hand vor den Mund. Er begann allmählich zu verstehen, warum Pater Bell so verzweifelt versucht hatte, Quintus Miller nicht aus seinem Gefängnis zu entlassen.

800 für jeden von uns, beschwor die junge Frau ihn. Das ist nicht zu viel verlangt.

»Also wird Quintus Miller meinen Sohn nicht ziehen lassen, ehe er 800 Menschen umgebracht hat und sich damit aus der Erde befreien kann?«

Quintus Miller ist 8000 gewöhnliche Sterbliche wert. Quintus Miller ist so viel wert wie alles Leben auf der Welt.

Jack hatte sich noch nie so machtlos gefühlt wie in diesem Moment. »Was muss ich tun?«, wollte er von der jungen Frau wissen. »Darauf warten, dass Tausende Unschuldiger sterben? Und was passiert dann?«

Du hast einen Deal abgeschlossen, Jack. Ein Deal ist ein Deal. Die Freiheit deines Sohnes für die Freiheit von Quintus Miller.

»Aber Tausende Menschen, Gott im Himmel …«

Das war die Vereinbarung, Jack. Du hast dich darauf eingelassen. Damit musst du jetzt leben.

Jack eilte die Stufen hinab und stürzte durch die Halle in die Nacht. Blitze zuckten am Horizont in Richtung Baraboo und Mirror Lake auf. Er verließ The Oaks durch das Gewächshaus und rannte über den Kiesweg bis zur Vorderseite des Hauses. Als er um die Ecke des Gebäudes bog, erschütterte ein Donnerschlag sein Trommelfell und der Regen schoss in solchen Sturzbächen aus den Wolken, dass er sich unter dem Dachvorsprung des Küchenfensters Schutz suchte.