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Die kleine Gestalt stand nicht weit entfernt, schweigend und unverletzt. Er stand da, starrte sie an und wusste instinktiv, dass sie zurückstarrte, obwohl sie kein Gesicht besaß.

Erst als er einen Klumpen rohes Fleisch aus dem Spalt unter seiner Windschutzscheibe geschabt hatte und ein Gewirr aus bernsteinfarbenen Perlen neben den Scheibenwischern entdeckte, wurde ihm klar, wessen entstellte Überreste da quer über sein Auto verteilt lagen.

Es handelte sich um die von Essie, von Olive Estergomy.

Das wiederum bedeutete, dass Quintus Miller und der Rest der Patienten ihn die ganze Zeit unterirdisch verfolgt haben mussten, während er die Straße entlangfuhr und dem Radio lauschte. Und das hieß vermutlich, dass sie in der Lage waren, ihm überallhin zu folgen.

A C H T

In der grauen Morgendämmerung erreichte er Karens Haus und parkte den Wagen. Jack stieg aus und streckte sich. Er fühlte sich, als hätte man ihn windelweich geprügelt und sein ganzer Körper sei mit blauen Flecken übersät.

Jack beugte sich über die Motorhaube und untersuchte sie sorgfältig, um sicherzugehen, dass er keine verräterischen Blutspuren übersehen hatte. Es war ihm gelungen, den Großteil von Essies sterblichen Überresten in die Böschung zu schaffen, wo ihr hoffentlich Würmer und wilde Tiere den Rest gaben. Der Regen hatte anschließend seinen Teil dazu beigetragen, die letzten Rückstände vom Auto abzuwaschen.

Er befürchtete, dass die Polizei bereits nach ihm suchte. Pater Bell war bestimmt schon von seinem Altenheim in Green Bay als vermisst gemeldet worden und auch nach Olive Estergomy würde man in ihrem Haus in Sun Prairie bald vergeblich Ausschau halten. In beiden Fällen war er derjenige gewesen, den man zuletzt in ihrer Begleitung gesehen hatte.

Jack musste viermal klingeln, bis Karen endlich die Tür öffnete. Sie trug ein schwarzes Babydoll-Nachthemd und ihre Haare waren in Lockenwickler eingedreht. In ihrem Wohnzimmer war es düster und die Luft roch abgestanden. Auf dem neumodischen Couchtisch in Form einer Malerpalette standen neben der Porzellanfigur eines weinenden Kindes eine fast leere Flasche Smirnoff-Wodka und ein mit Lippenstift verschmiertes Glas.

Karen schlang ihm die Arme um den Hals und küsste ihn. Ihr Atem stank nach Alkohol. »Ich habe mir solche Sorgen um dich gemacht«, begrüßte sie ihn.

Jack pellte sich aus seinem Mantel und setzte sich auf das weiße Kunststoffsofa. »Ich weiß nicht mehr weiter, Teufel noch mal«, verriet er ihr. »Überall Leichen, es ist entsetzlich.«

»Ich koche uns erst mal einen Kaffee«, schlug sie vor. »Dann kannst du mich auf den neuesten Stand bringen. Wozu sind Freunde schließlich da?«

Jack erzählte ihr die ganze Geschichte und bemühte sich, nicht hysterisch, sondern gefasst und vernünftig zu klingen und keine wichtigen Details auszulassen. Karen saß neben ihm und hatte ihre Hand auf seine gelegt. Der knallrote Nagellack war teilweise abgebröckelt. Gelegentlich machte sie »Hm-mm, hm-mm« oder »Hm-mm?«, doch sie unterbrach ihn nicht und stellte keine Fragen. Jack war unsicher, ob sie ihm wirklich glaubte.

»Tja, jetzt solltest du besser nicht mehr die Polizei einschalten«, riet sie ihm, als er geendet hatte. »Das wäre – na ja – fast schon Selbstmord. Als würdest du dir selbst die Kehle durchschneiden.«

»Ich weiß aber nicht, was ich sonst machen soll.«

»Jack, Schatz, konzentrier dich drauf, Randy zurückzubekommen.«

»Aber Karen, sie werden Tausende Menschen töten, Tausende im wahrsten Sinne des Wortes. Wenn sie nicht längst damit angefangen haben.«

»Jack, es ist nicht deine Schuld. Du hast getan, was du konntest.«

Doch er schüttelte den Kopf. »Es ist meine Schuld, verdammt noch mal, ja? Es ist meine Schuld, dass Joseph Lovelittle sterben musste, und ebenfalls meine Schuld, dass Pater Bell sein Leben ließ, und auch, dass es Olive Estergomy erwischt hat. Karen, es ist ganz und gar meine Schuld! Sie hätten ja niemals auch nur einen Fuß auf das Gelände gesetzt, wenn ich nicht in ihrem Leben aufgetaucht wäre.«

»Aber warum bist du dorthin gegangen? Weil Quintus Miller es so wollte. Denn wer immer dieses kleine, blasse Mädchen ist, er muss die Kontrolle über sie besitzen. Es kommt mir fast so vor, als könnte er ihre Gedanken steuern

»Das macht mich aber nicht weniger verantwortlich für das, was geschehen ist.«

»Na ja, vielleicht doch, vielleicht nicht. Aber eins sag ich dir: Um Cecil unter Kontrolle zu bekommen, musste ich erst herausfinden, wie viel stärker er war als ich. Und als ich das wusste, wurde mir bewusst, dass ich einfach klüger sein musste als er. Ich ließ einen Angestellten seiner Spedition immer dann bei mir anrufen, wenn Cecil sich mit den Jungs einen hinter die Binde kippte. In diesen Nächten hielt ich mich dann von zu Hause fern und kam selbst erst sehr spät zurück. Irgendwann wurde es ihm zu dumm, weil er niemanden mehr hatte, den er als menschlichen Sandsack missbrauchen konnte. Du kannst Quintus Miller besiegen, wenn du ihm einen Schritt voraus bist. Mensch, Jack, er ist geistesgestört. Du wirst doch wohl einen Irren übertrumpfen können?«

Jack nippte an seinem Kaffee. »Nein, ich glaube nicht.«

Karen kuschelte sich an ihn heran und meinte: »Du musst mehr über ihn herausfinden, weißt du? Wer er war, warum sie ihn eingebuchtet haben und so weiter. Finde heraus, was für eine Art Spinner er genau war, ob er vielleicht vor irgendetwas Angst hatte. Vor Spinnen oder davor, das Haus zu verlassen.«

Jack küsste sie. »Hey! Du bist gar nicht so blöd, wie du aussiehst!«, lobte er.

»Du hast mir noch nie gesagt, dass ich blöd aussehe.«

»Sorry, so hab ich das nicht gemeint. War doch nur eine Redewendung, mehr nicht.«

»So, so. Wie dem auch sei, du solltest auch mehr über diesen Hokuspokus mit der Erdmagie herausfinden«, schlug Karen vor. »Vielleicht muss dieser Quintus Miller ja nicht Hunderte von Menschen umbringen. Vielleicht ist das ja einfach eine Art Legende, wäre das nicht möglich?«

»Klar!«, pflichtete Jack bei. »Pater Bell hat mir erzählt, dass Adolf Krüger sich auch mit Erdmagie beschäftigte. Und dass Quintus Miller seine Informationen vielleicht aus Adolf Krügers Bibliothek bezogen hat.«

»Na also!«, triumphierte Karen. »Also musst du einfach nur in Adolf Krügers Bibliothek die passenden Bücher finden.«

»Bei dir klingt das alles so einfach.« Jack lächelte.

»Jack, Schätzchen, nichts ist einfach, das weißt du. Das Leben ist schließlich kein Ponyhof.«

Jack schloss die Augen. Karen strich ihm mit der Fingerspitze über die Stirn. »Mike hat sich gefragt, was aus dir geworden ist«, erzählte sie. »Ich habe ihm gesagt, dass er sich keine Sorgen machen soll, dass alles in Ordnung ist. Oh, und Maggie hat auch in der Firma angerufen. Sie plapperte die ganze Zeit irgendwas von wegen Frauenwochenende.«

Ohne die Augen zu öffnen, sagte Jack: »Ich habe Menschen sterben sehen. Zum ersten Mal in meinem Leben.«

»Du brauchst erst mal eine Mütze Schlaf«, entschied Karen.

Jack schlief drei Stunden auf der Couch. Als er aufwachte, dröhnte sein Kopf und er hatte einen fauligen Geschmack im Mund. Auf dem Wohnzimmertisch hatte Karen eine Nachricht hinterlassen: Bin auf Arbeit. Bis später!

Er öffnete die dünnen, lichtdurchlässigen Vorhänge. Es sah aus, als hätte es wenigstens aufgehört zu regnen, obwohl die Straßen immer noch nass waren. Er ging in die kleine Küche, öffnete den Kühlschrank und nahm sich ein Bier. Heineken. Karen hielt es für angesagt, Importprodukte zu kaufen. Jack öffnete die Dose, ging ins Badezimmer und drehte den Wasserhahn der Dusche auf. An die Kabine gelehnt, zog er seine Unterhose und Socken aus. Er roch nach Schweiß und nach etwas anderem: nach dem kalten, essigdurchtränkten Muff von The Oaks.