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Der schwarze Tankwart hatte sie bereits aus einer halben Meile Distanz kommen sehen: Sie liefen die von Bäumen gesäumte Straße entlang wie in der Schlussszene aus Der dritte Mann. Der einzige Unterschied war, dass Karen auf Strümpfen und in einem viel zu engen Minirock die Straße vorwärtshumpelte und kein Trevor Howard zur Stelle war, um sie mitzunehmen.

Als sie endlich die Exxon-Tankstelle erreichten, sagte der Tankwart nur: »Hi!«, erst zu Jack, dann zu Karen, und fragte anschließend: »Autopanne?«

»Wir müssen nur kurz Ihr Telefon benutzen, wenn das möglich ist«, bat Jack ihn.

»Ich kann Ihnen einen Abschleppwagen organisieren«, schlug ihm der Tankwart vor.

»Nein danke. Ein Telefon reicht. Und die Dame hier könnte ein paar vernünftige Schuhe gebrauchen, falls Sie etwas haben.«

Der Tankwart streckte seinen Unterkiefer vor und schielte auf Karens Füße. »Wir verkaufen die offizielle Fankleidung der Milwaukee Brewers. Bestimmt ist auch was in ihrer Größe dabei.«

Jack besorgte zwei Sprite aus dem Getränkeautomaten und ging zum Münzfernsprecher, während Karen sich auf der Toilette frisch machte. Er öffnete den Deckel einer Dose und trank fast die Hälfte in einem Schluck. Dann rief er bei der Auskunft an und fragte nach der Nummer der University of Wisconsin in Madison.

Man hatte ihn gerade mit dem Sekretariat verbunden, als Karen wieder auftauchte. Er musste grinsen, als sie in einem Paar Baseball-Schuhe in Größe 41 auf ihn zustakste.

»Ich finde das gar nicht witzig«, stellte sie klar, als sie die Falttür öffnete und sich neben ihm in die Telefonzelle drängte.

»Bist du für die Rückrunde ins Team aufgenommen worden?«, witzelte Jack.

Karen deutete mit dem Kopf in Richtung Telefon. »Wen rufst du an? Doch nicht etwa die Bullen, oder?«

»Aber nein. Die Universität. Wie gesagt, ich will mich mit einem Experten für Druiden unterhalten. Sie versuchen, mich zum Institut für Religionswissenschaften durchzustellen.«

»Glaubst du wirklich, dass das was bringt?«

»Es kann zumindest nichts schaden. Wir müssen wissen, auf was wir uns da eingelassen haben.«

Sie warteten fast fünf Minuten. Karen leerte in der Zeit geräuschvoll ihren Softdrink und Jack warf immer wieder Münzen nach. Endlich meldete sich eine geistesabwesende Stimme: »Institut für Religionswissenschaften?«

»Hallo!«, grüßte Jack. »Haben Sie jemanden, der sich mit Druiden auskennt? Nein, nein, Druiden. Ganz genau. Es ist dringend.«

Der Minibus-Fahrer ließ sie am Campus neben dem Lake Mendota aussteigen. Riesige Gewitterwolken brauten sich am Himmel zusammen. »Dieses Institut, das Sie suchen, befindet sich genau dort drüben, Kumpel«, erklärte ihnen der Minibus-Fahrer. Er musste Mitte 40 sein, hatte langsam ergrauendes, schulterlanges Haar und trug eine schwarze John-Lennon-Sonnenbrille sowie eine geschmacklose Batikhose. Den ganzen Weg von Waunakee bis hierher hatte er sie in ein Gespräch verwickelt. Er redete sogar irgendwie breit – typisch für Kerle wie ihn, die einfach nicht von den Doors, Jefferson Airplane oder Headshops lassen konnten. Er klang, als wäre er bekifft.

Jack verabschiedete sich von ihm: »Alles Gute und vielen Dank.«

»Peace«, rief ihm der Minibus-Fahrer hinterher.

Jack und Karen eilten Hand in Hand über den frisch gemähten Rasen. »Das ist das erste Mal seit über 25 Jahren, dass mich jemand mit ›Kumpel‹ angesprochen hat«, stellte Jack fest. Er hatte es sehr eilig, nicht weil er sich vor dem Regen fürchtete, sondern weil er sich außerhalb des Autos so schutzlos vorkam.

Karen fragte ihn: »Bringt das denn überhaupt was? Sollten wir nicht besser versuchen herauszubekommen, wohin sich dieser Quintus Miller aus dem Staub gemacht hat?«

»Schalt doch mal deinen Verstand ein«, schlug Jack ihr vor. »Wenn wir ihn finden, was machen wir dann mit ihm?«

»Na ja, können wir ihn nicht erschießen oder so? Du hast doch ein Jagdgewehr?«

»Ich glaube, du hast zu oft Rambo gesehen. Der Typ lebt im Untergrund, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Oder in Wänden und Fußböden. Wie soll man denn so jemanden erschießen?«

»Ich weiß es nicht«, gab Karen zu. Sie musste sich wirklich sputen, um mit ihm Schritt halten zu können. »Solche Unterredungen mit Dozenten … die finde ich einfach ätzend, weißt du?«

Sie passierten den geschwungenen, steinernen Torbogen mit dem Schild INSTITUT FÜR RELIGIONSWISSENSCHAFTEN und bahnten sich ihren Weg durch die schwere Drehtür. Im Gebäude war es kalt und die Luft roch abgestanden. In dem grün gestrichenen Gang lag überall Kopierpapier auf dem Boden. Jack hielt ein hageres blondes Mädchen mit Hakennase und Brille an.

»Ich suche Mr. Summers.«

»Er ist im Aufenthaltsraum direkt am Ende des Gangs«, verriet das Mädchen mit seltsam verträumter Stimme, als ob sie von Gott oder zumindest Robert Redford redete.

Jack und Karen gingen durch den Korridor und klopften an die bezeichnete Tür. Niemand antwortete. Also drückte Jack einfach die Klinke herunter und sie traten ein. Auf einem der vielen bunt zusammengewürfelten Sofas hatte ein schlaksiger Mann mit schwarzem Bart seine Füße hochgelegt. Er trug eine schlabbrige grüne Cordhose und einen zu großen braunen Sweater, rauchte Pfeife und schmökerte abwesend in einem Kochbuch.

»Mr. Summers?«, vergewisserte sich Jack.

»Der bin ich«, antwortete der Mann mit britischem Akzent, ohne zu ihm aufzusehen.

Jack streckte ihm die Hand entgegen. »Ich bin Jack Reed. Wir haben telefoniert.«

Mr. Summers musterte ihn. Seine Augen traten leicht hervor. Sie besaßen die Farbe von frisch gehäuteten weißen Trauben. »Richtig, Sie hatten angerufen. Wegen der Druiden, richtig? Weil Sie dringend etwas über Druiden erfahren wollen?«

»So ist es. Können wir reden?«

»Selbstverständlich. Auch wenn ich nicht sicher bin, ob ich Ihnen wirklich weiterhelfen kann.« Er schwang seine Füße, die in brauen Velourslederschuhen steckten, vom Sofa und stand auf. »Ich wollte herausfinden, weshalb mein Schmorfleisch immer so abscheulich schmeckt.«

»Wahrscheinlich kochen Sie es nicht lange genug«, mutmaßte Karen. »Den Fehler machen die meisten. Sie müssen es ganz langsam köcheln lassen, etliche Stunden lang, sonst wird es zu zäh und schmeckt wie Schuhsohlen.«

»Ah! Das wird vermutlich das Problem sein«, antwortete Mr. Summers. »Zu wenig Geduld! Man sollte nicht meinen, dass jemand, der sich dem Studium komparativer Religionswissenschaften verschrieben hat, ungeduldig ist, oder? Aber so ist es wohl.«

Er sah Jack stirnrunzelnd an und fragte dann: »Sie haben mich von einer Werkstatt aus angerufen, oder?«

»Aus einer Tankstelle, das stimmt. Aus Waunakee. Das Sekretariat hat mich zu Ihnen durchgestellt. Die Dame sagte mir, Sie seien ziemlich bewandert, was alte Kulte betrifft.«

»Verzeihen Sie mir«, sagte Mr. Summers, »aber wer ruft schon aus einer Werkstatt – entschuldigen Sie, einer Tankstelle – an und bittet um einen dringenden Termin, um über Druiden zu sprechen? Nicht dass ich etwas dagegen hätte, glauben Sie mir. Ich kann über Druiden reden, bis ich schwarz werde, aber warum ist die Angelegenheit so dringend für Sie?«

»Mr. Summers«, antwortete Jack, »ich möchte gleich zur Sache kommen. Haben Sie schon einmal etwas von Menschen gehört, die durch Wände gehen? Ich nehme an, dass es etwas mit den alten Druiden zu tun hat, aber ich bin mir nicht ganz sicher. Menschen, die sich unter der Erde bewegen?«

Mr. Summers musterte Jack interessiert. »Wer hat Ihnen davon erzählt?«, erkundigte er sich.

»Niemand hat es uns erzählt, wir …«, begann Karen, doch Jack gab ihr mit einem Händedruck zu verstehen, dass sie still sein sollte.