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»Wir haben es herausgefunden, ganz einfach.«

»Nun, das ist wirklich sehr interessant«, bemerkte Mr. Summers. »Eines der klassischen Mysterien der vorchristlichen Zeit. Es gibt Hunderte alter Erzählungen von Menschen, die durch Stein wandeln konnten, und von Priestern, die in Baumstümpfen lebten, aber auch von Männern und Frauen, die durch Wände gingen.

Ob das nun tatsächlich möglich war oder nicht, es gibt so viele Berichte und so viele Inschriften, die es bis ins kleinste Detail beschreiben, dass zumindest die Druiden davon überzeugt zu sein schienen, dass es funktioniert.«

Mr. Summers spähte auf seine Armbanduhr. »Ich bin fertig für heute und es gibt eine nette kleine Bar nicht weit von hier. Wollen wir dort etwas trinken gehen?«

»Eine sehr gute Idee«, willigte Jack ein.

»Nennen Sie mich Geoff«, bat Mr. Summers. »Wenn mich jemand ›Mr. Summers‹ nennt, drehe ich mich immer um und schaue, ob mein Vater hinter mir steht.«

Jack, Karen und der Gelehrte liefen über den zugigen Parkplatz zu Geoff Summers altem Plymouth Valiant. Dann fuhr der Dozent sie zwei, drei Meilen aus der Stadt heraus zu einem kleinen, weiß gestrichenen Gebäude mit angeschlossenem Restaurant, das sich Lindstrom’s Farm nannte. Sie quetschten sich in eine unbequeme rustikale Nische mit Bänken aus massivem Eichenholz und bestellten ein Bier. Eine Kerze flackerte in einer roten Glaslampe. Jack bemerkte Geoff Summers’ Interesse an der vollbusigen, deutschstämmig aussehenden Bedienung, die er kaum aus den Augen ließ. Sie war vermutlich der Hauptgrund für sein Interesse an dieser Bar. Jack hatte da so einiges über Akademiker gehört.

Geoff Summers trank einen Schluck Bier. Der Schaum blieb an seinem Schnurrbart hängen. Er zog seine Pfeife aus der Tasche und sagte: »Diese ganze Geschichte mit dem Durch-die-Erde-Gehen ist schon uralt – sie stammt aus der Zeit vor den Druiden, und zwar aus der Ära der Megalith-Kulturen. Sie wissen schon, die Menschen, die Stonehenge und all die anderen mysteriösen steinernen Stätten erschaffen haben. Wir sprechen also von der Zeit um 2700 vor Christus.

Die Menschen entdeckten damals die magnetischen Kraftlinien, die unter der Erde liegen … tellurische Ströme nennt man sie, manchmal auch Leylinien. Und an Stellen, wo diese Linien sich kreuzen, findet man Orte mit außergewöhnlichem telekinetischen Einfluss.«

»Und das ist es, was Erdmagie genannt wird?«, fragte Jack.

Geoff Summers hatte ein Streichholz entfacht, um seine Pfeife anzuzünden, doch er ließ es zwischen seinen Fingern ausgehen. »Ich würde zu gerne wissen, weshalb Sie sich dafür interessieren, Mr. Reed.«

»Nenn mich Jack. Aber es ist ziemlich schwer für mich, dir das zu erklären.«

»Nun, Jack, hast du irgendwo einen Geist gehört, ist es das? Das ist der übliche Grund, warum Menschen plötzlich anfangen, sich für Erdmagie zu interessieren. Sie hören es an der Wand oder der Decke klopfen und vermuten, dass es sich um einen unsichtbaren Geist handelt. Fakt ist – in den allermeisten Fällen zumindest – dass ihr Haus auf einer Leylinie steht und sie tatsächlich hören, wie jemand durch ihre Wand geht. Ein sogenannter Erdenläufer.«

Unter dem rot-weiß karierten Tischtuch hielt Jack Karens Hand. »Das ist ziemlich genau unser Problem«, sagte er vorsichtig.

»Ich will euch mal was verraten«, meinte Geoff Summers. »Diese Leylinien sind weit mächtiger als moderne Wissenschaftler vermuten, besonders während bestimmter Zeiten im Jahr. Zum Beispiel stammten die Blausteine, die von den alten Britanniern beim Bau von Stonehenge verwendet wurden, aus den Preseli-Bergen im walisischen Pembrokeshire. Das liegt fast 200 Kilometer entfernt von dem Ort, an dem die Steine aufgestellt wurden. Und dabei wiegen einige von ihnen mehr als 50 Tonnen.

Die moderne Wissenschaft vermag nicht zu erklären, wie die alten Britannier diese schweren Steine überhaupt von der Stelle bewegen konnten, erst recht nicht über eine so große Distanz. Doch wenn man den Druiden Glauben schenkt, wurden die Steine einfach herbeigerufen und bewegten sich ganz von alleine auf den Leylinien unterirdisch von Wales nach Stonehenge.«

»Sehr merkwürdig«, bemerkte Karen. »Das ist wirklich sehr merkwürdig.«

»Leider lässt sich das nicht beweisen«, stellte Geoff Summers, der die Augen immer noch auf die Kellnerin gerichtet hielt, fest. »Doch so was ist auch in Amerika geschehen. Auf dem Mystery Hill in New Hampshire und in Arizona ebenfalls. Bei den Pima-Indianern gibt es eine Legende über Tcu-Wutu-Makai, den Erdmagier, der sich unter der Erde fortbewegen konnte. Und auch in unserer modernen Zeit wurde eine beachtliche Anzahl von Erdenläufern gesichtet.

1881 beobachtete eine Frau in Applebachsville, Pennsylvania, einen nackten Mann, der in der Wand ihres Bauernhauses verschwand. Und 1903 schwor ein Farmer in Pewamo, Michigan, Reportern der Lokalzeitung, dass er ein Feld gesehen hatte, in dem Dutzende Arme von Menschen aus dem Boden ragten. Er schwor Stein und Bein, dass sie seinen weißen Prachtbullen geschnappt und unter die Erde gezogen hätten.«

»Glaubst du das denn?«, erkundigte sich Jack vorsichtig.

»Ich weiß nicht so recht«, sagte Geoff Summers, entzündete ein weiteres Streichholz und setzte den frischen Tabak in seiner Pfeife in Brand. »Aber wir Religionswissenschaftler sind nicht so skeptisch wie etwa Anthropologen oder reine Historiker. Wir glauben an den mystischen Aspekt des Lebens. Und im Übrigen passt das, was der Farmer aus Michigan behauptet hat, wie die Faust aufs Auge zu den Überlieferungen der Druiden. Wenn ein Priester in die Erde eindrang, war ein Blutopfer notwendig, damit er an die Oberfläche zurückkehren konnte. Manchmal auch mehrere Blutopfer.«

Der Dozent stieß Rauch aus und fügte dann hinzu: »Die Druiden hielten ihre Rituale streng geheim, daher weiß niemand so genau, wie viele Menschen geopfert wurden. Es fanden sich auch kaum noch menschliche Überreste an einer ihrer Opferstätten, nur zwei oder drei Schädel und ein paar Hüftknochen. Daher nahmen die meisten Historiker an, dass sie nur wenige oder vielleicht gar keine Blutopfer brachten.

Doch die Geschichten und Legenden sind da schon eindeutiger. Die frühen Druiden haben angeblich Hunderte Männer und Frauen auf sehr unschöne Weise beseitigt. Quellen schildern, wie sie die Männer kastrierten und den Frauen ihre Gebärmutter herausrissen. Die Druiden rupften ihren Opfern Arme und Beine aus und verspritzten ihr Blut auf dem Boden. Ganze Dörfer wurden auf diese Weise fast ausgelöscht. Angeblich studierten sie die Schmerzen der Sterbenden, um mit ihrer Hilfe die Zukunft vorherzusagen.«

Karen fasste sich in instinktivem Entsetzen mit der flachen Hand an die Stirn. Geoff Summers sagte: »Oh, tut mir leid … ich wollte nicht, dass jemandem übel wird.«

Karen sah Jack an und dieser wusste ganz genau, dass sie nicht aus Überempfindlichkeit so bestürzt reagierte, sondern aus Angst vor Quintus Miller und seinen Anhängern. Diese kämpften sich durch die Dunkelheit mit einer Gier nach Blut, die gleichermaßen von Steinzeit-Mystik und kriminellem Wahnsinn entfacht wurde.

An Geoff Summers gewandt, sagte Jack: »Gibt es denn ein Mittel – kennst du irgendeine Möglichkeit, mit der man diese Erdenläufer aufhalten kann?«

Geoff Summers beobachtete ihn eine Weile aus seinen traubengrünen Augen. »Aufhalten? Was meinst du mit ›aufhalten‹?«

»Ich meine, sie töten. Könnte man sie jagen und töten?«

»Jack«, erwiderte Geoff Summers zögerlich. »Ich frage mich langsam, in was du dich da hineingeritten hast.«

»Ich finde das Thema nur interessant, nichts weiter. Wie tötet man sie?«

Geoff Summers schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Ich sage gar nichts mehr, bis du mir erklärt hast, was hier los ist.«