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Jack zögerte kurz und zeigte dann mit dem Finger auf ihn. »Du willst also wirklich dabei sein?«

»Selbstverständlich!« Geoff grinste. »Du brauchst einen Experten, ich bin ein Experte. Zumindest was komparative Religionswissenschaft betrifft.«

Da war etwas an Geoff Summers’ britischer Art, das Jack dazu brachte, sich mehr denn je wie Dick Van Dyke zu fühlen.

»Also gut«, entschied er. »Du bist dabei! Aber ich warne dich. Erstens: Wir wollen die Polizei noch nicht über die Vorkommnisse ins Bild setzen. Wenn wir das tun, wird alles nur noch schlimmer, als es ohnehin schon ist. Und zweitens: Es ist sehr gefährlich, und ich meine wirklich gefährlich. Ich kann also nicht garantieren, dass du heil aus der Sache rauskommst.«

»Nun … damit kann ich leben«, erklärte Geoff. »Ich lebe gern gefährlich. Motorrad fahren ohne Helm, Segeln ohne Schwimmweste, Ficken ohne Kondom und solche Sachen.«

»Eins noch«, unterbrach ihn Jack. »Das Ganze ist letztlich mein Bier. Es ist mein Sohn. Es ist meine Angelegenheit. Das bedeutet, dass du tust, was immer ich sage, und zwar sofort und ohne Widerworte.«

»Schon gut, schon gut«, versicherte Geoff Summers ihm. »Also … wirst du mich nun endlich einweihen?«

»Als Erstes brauche ich ein Auto«, stellte Jack fest. »Dann müssen wir einen Unterschlupf suchen, um zu schlafen und Nachrichten zu schauen.«

»Die Nachrichten? Erwartest du darin ernsthaft Berichte über Druiden?«

»Geoff«, begann Jack und sah ihm dabei tief in die Augen. »Du hast ja keine Ahnung, wie ernst die Lage ist.«

»Nein, scheinbar nicht.« Er grinste Karen an, zog die Augenbrauen hoch und sagte: »Krass!« Da wurde Jack bewusst, wie jung Geoff noch war.

N E U N

Um 17:30 Uhr an diesem Abend verließ eine 67 Jahre alte Frau namens Matilda Pancic den Discounter-Bioladen auf der Lincoln Avenue in West Milwaukee und machte sich auf den Weg nach Hause. Ihre Wohnung lag drei Blocks weiter westlich.

Beim Laufen summte sie fröhlich vor sich hin: »This is my lovely day … this is the day I will remember until the day I’m dying …«

Da wölbte sich plötzlich direkt hinter ihr der Gehsteig, was von einem tiefen, schleifenden Geräusch begleitet wurde, das sie allerdings nicht hören konnte, einerseits wegen des Verkehrs und anderseits, weil sie halb taub war. Sssssssschhhhhh – sssssschhhhhh – sssssschhhhhh.

Matilda Pancic war seit vier Jahren und neun Tagen Witwe. Ihr Mann Milton hatte als Konditor gearbeitet. Sein Foto stand auf ihrer Kommode. Ein glatzköpfiger Mann mit herabhängendem Schnurrbart, den in der Nacht vor ihrem Hochzeitstag der Tod ereilt hatte. Das Geschwulst in seinem Körper war zu groß geworden. Der Kuchen, den er für das Jubiläum gebacken hatte, stand hinter Glas neben seinem Foto. Für meine liebste Matti. Danke für 48 wundervolle Jahre. Für immer, dein Milton.

Er hatte den Kuchen um 18:00 Uhr nach Hause gebracht. Das Für immer hatte ganze 17 Minuten gedauert.

Die Kälte setzte Matilda Pancic zu. Sie hatte sich ein Kopftuch umgebunden, das mit den Niagarafällen bedruckt war. Dazu trug sie einen tristen, blauen Stepp-Regenmantel. Ihr Gesicht wirkte runder denn je, doch was konnte sie schon großartig anderes tun als vor dem Fernseher zu sitzen, Tropenfrucht-Joghurt aus dem Becher zu löffeln und an Milton zu denken? Manchmal in der Nacht bildete sie sich ein, seine Stimme aus der Küche zu hören, so laut und deutlich, als ob er noch am Leben wäre.

Sie machte in der Drogerie Halt, um ein Milwaukee Journal und eine neue Zahnbürste zu kaufen. Mr. Druker, der pferdegesichtige Verkäufer, beugte sich über den Tresen und erkundigte sich: »Haben Sie die Hautsalbe ausprobiert, die ich Ihnen empfohlen hatte? Was halten Sie davon?«

Matilda Pancic verzog angewidert die Lippen. »Ist mir zu fettig, Herman – war nichts für mich. Sie hat mir die Ärmel eingesaut.«

»Sie sollten sie aber mindestens einen Monat lang anwenden.«

Das Mädchen vor ihr konnte sich nicht für eine Haartönung entscheiden. Sie schwankte zwischen einem Hellblond mit der Bezeichnung »Honigtau« und einem Farbton namens »Dunkelblonde Verzückung«. Mrs. Pancic sah der jungen Frau über die Schulter und mischte sich ein: »Nehmen Sie das dunklere Blond. Das andere ist so hell, damit sehen Sie aus wie ein Schrubber.«

Das Mädchen wandte sich um, starrte sie an und schnaubte verlegen durch ein Nasenloch.

»Hören Sie auf mich«, drängte Mrs. Pancic, »ich kenn mich mit Haarfärbemitteln aus. Schauen Sie mal, welche ich benutze: ›Schneeüberraschung‹.«

Sie lachte über ihren eigenen Witz. Doch nur knapp 20 Zentimeter von ihrem linken Fuß entfernt begann sich der PVC-Boden mit Schachbrettmuster zu wellen und auszubeulen. Das schleifende Geräusch schien immer näher an die Oberfläche zu dringen.

»Nur die Zeitung und die Zahnbürste«, sagte Mrs. Pancic und hielt beides wie zur Bekräftigung hoch.

In diesem Moment riss wenige Zentimeter neben ihr der Boden auf. Eine riesige, haarige Hand schoss heraus und umfasste ihren Knöchel.

Die alte Frau schrie vor Schreck entsetzt auf und kippte vornüber auf den Tresen, wobei die gläsernen Trennwände zerbrachen. Packungen mit Aspirin, Paracetamol, Abführmittel und Tampons prasselten neben ihr herab.

Das Mädchen schrie ebenfalls auf und sprang mehrere Schritte zur Seite.

»Oh mein Gott!«, keuchte Mr. Druker.

Matilda Pancic klammerte sich in einem verzweifelten Rettungsversuch an die Fußleiste der Verkaufstheke. Doch eine weitere Hand, die aus dem Boden kam, ergriff ihre rechte Wade. Matilda Pancic gab keinen einzigen Laut von sich, streckte lediglich ihre Hand in Richtung des Ladentischs in der Hoffnung aus, irgendwo Halt zu finden.

Mr. Druker schrie seinen Assistenten an: »Rufen Sie die Polizei!«

»Was?«, entgegnete der Assistent, dessen Haar sich bereits lichtete.

»Rufen Sie die Polizei, verdammt noch mal!«, brüllte Mr. Druker erneut. Es war das erste Mal seit 1951, in Korea, dass er laut fluchte.

Die zwei riesigen Hände packten Matilda Pancic und schleuderten sie von einer Seite zur anderen – ließen sie Krach!!! gegen den Verkaufstresen knallen, dann Krach!!! auf den Boden und schließlich Krach!!! gegen den Ständer mit den Hallmark-Grußkarten. Ihr Tuch mit den Niagarafällen war plötzlich dunkelrot vor Blut. Ihre Arme schlackerten, weil sie gebrochen waren. Sie wurde wieder und wieder von einer Seite zur anderen geschmettert, bis sie nur noch hin- und herflog wie eine blutige Stoffpuppe.

Sirenen heulten auf der Straße wie Kinder. Schon hatte sich vor der Drogerie eine Menschenmenge eingefunden. Nicht um Matilda Pancic zu retten, sondern um sie beim Sterben zu begaffen. Ihr Blut und ihr Gehirn waren im Schaufenster und über den ganzen Tresen verteilt.

Hast du gesehen, wie das Blut rausgeschossen ist? Wie die Arme herumschlackern? Krass, wie ihr Gesicht aussieht!

Schließlich griffen die riesigen Hände wieder nach ihr. Vor allen Umstehenden, die ihren Augen kaum trauten, wurde sie als klägliches Häufchen aus Blut, Innereien und einem lose auf dem Hals sitzenden Kopf in den Beton hereingezogen. Ein mörderisches menschliches Puzzle, das sich niemand, der es sah, so recht erklären konnte.

Das Letzte, was im Boden verschwand, war ihr geschwollener linker Fuß – der bandagierte Fuß einer alten Dame. Er schrammte mit einem Geräusch nach unten, das einem die Haare zu Berge stehen ließ – Fleisch gegen Beton. Fleisch in Beton hinein.

Dann war sie verschwunden und der Boden wölbte sich ein letztes Mal. Die Polizei stürmte mit gezogener Waffe in die Drogerie. »Raus da! Keine Bewegung! Polizei!« Doch niemand konnte den Mann, der einst auf den Namen Lester getauft worden war, an seiner Flucht durch das Erdreich hindern.