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Kurz nach 19:00 Uhr am gleichen Abend verließ ein 33 Jahre alter Versicherungssachverständiger namens Arnold Cohn in der Firmenzentrale der Wisconsin Mutual Assurance auf Parkdeck 3 den Aufzug und ging durch die Tiefgarage.

Er hatte an diesem Abend eine Verabredung zum Abendessen mit einer jungen Frau namens Naomi Breinstein. Er hoffte, sie anschließend in seine Wohnung in Shorewood mitzunehmen, um gemeinsam Opernarien zu lauschen. In seiner Aktentasche lag neben den Dokumenten zum hochgradig verdächtigen Ausbruch eines Feuers im Voight-Gemüsedepot eine neue Gesamtaufnahme des Kalifen von Bagdad von François-Adrien Boieldieu. Arnold war ein echter Opernkenner, dessen Kenntnisse weit über Verdi hinausgingen.

Er machte sich ernsthaft Sorgen um sein Haupthaar. Obwohl er erst 33 Jahre alt war, lichtete es sich am Hinterkopf bereits, und zwar so stark, dass die Kopfhaut durch seine schwarzen Locken schimmerte, wenn er sich im Badezimmerspiegel von hinten betrachtete.

Arnolds Vater hatte eine Vollglatze, aber bei Vätern war das irgendwie okay. Arnold war nie davon ausgegangen, dass auch ihm dieses Schicksal drohte. Besonders nicht jetzt, wo er ein Mädchen gefunden hatte, das er regelrecht vergötterte.

Naomi spielte Cello im Milwaukee Symphony Orchestra. Ihr Haar war dunkel und bedeckte ihren halben Rücken. Naomis Augen glänzten und waren so braun wie Schokoladen-M&M’s und ihre Oberschenkel straff. Arnold hatte nie zuvor eine Frau getroffen, die ein solches Feuer in ihm entfachte.

Arnold war fast an seinem Wagen angelangt, als ihn das sichere Gefühl beschlich, dass ihn jemand mit schlurfenden Schritten verfolgte. Er hielt inne und sah sich irritiert um, doch in der Tiefgarage war niemand. Er hatte Überstunden geschoben und abgesehen von seinem eigenen Volkswagen standen nur noch sechs oder sieben andere Fahrzeuge auf dem Deck. Eines davon war die Corvette, die seinem Kollegen John Radetzky gehörte und sorgsam mit einer Plane abgedeckt war.

Arnold rührte sich fast eine halbe Minute nicht vom Fleck und hielt sogar vorübergehend die Luft an. Aber in der Tiefgarage blieb es ruhig. Er hmpfte, schalt sich selbst einen Narren und lief weiter. Ob er Naomi wohl überreden konnte, die Nacht bei ihm zu bleiben? Er hatte gesehen, wie ihre Oberschenkel das Cello umschlossen. Der Gedanke daran, dass sie sich um seine Taille wickelten, trieb ihm Schweiß der Erregung auf die Stirn.

Als er seinen Autoschlüssel aus der Tasche fischte, hörte er wieder das Geräusch. Ssssssschhhh – ssssschhhhh – ssssschhhhh. Das klang wie jemand, der einen schweren Sack schleppte. Arnold sah auf. Das Geräusch schien von der Decke auszugehen, von Parkdeck 2. Aber Parkdeck 2 war verlassen und dunkel gewesen, als er mit dem Aufzug daran vorbeifuhr. Normalerweise wurde es nur tagsüber von Besuchern der Versicherung genutzt.

»Ist da jemand?«, rief er. Jemand?, wiederholte sein Echo.

Er schloss sein Auto auf. Ssssssssssssschhhhhhh, flüsterte das Geräusch. Diesmal drehte sich Arnold ganz schnell um.

»Also wenn hier jemand ist, dann sollten Sie besser wissen, dass Sie hier unbefugt eindringen und ich den Wachmann alarmieren werde, wenn ich das Gebäude verlasse.«

Just in dem Moment bemerkte er, wie sich die Plane auf John Radetzkys Auto minimal bewegte. Das war es also. Jemand versteckte sich in Radetzkys Corvette. Wahrscheinlich irgendein Penner. Entweder schlief er da drin oder wollte die Stereoanlage klauen.

Arnold schlich sich zu der abgedeckten Karosse. Mit einer Hand fuhr er sich nervös durchs Haar. Als er den Wagen erreichte, zögerte er nur einen ganz kurzen Augenblick. Dann beugte er sich nach vorn und ergriff die Plane mit beiden Händen.

Also gut, du Arschloch. Eins, zwei, drei! Er schlug die Plane zurück und rief: »Erwischt!«

Doch das Auto war leer. Niemand darin.

Verlegen – und froh, dass ihn niemand bei dieser peinlichen Aktion beobachtet hatte – spähte Arnold durch die blitzblanke Windschutzscheibe.

Während er das Innere ausgiebig inspizierte und dabei die Augen mit der Hand gegen die Leuchtstoffröhren abschirmte, die sich im Glas spiegelten, begann sich die Betondecke über seinem Kopf zu wölben, als ob sie wie Sand zerfloss.

Langsam teilten sich die Moleküle des Betons und gaben den Umriss einer nackten Frau frei, die ausgestreckt auf einem Deckenbalken lag. Sie war auf eine schwer zu beschreibende Art und Weise attraktiv, hatte feurige Augen und kleine Brüste und genau die Art geschwungener, stämmiger Hüften, die Arnold ausgesprochen attraktiv fand.

Sie fasste nach unten wie ein Schwimmer, dessen Hände ins Wasser eintauchten. Mit unglaublicher Sanftheit berührte sie Arnolds Haar.

Er kämmte sich mit einer ungeduldigen Geste die Strähne zurück. Er dachte, es wäre eine Fliege gewesen oder sein Haar hätte sich wieder einmal unerlaubterweise von seiner kahlen Stelle weggekräuselt.

Die Frau berührte ihn erneut. Diesmal sah er auf und runzelte die Stirn.

»Ahh!«, keuchte er. Mehr brachte er nicht heraus. Sein Magen fühlte sich an, als wäre er vor lauter Angst implodiert wie ein Ballon.

Die Frau im Beton ließ ihm keine Chance. Mit beiden Händen umfasste sie seinen Hals und zerrte ihn nach oben, sodass seine Füße den Halt verloren. Er trat um sich, schwang hin und her, würgte und versuchte zu schreien, aber sie zog ihn mühelos zur Decke, wobei sie ihre Daumen in seinen Adamsapfel bohrte und ihre Fingernägel ganz tief in seinen Hals rammte.

Rot vor Anstrengung drückte er mit beiden Händen gegen die Decke, um sich abzustoßen, doch sie zog ihn so weit zu sich hinauf, dass sich sein Gesicht gegen ihres presste.

Ihre Wangen und ihre Stirn fühlten sich beinahe so rau an wie der Beton, aus dem sie aufgetaucht war. Ihre leeren Betonaugen starrten in seine. Er konnte nicht atmen, konnte nicht schreien. Er fühlte sich, als ob das ganze Gebäude auf ihn fiel. Tatsächlich war es aber genau umgekehrt. Er wurde in das Fundament hineingezogen.

Küss mich, befahl ihm die Frau lächelnd, während sie ihre Nase gegen seine Wange rieb und sie dabei schmerzvoll abschabte. Findest du mich nicht wunderschön? Sieh dir meine Brüste an! Willst du nicht mit mir schlafen?

Sie rieb ihr Gesicht erneut an seinem, von einer Seite zur anderen, immer und immer schneller. Aus Kratzern wurden schnell Fleischwunden und die Fleischwunden wurden zu Furchen. Die Haut löste sich ab, als ob sie aus Seidenpapier bestünde. Nervenenden kamen zum Vorschein, rohes Fleisch wurde sichtbar. Rechts, links, rechts, links – schnipp, schnapp, schnipp, schnapp – den Letzten beißen die Hunde!

Die Betonfrau lachte ihn aus. Ihr Gesicht glänzte, weil es über und über mit Arnolds Blut besprenkelt war. Er öffnete den Mund und versuchte zu schreien, aber sie drückte seine Kehle fest zu. Als er es doch versuchte, riss sie ihm mit ihrer roh verputzten Stirn die Lippen ab wie zwei dicke rote, verstümmelte Würmer. Dann kam seine Nase dran, ein blutiger Klumpen aus Knorpeln und Knochen. Doch erst als sie sein Kinn bis aufs Skelett abschabte, zitterte er vor lauter markerschütterndem Schmerz so sehr, dass sie ihn fallen ließ.

Arnold sackte mit einem dumpfen Schlag zu Boden. Sein Blut spritzte quer über John Radetzkys Auto. Keuchend, würgend und mit Blasen im Mund kroch er vom Auto weg und hinterließ dabei eine Blutspur wie frisch verschüttete Farbe.

Mein Gesicht, dachte er durch einen Schleier aus Schmerzen. Was hat sie mit meinem Gesicht angestellt?