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Das musste die Melodie sein, da war er sich mit einem Mal völlig sicher. Wie sonst hätte Lester annehmen können, dass sie ihnen bekannt war? Warum sonst hätte Quintus sie so oft singen sollen?

Weil er verrückt ist, entgegnete eine leise Stimme in seinem Kopf. Verrückte tun nie etwas aus den gleichen Gründen wie wir – und sie tun nie etwas Vorhersehbares.

Und dennoch, eine andere Möglichkeit kam Jack nicht in den Sinn. Er konnte es ja zumindest versuchen. Jetzt brauchte er nur noch eine Flöte und eine Rasierklinge, mit der er sich schneiden konnte, um das rituelle Hexagramm aus frischem Blut an die Wand zu zeichnen. Und er brauchte eine Liste von Geoff mit den Namen der Heiligen, die er rezitieren musste.

Gott, wenn das wirklich funktionierte, konnte Sergeant Schiller sich seinen Verdacht in den Arsch schieben.

Jack ging zur Tür seiner Zelle und begann zu schreien: »Wache! Wache!«

Die Tür am anderen Ende des Gangs wurde geräuschvoll aufgeschlossen, was seine Zellennachbarn mit verkatertem Stöhnen quittierten. Ein junger Beamter kam auf quietschenden Schuhen mit Kreppsohle den blitzblanken Boden entlanggelaufen.

»Stimmt etwas nicht?«, erkundigte er sich.

»Ich muss mal telefonieren«, verlangte Jack.

»Ich soll Sergeant Schiller anrufen, sobald Sie wach sind.«

»Hören Sie, ich muss telefonieren, dauert doch nur zwei Minuten!«

»Ich muss erst den Sergeant anrufen, Sir.«

Es dauerte 20 Minuten, bis Schiller auftauchte.

Er hatte sich rasiert, geduscht, ein neues Hemd angezogen und roch nach Zahnpasta und billigem Aftershave. Doch seine Augen waren unverändert geschwollen wie überreife Pflaumen und sein Gesicht ganz grau vor Müdigkeit.

»Gut geschlafen?«, erkundigte er sich bissig.

»Was glauben Sie denn?«, konterte Jack. »Gibt es irgendwelche Einwände dagegen, dass ich das Telefon benutze? Ich muss ein paar Minuten mit meinem Freund in Madison sprechen.«

»Ihr Freund Geoffrey Summers, der Dozent an der Uni, meinen Sie den?«, erkundigte sich Sergeant Schiller.

»Geoff Summers, ganz genau.«

Sergeant Schiller schielte auf sein Klemmbrett. »Geoffrey Summers ist momentan nicht zu Hause. Er wird aufgrund des Todes eines gewissen Otto Schröder verhört, der gestern Abend um ungefähr 19 Uhr auf dem oberen Parkdeck des MECCA ums Leben kam.«

Der Polizist zog die Augenbrauen hoch. Er wirkte skeptisch und berechnend. »Augenzeugenberichten zufolge hielt sich Otto Schröder gestern Abend in Begleitung zweier Männer dort auf, von denen einer mithilfe von Fahndungsfotos identifiziert werden konnte. Es handelte sich um Sie, Mr. Reed. Der andere Mann war groß und trug einen Bart. Eines der Fahrzeuge, das beschädigt und verlassen auf dem Dach des Parkhauses stand, gehörte Mr. Geoffrey Summers, dem Freund, den Sie heute Morgen anrufen möchten. Mr. Geoffrey Summers ist, wie Sie sicherlich wissen, groß und trägt einen Bart.«

Jack erwiderte nichts, sondern wartete ab, was als Nächstes kam.

»Mr. Reed – Sie werden des Mordes an Otto Cornelius Schröder bezichtigt. Ihre Rechte hat man Ihnen bereits vorgelesen, als man Sie im Zusammenhang mit der Missachtung der Anweisung des Bezirksgerichts bezüglich des Sorgerechts festnahm. Was diese Anklage betrifft, möchte ich Sie noch einmal ausdrücklich daran erinnern, dass Sie das Recht haben zu schweigen …«

Jack schloss die Augen, während Sergeant Schiller seine Belehrung herunterratterte. Fast glaubte er, die Strafe für das, was man ihm zur Last legte, zu verdienen, weil bereits so viele Menschen ums Leben gekommen waren, seit er den Weg nach The Oaks gefunden hatte. Doch es ließ sich auch nicht leugnen, dass außer ihm niemand Quintus Miller und seiner Horde von Irren Einhalt gebieten konnte.

»Ihr Anwalt soll am frühen Nachmittag am Flughafen General Mitchell Field landen. Danach werden wir beide uns ein bisschen ausführlicher unterhalten, okay?«

Jack sagte nichts, sondern fuhr sich mit der Hand durchs Haar und starrte an die Wand. Er schlief tief und fest und träumte vom Regen, als ihn plötzlich jemand an der Schulter rüttelte und sagte: »Hey … Ihre Schwester ist hier, um Sie zu besuchen.«

»Meine Schwester?« Er runzelte angestrengt die Stirn, als er versuchte, seinen Blick zu fokussieren. Ein rothaariger Polizist blickte ihm aus weniger als 20 Zentimetern Entfernung ins Gesicht. Jack konnte jede Sommersprosse im Gesicht des Beamten erkennen.

»Sicher. Edna-Mae? Sie wartet im Verhörzimmer auf Sie. Sergeant Schiller gibt Ihnen aber nur fünf Minuten.«

Jack schwang sich aus dem Bett. Seine Schwester? Er hatte keine Schwester. Dennoch ließ er es sich gefallen, dass der Rothaarige ihm Handschellen anlegte und ihn ins Verhörzimmer am Ende des Gangs führte.

Als man ihn in den Raum schubste, sah er Karen nervös und unbehaglich am Tisch sitzen. Sie trug einen engen, türkisfarbenen Sweater mit einem kurzen, weißen Rock und dazu eine blonde Perücke, die so unecht wirkte, dass es fast schon absurd war. Als Jack sich setzte, sah sie sich um wie ein nervöses Eichhörnchen und sagte dann: »Sie haben Mike Karpasian angerufen und ihm erzählt, dass du wegen Mordverdachts verhaftet wurdest. Ich bin sofort gekommen. Oh Jack!«

»Du solltest nicht hier sein«, flüsterte Jack energisch. »Sie werden bald auch nach dir fahnden, falls das nicht längst schon der Fall ist.«

»Ich habe ihnen erzählt, dass ich Edna-Mae Schultz heiße. Bei mir in der Grundschule war ein Mädchen, das so hieß.«

»Schönes falsches Haar, gefällt mir«, sagte Jack. Er musste grinsen. »Du siehst Dolly Parton wirklich immer ähnlicher.«

»Geoff hat sich bei mir gemeldet«, erzählte ihm Karen mit ernster Miene.

»Was hat er gesagt? Wir beide stehen in Verdacht, den armen Otto Schröder umgebracht zu haben.«

»Ich weiß. Geoff …« Sie sah sich wieder um und flüsterte dann eindrücklich: »Geoff ist untergetaucht. Ich weiß wo, aber ich verrate es dir nicht. Könnte ja immerhin sein, dass man uns gerade abhört. Aber sie werden ihn bestimmt nicht finden.«

»Geht’s dir gut?«, wollte Jack von ihr wissen. Sie erschien ihm nicht so begehrenswert wie sonst – und das lag nicht nur an der Perücke. Sie sah aus wie die ehemalige Frau eines Brummifahrers mit großen Brüsten und schönen Beinen – und das war sie auch. Sie wirkte müde und zynisch, wie es sich kaum vermeiden ließ, wenn man gezwungenermaßen in einem einstöckigen, mit Schindeln verkleideten Haus am Rande Milwaukees wohnte und eine verzogene, vom Vater zurückgelassene Tochter aufziehen musste, endlose Stunden vor dem Fernseher verbrachte und wusste, dass sämtliche Kindheitsträume endgültig geplatzt waren.

Kommen Sie nach vorne. Der Preis ist heiß!

Doch im kargen Licht des spärlich eingerichteten Verhörzimmers erkannte Jack, dass er lieber den Rest seines Lebens mit einer Frau wie Karen verbringen wollte als mit allen Maggies dieser Welt. Sie war sexy, nett, temperamentvoll, fürsorglich und wahnsinnig individuell. Das alles verlieh ihr eine ungeheure Weiblichkeit. Und abgesehen davon hatte sie das Risiko und den Ärger auf sich genommen, ihn zu besuchen, jetzt, wo er in der Klemme steckte.

»Geht’s dir gut?«, wiederholte Jack seine Frage.

»Aber sicher geht’s mir gut.«

»Und Sherry?«

»Sherry auch.«

Jack beugte sich vor, so weit er sich traute. Er konnte sehen, dass ihn der rothaarige Polizist aufmerksam beobachtete, um sicherzustellen, dass Karen ihm nichts zusteckte. »Ich glaube, ich weiß, wie man in die Wand kommt«, verkündete er Karen.

»Was?« Sie sah ihn stirnrunzelnd an.

»Ich glaube, ich weiß, wie man in die Wand kommt … genau wie es all diese Geisteskranken geschafft haben. Ich glaube, ich kenne das Geheimnis.«