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»Hallo, Margaret-Ann«, begrüßte er sie.

Maggie setzte sich und nestelte an ihrem durchnässten Taschentuch herum. Sie trug den breitschultrigen, orangefarbenen Anzug, den er besonders verabscheute. Darin wirkte sie immer leichenblass und kränklich, selbst wenn sie es nicht war. Und schlimmer noch: Sie glaubte allen Ernstes, dass sie damit Krystle aus dem Denver-Clan ähnelte, und benahm sich entsprechend. Wie eine Heilige, blauäugig und schrecklich pragmatisch.

»Hallo Jack«, flüsterte sie und räusperte sich.

»Wie geht es dir?«, erkundigte er sich bei ihr.

»Ich bin schrecklich mitgenommen, was dachtest du denn?«

»Wie geht’s der gesegneten Velma?«

»Ich wünschte, du würdest sie nicht so nennen.«

»Also gut, wie geht’s der unansehnlichen, überaus gewöhnlichen Velma?«

»Es geht ihr ganz gut, danke der Nachfrage«, erwiderte Maggie mit einer Höflichkeit, die nur mühsam den dahinter lauernden Hass kaschierte.

»Und Herman?«

»Dem geht es auch ganz gut.«

Jack nickte beifällig. »Das ist ja großartig. Herman und Velma, eine im Himmel geschlossene Ehe. Na ja, eigentlich wurden sie in Manitowoc vermählt. Aber das kommt wohl fast aufs Gleiche raus.«

Maggie schluckte und setzte dann zu einem leisen, dennoch mit gefasster Stimme vorgetragenen Monolog an, den sie wohl vorher auswendig gelernt hatte: »Jack, ich weiß, dass du mich nicht mehr liebst – und damit werde ich wohl umgehen können. Ich kann damit umgehen, denn ich habe meine Schwester und meine Schulungen zur Stärkung des Selbstbewusstseins und ganz viele Freunde, die mich unterstützen, aber ich habe genauso ein Recht auf Randy wie du, und ich muss wissen, wo er ist.«

»Ich kann dir nicht sagen, wo er ist«, entgegnete Jack.

»Aber warum? Ich habe ein Recht darauf, das zu erfahren! Er ist schließlich auch mein Sohn! Ich liebe ihn!«

»Ich kann dir einfach nicht sagen, wo er ist. Punkt«, wiederholte Jack. »Tut mir leid.« Es tat ihm tatsächlich leid. Was auch immer er von Maggie hielt, er wusste, dass sie wegen Randy schreckliche Ängste ausstand und die Ungewissheit sie fast verrückt machte, genau wie ihn. Und das war ein Schmerz, den er niemandem wünschte.

»Ist er in Sicherheit?«, fragte Maggie.

Jack nickte. »Ich glaube schon.«

»Was meinst du damit: ›Ich glaube schon‹? Weißt du es denn nicht sicher?«

»Nein!«, antwortete Jack. »Wenn du die Wahrheit hören willst: Ich weiß es nicht. Aber ich tue alles, was in meiner Macht steht, das kannst du mir glauben.«

»Während du hier eingesperrt bist? Was kannst du denn von hier aus tun?«

»Darüber bin ich mir noch nicht ganz im Klaren. Aber ich habe schon einige vielversprechende Ideen.«

»Jack, hör mal! Ich befehle dir, mir sofort zu sagen, wo er ist!«

»Sorry, Margaret-Ann«, entgegnete Jack.

Maggie schwieg eine Weile, während sie weiter an ihrem Taschentuch herumzupfte und sich auf die Lippen biss. Mit einem Satz stürzte sie sich unvermittelt auf ihn, schlug ihm ins Gesicht und riss an seinem Hemd.

»Ich hasse dich!«, brüllte sie. »Ich hasse dich! Ich hasse dich!«

Sofort flog die Tür zum Verhörzimmer auf und eine uniformierte Polizistin ergriff Maggie am Arm. Sie ließ von Jack ab, das Gesicht tränenüberströmt. »Wenn du unserem Sohn auch nur ein Haar gekrümmt hast«, schluchzte sie, »dann bringe ich dich um!«

Jack drehte ihr den Rücken zu. Er konnte ja sonst nichts weiter tun. Er hörte sie noch ein- oder zweimal schluchzen, ehe sie unter den tröstenden Worten der Polizisten den Raum verließ.

Als sie gegangen war, kam Sergeant Schiller herein. Er stellte sich eine Weile neben Jack und hielt dann etwas vor sich, das er die ganze Zeit hinter seinem Rücken versteckt gehalten hatte. Es waren eine einfache Holzflöte und dazu einige handbeschriebene Zettel. Jack erkannte den Namen »Awen«.

»Wollen Sie mir etwas dazu sagen?«, fragte er. »Das hat der Sekretär Ihres Anwalts soeben bei uns abgeliefert.«

»Folk-Musik«, erklärte Jack.

»Folk-Musik? Man wirft Ihnen Kidnapping und Mord vor und Sie wollen Folk-Musik spielen?«

»Na und, was geht Sie das an?«

Für Jack war es eine ziemliche Herausforderung, so knallhart zu tun, aber er wusste, dass er seine Chance, Quintus Miller aufzuhalten und Randy zu retten, verspielte, wenn er Sergeant Schiller ein Sterbenswörtchen verriet. Sergeant Schiller würde ihm niemals abnehmen, dass Menschen durch Wände sprinten und unter der Erde wandeln konnten – jedenfalls nicht, bevor es zu spät war. Und er würde Jack niemals gestatten, die Jagd auf Quintus Miller zu eröffnen.

Der Polizist unterbrach seine Gedanken: »Wie wäre es, wenn Sie mir verraten, wo Sie Ihren Jungen versteckt halten? Dann können Sie die Flöte haben.«

»Behalten Sie die verdammte Flöte«, entgegnete Jack und versuchte so zu klingen, als wäre es ihm völlig egal.

»Irgendwann müssen Sie es mir verraten«, warnte Sergeant Schiller ihn.

»Ich kann Ihnen nichts verraten, was ich selbst nicht weiß.«

»Sie haben ihn umgebracht, nicht wahr? Kommen Sie, das ist verständlich. Sie standen unter Stress. Ihre Ehe war kurz davor, in die Brüche zu gehen. Sie waren es leid, die Verantwortung für ihn zu übernehmen, weil er sie so sehr an ihre Frau erinnerte. Also haben Sie es sich leicht gemacht und ihn abgemurkst.«

Jack drehte Sergeant Schiller den Kopf zu und starrte ihm direkt in die Augen. »So ein Bullshit!«, entgegnete er.

Sergeant Schiller erwiderte seinen Blick gänzlich unbeeindruckt und überreichte ihm dann die Flöte. »Ich habe in den letzten elf Jahren bei meinen Ermittlungen eine Menge mitgemacht, Mr. Reed, und dabei eine ganze Reihe kranker Gestalten erlebt. Aber jemand wie Sie ist mir dabei noch nicht untergekommen.«

Mit diesen Worten gab er der Wache an der Tür das Zeichen, Jack wieder in seine Zelle zu eskortieren.

In dieser Nacht hinterließen Quintus Miller und seine irren Kumpane eine Spur der Verwüstung durch Milwaukee und Madison sowie entlang der Leylinien, die dazwischen verliefen.

Donner durchdrang die Stille der Nacht. Unnatürliche Blitze schlugen auf Pfeilern entlang der mystischen Linien ein und die Luft vibrierte vor Spannung und schien eine unmittelbar bevorstehende Katastrophe anzukündigen.

In der Nähe von Dousman wurde ein 15-jähriges Bauernmädchen namens Sarah Lee Kodiak in ein dunkelgrünes Kohlfeld hinabgezogen. Sie kreischte in einer schauerlich hohen Tonlage, als sie 60 Meter quer über das Feld schleifte und dabei immer tiefer in den Boden sackte, erst bis zu den Schenkeln, dann bis zur Hüfte und schließlich bis zum Hals. Dann versank sie vollständig im schwarzen, schweren Erdreich, als ihr Vater und ihr Bruder noch verzweifelt auf die Stelle zurannten, an der sie verschwand.

Im fahlen Scheinwerferlicht des Traktors pflügten Vater und Sohn noch über zwei Stunden lang mit Spaten und Hacken den Acker um, während der Regen ihnen ins Gesicht peitschte. Sie weinten vor seelischen Schmerzen und Erschöpfung, doch sie konnten sie nicht finden. Schwarzer Boden, einige Blutflecken, aber keine Sarah Lee.

Ein 55 Jahre alter Banker namens Lincoln Winter wurde fast zeitgleich in den Gehsteig gezerrt, als er mitten in Milwaukee aus einem Taxi stieg. Er öffnete die Tür und trat auf das Pflaster. Im selben Moment zog eine unbekannte Kraft seinen Fuß in den Boden. Er schrie einmal laut, doch niemand hörte ihn, und als der verwirrte Taxifahrer aus dem Fahrzeug stieg, um seine Fahrtkosten einzufordern, war Lincoln Winter bereits nicht mehr zu sehen.

Der Taxifahrer sah nicht nach unten – sonst hätte er die vier gepflegten Fingerspitzen gesehen, die verkrampft über den Gehsteig schabten wie rosa Schmetterlingspuppen. Sie schafften es gerade noch, einen weggeworfenen McDonald’s-Karton zu greifen, bevor auch sie unter die Oberfläche gerissen wurden.