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Seine einzige Verteidigung war seine Flöte, doch ob die Wirkung des Lavendelblau-Lieds anhielt, wusste er nicht … und er kannte keine weitere druidische Musik oder andere Rituale.

Jack stand immer noch mucksmäuschenstill in einer Ecke des Zimmers, als Quintus sich so weit vorbeugte, dass er mit seinem Kopf den Boden berührte und mit dumpfer Stimme eine lange Litanei herunterbetete. Jack verstand nur einige Worte, aber es handelte sich definitiv um Gälisch.

»Failt ort fein, a gheallach ur,

Ailleagan iuil nan neul!«

Randy wimmerte und warf den Kopf wie in Trance von einer Seite zur anderen. Seine Augen waren geschlossen, genau wie die von Jack und von Quintus selbst.

»Failt ort fein, a gheallach ur …«

Uuuuuh …, stöhnte Randy.

»Ailleagan iuil nan neul!«

Während Quintus die Worte rezitierte, hörte Jack vor dem Zimmer Geräusche. Nicht in den Wänden, sondern im Korridor selbst. Schritte und Stimmen. Er sah wieder zu Quintus hinüber, nahm dessen kniende Gestalt vor seinem inneren Auge wahr, doch Quintus selbst war zu beschäftigt mit seinem Ritual, um die akustische Störung zu bemerken.

Plötzlich erkannte Jack die Stimmen und das Klackern von Absatzschuhen. Es waren Geoff und Karen. Endlich! Gott sei Dank!

Geoff sagte gerade: »… können unmöglich wissen, ob er entkommen ist. Ich kann ja schließlich schlecht bei Sergeant Schiller anrufen und nachfragen.«

»Er wird es schon schaffen, zu The Oaks zu gelangen«, zeigte sich Karen überzeugt. »Wenn es auch nur den Hauch einer Chance gibt, dann nutzt er sie. So ist Jack.«

»Na ja, lass uns einfach mal einen Blick reinwerfen«, schlug Geoff vor, als sie die Tür zu Quintus’ Zimmer erreichten. »Das Hexagramm ist Ein- und Ausgang des Labyrinths. Wenn er irgendwo rauskommt, dann mit Sicherheit an dieser Stelle.«

»Aber wieso sollte ausgerechnet Jack es schaffen, aus der Wand herauszukommen, wenn Quintus Miller es nicht fertigbekommt? Zumindest nicht, ohne all diese Menschen zu töten?«

Geoff öffnete die Tür, betrat das Zimmer und leuchtete es kurz mit der Taschenlampe ab. »Ich weiß es nicht sicher, um ehrlich zu sein. Aber laut Druggetts Buch war es in der Regel so, dass für jeden Monat in der Erde ein Opfer dargebracht werden musste. Awen verlangt es so. Ich schätze, es ist eine Art Entschädigung für all die Kraft und Energie, die eine Person dem Boden abverlangt, wenn sie darin lebt. Der Magnetismus der Erde muss wieder regeneriert werden, genau wie ihre Mineralien. Awen ist der Beschützer der Erde und für ihn ist sie ungleich wertvoller als das Leben einzelner Menschen.«

»Wenn du mir so was erzählst, bekomme ich eine Gänsehaut«, stellte Karen fest.

Jack presste seine Fingerkuppen gegen das Gemäuer und versuchte, sie durch die Wand hindurchzudrücken, um Geoffs Aufmerksamkeit zu erregen. Doch das Mauerwerk gab nicht nach und er war noch nicht stark genug, um die mystische Grenze zu überwinden, die die Welt aus Erde von der Welt aus Luft trennte.

Er zögerte. Quintus sang immer noch leise vor sich hin und wippte dabei vor und zurück, als ob er langsam in Trance verfiel. Vielleicht würde Quintus es gar nicht mitbekommen, wenn Jack nach Geoff rief.

Randy stöhnte und warf den Kopf zurück. Gleichzeitig bewegte er seine Hände und Füße. Geoff leuchtete mit der Taschenlampe auf das Hexagramm.

Weil Jack seine Umgebung allein durch die Kraft seiner Vorstellung wahrnahm, ohne die Augen zu öffnen, hatte er beinahe vergessen, dass es immer noch dunkel war und Geoff eine Taschenlampe brauchte, um zu wissen, was vor sich ging. Der Lichtkegel glitt über die Wand, leuchtete auf Jacks Gesicht und blendete ihn – nicht das Licht selbst, denn das konnte nicht durch die Wand dringen, sondern die ionisierten Teilchen, die aus der Taschenlampe strömten.

»Karen!«, rief Geoff. »Sieh dir das an! Da sind Hände und Füße an den Ecken des Hexagramms! Die Hände und Füße eines Kindes!«

Geoff!, zischte Jack. Geoff, um Himmels willen!

Doch Geoff hörte ihn nicht. Er kniete sich vor das Hexagramm, berührte einen von Randys bloßen Füßen und sagte: »Das ist Randy! Er muss es sein! Es gab keine minderjährigen Patienten in The Oaks!«

»Aber warum ragen seine Hände und Füße aus der Wand?«, wollte Karen wissen. Jack nahm die blonde Farbe der Perücke wahr, die sie gekauft hatte, um sich als seine Schwester Edna-Mae ausgeben zu können. »Ist er da drin?«

»Ja, das ist er«, bestätigte Geoff besorgt. »Und er wird auf diese Weise dort festgehalten, weil er geopfert werden soll. Das ist das letzte Opfer, das Opfer eines Kindes, das es dem Erdenläufer erlaubt, sich endgültig aus der Wand zu lösen.«

»Aber sie haben doch noch gar nicht genug Menschen getötet«, stellte Karen fest. »In den Nachrichten war die Rede von nur 216. Damit kommt nicht mal einer der Bekloppten aus der Wand!«

Geoff!, sagte Jack, lauter diesmal.

Quintus Miller hatte nach der Hälfte seines Rituals aufgehört zu singen und erhob sich langsam aus der Hocke. Sein Gesicht war ausdruckslos, seine Augen bewegten sich nicht, doch Jack spürte, wie verärgert er über die Unterbrechung war. Aus seiner Schulter und seinem Rücken traten die Muskeln deutlich sichtbar hervor. Seine Arterien waren angeschwollen und die Sehnen seines riesigen Halses so gespannt wie Stahlkabel.

»Kannst du Randy rausholen?«, wollte Karen von Geoff wissen.

Geoff!, schrie Jack. Quintus Miller ist da! Geh weg von der Wa…

Ohne Vorwarnung schob Quintus einen Arm aus dem Mauerwerk und packte Geoff am Bart, versuchte ihn mit dem Kopf in die Wand hineinzuziehen.

Geoff brüllte vor Schmerz. Karen schrie ebenfalls. Sofort rannte Jack die Wände entlang durch das Zimmer, packte Quintus Miller an den Schultern und schüttelte ihn, so fest er konnte.

Quintus ließ Geoff los, der mit blutigem Gesicht zurück ins Zimmer fiel, und wandte sich zu Jack um. Jetzt waren seine Augen geöffnet und kalt wie Stahl. Sein Brustkorb hob und senkte sich vor Wut und jetzt, wo er in Jacks Richtung sah, erkannte dieser das grauenvolle Tattoo auf dem Bauch des Geistesgestörten.

Zwei tätowierte Hände schienen Quintus an der Hüfte zu packen und ihm die Haut aufzureißen, sodass seine inneren Organe sichtbar wurden. Wer auch immer dieses grässliche Meisterwerk der Illusion geschaffen hatte, musste besessen und gleichzeitig perfektionistisch ans Werk gegangen sein, denn Jack musste zweimal hinschauen, um sich zu vergewissern, dass Quintus nicht wirklich ausgeweidet worden war.

Die Leber in Dunkellila, die glänzende beige Bauchspeicheldrüse, die blassen Schleifen des Dickdarms – alles war bis ins kleinste Detail nachempfunden.

Mit erzwungen ruhiger Stimme sagte Quintus: Ich hab dich gewarnt, du mieses, aufdringliches Arschloch. Ich hab dich gewarnt.

Ich will meinen Sohn, verlangte Jack.

Quintus kam näher und Jack wich zurück. Dein Sohn gehört jetzt mir. Dein Sohn ist mein Passierschein.

Ich werde nicht zulassen, dass du ihn mir wegnimmst, Quintus. Da musst du erst mich töten.

Mit dem größten Vergnügen. Quintus grinste und kam rasch näher.

Scheiße, das war’s dann wohl!, dachte Jack und wappnete sich für den Angriff. Quintus war noch viel stärker, als er erwartet hatte. Er prallte mit der unbändigen Wucht eines Lastwagens weit jenseits des Tempolimits gegen Jack, umklammerte seine beiden Handgelenke und verpasste ihm einen derart heftigen Kopfstoß, dass Jack für kurze Zeit völlig benommen war. Dann schlug Quintus ihm mit der Faust zweimal in die Magengrube und einmal gegen die Brust. Jack hörte eine seiner Rippen brechen, doch in seinen Lungen war keine Luft mehr, um zu schreien.