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Quintus stieß ein gellendes Winseln mit einer so hohen Frequenz aus, dass Jacks Ohren es kaum noch wahrnehmen konnten.

Er schwang die Hacke und die nächsten Mauersteine fielen herunter. Vor ihm lag Quintus’ Gesicht. Seine Augen waren weit geöffnet, sein Mund zu einem entsetzten Schmerzensschrei verzogen.

Als Jack weiterhackte, zeigten sich Quintus’ Schultern, kurz darauf sein Oberkörper. Dann war da nur noch ein halb nackter, zitternder Mann, der sich mitten in den Steintrümmern zusammengekauert hatte.

Quintus hob den Blick. Seine Augen waren metallisch, gnadenlos und ohne jegliche Regung.

Dafür wirst du auf ewig verflucht sein.

»Gott möge mir vergeben«, erwiderte Jack cool, hob die Hacke und rammte Quintus die Spitze mitten ins Gesicht.

Quintus brach in der Mitte auseinander wie eine Statue und zerfiel dann in seine Einzelteile. Jack bückte sich und hob eines der Bruchstücke auf – es bestand ebenfalls aus Ziegelstein, der unter seinen Fingern zu Staub zerfiel.

Jack blieb sehr lange an der zertrümmerten Mauer stehen. Der Himmel klarte auf, der Regen versiegte und The Oaks lag hinter ihm im Nebel. Schließlich ließ Jack die Hacke zu Boden poltern und lief über den Hügel zurück.

Zwei der Benzinkanister im Schuppen waren noch fast vollständig gefüllt. Jack holte sie heraus und schleppte sie zur Tür des Gewächshauses. Sein Rücken bog sich unter der schweren Last.

Jack schraubte die Deckel ab und warf die Kanister in die Lounge. Sie klackerten, warfen ein Echo an die Wand und stürzten um. Dann hörte er nur noch das Gluckern von Benzin, das auf den Boden lief.

Ihm fielen keine Gebete mehr ein und auch keine wütenden Hasstiraden. Stattdessen zog er mit zitternden Händen ein Streichholzbriefchen aus der Tasche und warf drei flackernde Hölzer in die Lounge, eins nach dem anderen. Die ersten beiden knisterten zunächst nur, doch als er das dritte hineinschleuderte, breiteten sich die Flammen mit einem lauten Wummmmm! aus.

Es war spektakulär anzusehen, wie The Oaks abbrannte. Stockwerk für Stockwerk, Fenster für Fenster wütete das Feuer weiter in Richtung Dach.

Die in der Bausubstanz gefangenen Irren mussten im Labyrinth der Hauswände immer höher geklettert sein, denn erst als das Feuer den zweiten Stock erreichte, hörte Jack ihre Schreie.

Er stand auf der Wiese und hatte eine Hand gegen die Hitze abgeschirmt, während die gotischen Umrisse des riesigen Anwesens von den Flammen eingeschlossen wurden. Das Feuer wütete im frühen Morgenwind wie eine riesige orangefarbene Flagge.

Die Wahnsinnigen brüllten vor Angst, Schmerz und Verzweiflung, wollten nicht über 60 Jahre ums Überleben gekämpft haben, um jetzt auf diese Weise zu krepieren. Die Ratten sitzen in der Falle, dachte der Rattenfänger, der sie mit seiner Flöte dorthin gelockt hatte.

Die Türme fielen in sich zusammen, die Treppen stürzten in die Tiefe. Blinde Gesichter polterten von den Zinnen. Das Geschrei hielt weiter an, als 130 Seelen im Feuer vergingen. Jack sah zu und wartete überaus geduldig ab, bis auch der letzte Schrei verklungen war.

In der Ferne konnte Jack Sirenen hören. Er wischte sich mit dem Ärmel über das vor Hitze gerötete Gesicht. Nach einem letzten Blick auf The Oaks machte er sich auf den Weg durch den Wald.

Sergeant Charles Schiller lief mit knirschenden Schuhen durch die schwelenden Überreste von The Oaks. Die Hände hatte er in den Taschen seines Regenmantels versenkt. Ganz in der Nähe war ein Räumungskommando damit beschäftigt, zwei blasse, rußbedeckte Statuen zu bergen, die auf wundersame Weise unbeschädigt geblieben waren.

Der Feuerwehrhauptmann kam schniefend herübergetrottet und rieb sich die Hände. »Was für ein Feuerchen, hmm?«

»Wie lange dürfte es noch dauern, bis die Jungs von der Spurensicherung loslegen können?«, erkundigte sich Sergeant Schiller.

»Vier oder fünf Stunden. Es muss erst mal auskühlen hier.«

Sergeant Schiller lief durch die völlig zerstörten Überreste von The Oaks. Durch die Sohlen seiner geliehenen Feuerwehrschuhe konnte er die Hitze des erst vor Kurzem erloschenen Feuers spüren. Er klaubte Marmorsplitter, zersprungenes Porzellan und eine von der Hitze verformte Gabel auf. Da lagen auch Knochen, doch er rührte sie nicht an.

Als er gerade gehen wollte, sah er etwas in der Asche glitzern. Er bückte sich und schälte es mit seinem Stift aus dem Boden. Es war zu heiß, um es mit bloßen Händen anzufassen. Sergeant Schiller hob den Gegenstand in die Höhe und ließ ihn am Ende seines Stifts baumeln.

Es handelte sich um ein billiges Goldkettchen, auf dem die Buchstaben K-A-R-E-N eingraviert waren.

Jack kehrte nicht nach Hause zurück. Er hob sämtliche Ersparnisse von seinem Konto ab, kaufte im Städtchen Standard in Wisconsin einem Apfelbauern, der in Rente gegangen war, einen heruntergekommenen beigen Plymouth ab und fuhr unbehelligt über die kanadische Grenze.

Unter dem Namen Jack Pontneuf arbeitet er heute in der Nähe von Quebec als Meister in der Werkstatt St. Basile Muffler und spricht mittlerweile ganz passabel Französisch. Seine Freunde in der Kneipe nennen ihn Jack den Nüchternen, denn er nimmt nie mehr als drei alkoholische Getränke zu sich. Er hasst den Regen und redet nicht besonders viel – außer über Auspuffanlagen – und da kann ihm so schnell keiner etwas vormachen.

In einem unscheinbaren Vorort von Quebec hat er sich in einem kleinen, blau getünchten Haus ein Zimmer gemietet und verbringt den Großteil seiner Zeit damit, aus dem Fenster zu schauen: auf die Leitungsmasten, zum Himmel hinauf oder zu den Kindern, die auf der Straße spielen.

Seine Vermieterin ist eine einfach gestrickte, stets freundliche und doch melancholische Frau namens Cécile de Champlain. Sie ist mit ihren 45 Jahren bereits Witwe. Alle paar Tage stellt sie ihm ein Marmeladenglas mit frischen Blumen ins Zimmer, doch sie wechseln kaum ein Wort miteinander.

Er hat seine Vermieterin eindringlich gebeten, ihm sofort Bescheid zu geben, falls sie jemals ein knisterndes Geräusch in den Wänden hört oder falls sich vor ihr ohne ersichtlichen Grund die Erde auftut. Und vor allem, wenn sie jemals einem kleinen Kind im grau-weißen Regenmantel begegnen sollte. Sie hat ihm das hoch und heilig versprochen.

Er hat sie außerdem (auf merkwürdige Weise, seine Augen waren auf einen Punkt weit, weit in der Ferne gerichtet …) aufgefordert, unter keinen Umständen das Kinderlied Lavendelblau zu singen. Auch dieses Versprechen hat sie ihm gegeben.

Insgeheim denkt Cécile de Champlain allerdings, dass Jack dringend mal zum Psychiater gehen sollte. Menschen wie er gehören in die Anstalt.

GRAHAM MASTERTON

www.grahammasterton.co.uk

GRAHAM MASTERTON ist einer der erfolgreichsten Autoren moderner Spannungsromane. Er schreibt Thriller, Horrorromane und erotische Ratgeber. 1975 erschien mit Der Manitou sein erster unheimlicher Roman, der sofort zum Bestseller wurde und mit Tony Curtis und Susan Strasberg in den Hauptrollen verfilmt wurde. Inzwischen sind etwa 60 Romane erschienen, deren verkaufte Auflage bei über 20 Millionen liegt.

»Leute zu erschrecken, hat mir schon als kleiner Junge Spaß gemacht«, erklärt er vergnügt. »Als ich elf war, schrieb ich eine Story über einen Mann ohne Kopf, der aber immer noch singen konnte und der ständig Tiptoe through the tulips (Auf Zehenspitzen durch die Tulpen) trällerte. Vor Kurzem traf ich einen Schulkameraden, der sich immer noch sehr gut an diese Geschichte erinnert. Er gestand mir, dass ihm heute noch, sobald er einen Topf mit Tulpen sieht, ein Schauder über den Rücken läuft.«

Graham Masterton bei FESTA: Die Opferung – Der Ausgestoßene – Bluterbe – Das Atmen der Bestie – Irre Seelen