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Das sanfte Lächeln, das ihre Lippen umspielte, verblasste. So viel – zu viel – war seit jener Zeit geschehen. Sie klammerte sich an die Hoffnung, dass ihr Mentor sie über das Grab hinaus auf ihrem Weg begleitete und dass er es gewesen war, der sie zu diesem Buch geführt hatte, das ihr in allen Einzelheiten verraten würde, wie man die Fokussierende Iris benutzte. Sie wünschte, er könnte ihr für das, was sie vorhatte, seinen Segen geben. Ohne Zweifel würde er ihr Handeln verstehen, hätte er sehen können, was sie gesehen hatte.

Eine sanfte Berührung an der Schulter ließ sie zusammenzucken, und beinahe wäre das Buch unter ihrem Umhang herausgefallen. In letzter Sekunde hielt sie es fest, dann drehte sie sich um.

„Es tut mir leid, ich wollte Euch nicht erschrecken“, sagte Kalecgos.

Verunsicherung überkam sie. Hatte er sie durchschaut? „Woher wusstet Ihr, dass ich hier bin?“, fragte sie, um einen lockeren, gleichgültigen Ton bemüht.

„Ich bin zum Nexus zurückgekehrt, nachdem wir … nachdem Ihr fortgegangen seid. Ich spürte es dort, als Ihr in Dalaran ankamt.“ Seine blauen Augen wirkten unglücklich. „Ich glaube, ich weiß, warum Ihr hergekommen seid.“

Sie wandte den Blick ab. „Ich kam hierher, um Hilfe von den Kirin Tor zu erbitten. Ich dachte, sie würden mich im Kampf gegen die Horde unterstützen, nach dem, was mit Theramore geschehen ist. Aber sie haben sich geweigert.“

Er zögerte einen Moment, dann flüsterte er: „Jaina … auch ich bin in Theramore gewesen. Falls die Bombe auf die Stadt fiel – und wir beide wissen, dass das der Fall ist –, hätte die Fokussierende Iris dort sein müssen. Doch ich konnte sie nirgendwo finden.“

„Ich möchte wetten, die Horde hat jemanden geschickt, um sie zurückzuholen“, meinte Jaina. „In den Ruinen habe ich jedenfalls gegen einige Orcs gekämpft.“

„Vermutlich habt Ihr recht“, stimmte er ihr zu.

„Könnt Ihr sie noch immer spüren?“, wollte sie nun wissen.

„Nein. Aber wäre sie zerstört worden, dann hätte ich es gewiss gemerkt. Ich muss also davon ausgehen, dass ein mächtiger Magier sie einmal mehr vor meinen Sinnen abschirmt, und diesmal ist er sogar noch wirkungsvoller darin als beim letzten Mal. Falls das Artefakt noch immer existiert, kann es auch noch immer eingesetzt werden, um großen Schaden in dieser Welt anzurichten. Wie wir beide ja gesehen haben.“

Also … hatte ihr Abschirmungszauber gewirkt. „Dann solltet Ihr Euch wohl besser auf die Suche danach machen.“ Es gefiel ihr nicht, ihn anlügen zu müssen, aber sie wusste, dass er es nicht verstehen würde. Oder … vielleicht doch? Falls er wirklich in Theramore gewesen war … und gesehen hatte, was sie gesehen hatte … dann teilte er womöglich ihre Gefühle.

„Kalec – die Kirin Tor werden mir nicht helfen. Ihr sagtet einst, Ihr würdet für mich kämpfen – für die Lady von Theramore. Theramore gibt es nicht mehr, aber ich, ich lebe noch.“ Aus einem Impuls heraus streckte sie den Arm aus und griff nach seiner Hand. Er umschloss sie fest mit seinen Fingern. „Helft mir! Bitte! Wir müssen die Horde zerstören. Sie wird sich nicht mit diesem einen Sieg begnügen, und das wisst Ihr.“

Sie konnte sehen, wie sich die widerstreitenden Gefühle in seinem Inneren auf seinem Gesicht spiegelten. Da wurde ihr klar, wie viel er tatsächlich für sie empfand. Gleichzeitig spürte sie, dass ihre Gefühle für ihn ebenso stark waren. Doch jetzt war nicht die Zeit, einander den Hof zu machen, nicht die Zeit für süße Zärtlichkeiten und überhaupt nicht die Zeit für jedwede Romantik. Solange die Horde noch existierte und in der Lage war, weiterhin solch schreckliche Untaten zu begehen, gab es keinen Platz für Zuneigung. Sie brauchte jede Waffe, die sie nur finden konnte, und ungeachtet ihrer eigenen Wünsche und Bedürfnisse wusste Jaina, dass sie ihr Herz in Stahl verwandeln musste.

„Ich kann das nicht tun, Jaina“, erklärte er, und seine Stimme klang belegt – vor Leid. „Dieser unversöhnliche … nun, Hass – das seid nicht Ihr. Die Jaina, die ich kennenlernte, hat nach Frieden gestrebt, hat versucht zu verstehen, noch während sie sich darauf vorbereitete, ihr Volk zu verteidigen. Ich kann nicht glauben, dass Ihr wirklich dieselben Gräueltaten begehen wollt wie die Horde. Kein gesunder Verstand, kein gütiges Herz sollte einem anderen jemals solches Leid wünschen.“

„Dann glaubt Ihr also, ich hätte den Verstand verloren?“, fragte sie, und obwohl sie versuchte, es ein wenig fröhlich klingen zu lassen, war sie wütend und zog ihre Hand zurück.

„Nein“, entgegnete er, „aber ich glaube, Euch fehlt der nötige Abstand, um Eure nächsten Schritte richtig zu wählen. Ich glaube, Ihr würdet Euer Handeln von Schmerz und Zorn diktieren lassen. Niemand kann Euch einen Vorwurf machen, weil Ihr so fühlt. Aber Ihr dürft nichts unternehmen, solange Ihr nicht logisch denken könnt! Ich kenne Euch – und weiß, dass Ihr es später bereuen würdet.“

Ihre Augen wurden schmal, und dann tat sie einen Schritt nach hinten. „Ich weiß, Ihr macht Euch Sorgen um mich, und alles, was Ihr sagt, meint Ihr nur gut. Aber Ihr irrt Euch. Dies hier – das bin ich. Das hat die Horde aus mir gemacht, als sie ihre verfluchte Bombe über meiner Stadt abwarf. Ihr wollt mir nicht helfen? Ihr wollt die Stimmen nicht hören, die nach Gerechtigkeit schreien? Schön. Dann helft mir eben nicht. Aber ganz gleich, was Ihr auch tut, versucht nicht, mich aufzuhalten!“

Er verbeugte sich, als sie herumwirbelte und davonmarschierte, eine Hand fest um das Buch geschlossen – das Buch, das Antonidas versiegelt hatte. Es war das Buch, das ihr helfen würde, den Gefallenen Frieden zu schenken. Das Buch, das ihr die Macht geben würde, um der Horde zurückzuzahlen, was sie ihrem Herzen angetan hatte.

Das Gasthaus in der Nähe von Klingenhügel machte in diesen Tagen viel Umsatz, und dem Wirt Grosk war es nur recht. Klingenhügel war schon immer ein recht ärmliches Dorf gewesen, wurde es für gewöhnlich doch ausschließlich von Soldaten oder Durchreisenden bevölkert, von denen weder die einen noch die anderen länger hier verweilten. Nun, da sich die Festivitäten in Orgrimmar fortsetzten, besuchten Krieger aber fast zu jeder Tages- und Nachtzeit das Gasthaus, um ein Mahl zu genießen und Grog zu trinken. Während Grosk wieder einmal einen halbherzigen Versuch unternahm, die Gläser zu säubern, überlegte er, wie lange er darauf hatte warten müssen, dass sich das rege Treiben in der Hauptstadt auch für ihn bezahlt machte. Dass nicht alle Gespräche, die im Schankraum geführt wurden, voll des Lobes und der Zustimmung waren, kümmerte ihn nicht weiter. Na und? Über Thrall hatten sich die Leute auch beschwert. Sie liebten es einfach, zu murren und zu klagen, ob nun über den Kriegshäuptling oder das Wetter, den Krieg oder die anderen Rassen der Horde, die Allianz oder die Ehefrau. Das war gut fürs Geschäft. Einer der Gründe, eine Taverne aufzusuchen, war schließlich der, seine Sorgen zu ertränken.

Grosk hingegen hätte nicht glücklicher sein können, nun, da der Schankraum bis zum letzten Platz mit Gestalten sämtlicher Horderassen gefüllt war.

Bis die Kor’kron auftauchten.

Sie blieben in der Tür stehen, ihre hünenhaften Gestalten sperrten das Licht aus, und der Raum wurde noch dunkler. Frandis Farley, der wieder mal eine billige Ausrede gefunden hatte, sich mit Kelantir Blutklinge zu treffen, drehte sich bei dem Anblick herum.

„Das gibt Ärger“, flüsterte Kelantir.